Für den Deutschen Brauerbund ist das deutsche Reinheitsgebot «das älteste, noch unverändert gültige Verbraucherschutzgesetz der Welt». Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit.
Denn der bayerische Herzog Wilhelm IV. legte im April 1516 nicht nur fest, dass für Bier «allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet» werden dürften. Er ordnete auch an, dass «die Maß für nicht mehr als zwei Pfennig» verkauft werden dürfe.
Pils-Land
Die Preissteigerung seither hält sich immerhin in Grenzen: Schon ab 60 Cent ist der Liter Bier heute zu haben. «Deutschland ist immer noch ein Pils-Land, Pils macht heute 54 Prozent des Absatzes im Handel aus. Und die Hälfte davon teilen sich zehn Marken», erklärt Marcus Strobl vom Marktforscher Nielsen.
Die Plätze seien verteilt, «jeder Biertrinker kennt die Preise – da ist es schwer, den Umsatz zu erhöhen». Denn die Absatzmenge schrumpft, der Durst der Deutschen auf Pils lässt nach.
Tschechen
Die Tschechen trinken durchschnittlich 144 Liter Bier jährlich – so viel wie die Bundesbürger früher auch. Heute kommen sie nur noch auf 107 Liter Bier pro Kopf.
Die Nachfrage nach Pils, Export und Weizen ist in diesem Jahr gesunken – doch «das starke Umsatzwachstum von bayerischen Hellen, von Fest-, Land- und Kellerbieren sowie alkoholfreien Bieren sorgt dafür, dass der Umsatz insgesamt leicht gewachsen ist», sagt Strobl. Das Angebot wird vielfältiger.
Alkoholfreie bierähnliche Getränke
«Mit alkoholfreien Bieren ist es gelungen, neue Zielgruppen zu gewinnen», sagt der Geschäftsführer des Deutschen Bauerbundes, Holger Eichele. In der Mittagspause Alkohol zu trinken, ist heute nicht mehr angesagt.
In der Werbung reiten die Brauereien auf der Fitnesswelle mit und preisen ihre alkoholfreien Biere als gesundes, isotonisches Getränk für Sportler an. Jedes 20. Bier ist inzwischen alkoholfrei.
Craft-Biere
Der zweite Trend wurde von den Craft-Bieren ausgelöst – aromaintensive Biere aus neuen Experimenten mit Hopfen und Malz, die auch mal gewürzt werden und nach exotischen Früchten, Schokolade oder Spekulatius schmecken können.
Ihr Marktanteil stagniert zwar im Promillebereich, sie bleiben ein Nischenprodukt. Aber die breite Debatte hat auch viele Pilstrinker neugierig gemacht, etwas Neues auszuprobieren. Die Nachfrage nach Keller-, Landbieren und anderen Spezialitäten wächst stark, vor allem in Süddeutschland.
Bewegung
Die Preise in diesem Segment sind noch nicht so klar verankert, das lässt den Brauern Spielraum nach oben. Und die Verbraucher akzeptieren sogar Kisten mit 16 statt 20 Flaschen. «Da ist noch viel Bewegung drin», sagt Strobl.
Und der Getränke- oder Supermarkt kann sich mit dem zusätzlichen, regionalen Angebot von der Konkurrenz und den Discountern abheben.
Ein neues Bier pro Woche
«Jede Woche kommt in Deutschland mindestens ein neues Bier auf den Markt», sagt Eichele. Bundesweit sind heute 5500 Biermarken im Handel, und die Zahl der Brauereien ist auf 1352 gestiegen.
Ausländische Biere dagegen haben es in Deutschland unverändert schwer. Einige Marken gelten bei jungen Großstädtern als hip, aber insgesamt machen sie nur 7,7 Prozent des Absatzes aus. Die Exportquote der deutschen Brauer ist doppelt so hoch und wächst – von Italien bis China ist deutsches Bier gefragt.
Algen im Bier
In anderen Staaten wird auch aus Reis oder Mais Bier hergestellt. Die EU erlaubt beispielsweise das aus Algen gewonnene Propylenglycolalginat (E405), Schwefeldioxid, Natriumascorbat, Acesulfam und ein Dutzend weiterer Zusatzstoffe.
Die deutsche Brauwirtschaft dagegen pocht weiterhin auf das Reinheitsgebot. Vor 500 Jahren hatte der bayerische Landesherr zwar Gerste als Grundstoff vorgeschrieben, weil er den wertvolleren Weizen fürs Brot reservieren und den Brotpreis im Zaum halten wollte.
Kräuter und Gewürze
Seine Nachfolger ließen später auch wieder Kräuter und Gewürze im Bier zu. Und neben Gersten- und Weizenmalz, Hopfen, Wasser und Hefe verwenden die deutschen Brauer heute auch Kohlensäure und Stickstoff.
Aber im Kern handelt es sich doch noch um das alte, in ähnlicher Form damals in mehreren Regionen gültige Verbraucherschutzgesetz.
Lebensmittelskandale
Die deutsche Brauwirtschaft sei auch deshalb von Lebensmittelskandalen verschont geblieben, weil die Überwachung leichter sei: «Da mit nur vier natürlichen Zutaten auch nur eine sehr geringe Anzahl kontrolliert werden muss», sagt Eichele.
Nach einer aktuellen Umfrage seien 90 Prozent der Biertrinker in Deutschland für den Erhalt des Reinheitsgebots. «Es ist ein Markenzeichen, insbesondere im Export», sagt Strobl.
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