Wie auch Luxemburgs Großherzogin Maria Teresa ist der in Zypern geborene Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides Mitglied des Verwaltungsrates der neuen Stiftung der EIB.
Über sein Fachthema, den Arbeitsmarkt, hielt er am Montag einen Vortrag in der EIB.
Bevor er seine Analyse der Lage vorstellte, begann er mit der Auflistung von Fakten: Im Jahr 2008 waren die entwickelten Industriestaaten in der Rezession. Im Schnitt sank in den OECD-Ländern die Beschäftigung. Und dennoch: Während die Beschäftigung 2007-2009 in Irland, den USA, Portugal und Spanien fiel, steig sie in Polen, Deutschland und den Niederlanden weiter an. Was erklärt diese unterschiedliche Entwicklung?
Keine einheitliche Entwicklung
Zudem unterstrich er, wie viele andere auch, dass in Europa am meisten Jobs in den Sektoren Industrie und Bauwirtschaft verloren gingen. Das sei jedoch nicht weiter überraschend, da sich Europa seit einigen Jahrzehnten in einer Desindustrialisierung befinde. Und entgegen vielen anderen Wirtschaftsexperten ist er nicht der Meinung, dass die steigende Arbeitslosigkeit auf die Entwicklung in der Industrie zurückzuführen sei. „In der Industrie wurden nicht viel mehr Jobs abgebaut als in den Jahren vorher“, so Pissarides. Das Problem sei ein anderes: „Der Dienstleistungssektor hat nicht mehr genügend neue Jobs geschaffen, um die Verluste in der Industrie aufzufangen.“
Um jedoch die unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Ländern besser zu verstehen, hat Pissarides ausgerechnet, wie der Arbeitsmarkt in dem jeweiligen Land auf einen Rückgang im BIP reagierte. Dabei stellte er fest, dass in Ländern wie Island, den USA, Spanien und Frankreich die Arbeitslosigkeit überproportional schnell anstieg, während sie sich in Ländern wie Japan, Deutschland, Slowakei und Polen viel besser entwickelt hat als erwartet. Das würde bedeuten, dass die als Erstes genannten Länder „schwache institutionelle Strukturen“ haben, so Pissarides.
Arbeitslosenquote vs. Produktivität
Anders sehen die Zahlen aus, wenn man sich die Entwicklung der Produktivität in den betroffenen Ländern anschaut. Während sie in den USA stark zulegte, ist sie in Deutschland gefallen. Dafür sei in der Bundesrepublik die Beschäftigung um zwei Prozent gewachsen, die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden jedoch um zwei Prozent gefallen. Er selber finde die Entwicklung in Deutschland positiver, da „die Produktivität nach einer Rezession schnell wieder aufholen kann, während es Zeit braucht, um Arbeiter auszubilden“.
Im Gegensatz zu vielen Experten ist er jedoch nicht überzeugt, dass die positive Entwicklung in Deutschland auf eine gute exportorientierte industrielle Basis zurückzuführen sei. Dann würde einfach das BIP steigen – nicht die Beschäftigung, meint er. Zudem sei auch in Deutschland die Beschäftigung in der Industrie rückläufig.
Die USA haben falsch reagiert
Die Erklärung liegt für ihn im Bereich der Regulierung der Arbeit und in den politischen Antworten auf die steigende Arbeitslosigkeit. So habe Deutschland es schwieriger gemacht, Arbeitslosengeld zu beziehen, die Regeln flexibler gestaltet, und vor allem biete es gezielte staatliche Unterstützung bei Gehältern (bspw. Kurzarbeit) und bei der Gründung von neuen Firmen. Das sei besser für den Staatshaushalt, als einfach Gelder zu verteilen, unterstrich er.
Im Gegensatz zu Deutschland hätten die USA falsch reagiert, so Pissarides. In den USA wurde die Periode, in der ein Arbeitsloser ein recht auf Hilfen hat, auf 99 Wochen verlängert. Somit haben die Betroffenen weniger Interesse, um in die Gegenden umzuziehen, wo neue Jobs geschaffen werden.
Erschwerend käme noch der Häusermarkt hinzu. Die Anzahl der Hausbesitzer ist in den letzten Jahren stark gestiegen – doch, wenn sie verkaufen wollen, finden sie keinen Käufer. Die Konsequenz: „Die Mobilität der US-Arbeitnehmer ist mittlerweile auf ein europäisches Niveau gefallen“, so Pissarides.
Den Pessimismus anderer Wirtschaftsexperten, dass die „natürliche Arbeitslosenquote“ in Zukunft höher liegen wird als in der Vergangenheit, teilt Pissarides nicht. Es sei wohl wahr, dass kein großer Aufschwung in der Industrie zu erwarten sei, aber im Bereich Dienstleistungen „gibt es noch viel Potenzial für neue Jobs“.
Job-Potenzial bei Dienstleistungen
Vor allem bei Dienstleistungen für Unternehmen und Finanzen, aber auch in Bereichen wie Gesundheit und Erziehung sieht er in Europa noch sehr viel Aufholbedarf. Dabei handle es sich einerseits um Firmen mit einer sehr hohen Produktivität und andererseits um einen Bereich mit einer sehr niedrigen Produktivität. Erstere würden mit wenig Personal sehr viel Mehrwert produzieren und sehr viel Geld verdienen. Die neuen Wohlhabenden würden dann Köche, Bedienstete, Assistenten und Fahrer einstellen.
Zudem würde allein durch den demografischen Wandel der Bedarf an beispielsweise Krankenschwestern stark zunehmen. Da Staaten, die mit Haushaltsdefiziten zu kämpfen haben, jedoch nicht alles finanzieren können, müssten neue Wege gefunden werden.
Aber es sei jedenfalls klar, so Pissarides, dass dieses Entwicklung notgedrungen zu steigenden sozialen Ungleichgewichten führen werde.
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