Die Stahlkocher Europas müssen seit der ersten Jahreshälfte 2015 mit sich verschlechternden Rahmenbedingungen des europäischen Stahlmarktes zurechtkommen. Durch das geringe Wirtschaftswachstum ist ein Ungleichgewicht auf dem Markt entstanden, das Angebot übersteigt die Nachfrage. Dieser Angebotsüberschuss wird durch strukturelle Überkapazitäten der Stahlwerke verschlimmert. Zudem versuchte China seine eigenen Überkapazitäten in Europa abzusetzen. Die hohen Lagerbestände an Stahl spiegeln sich in tiefen Stahlpreisen wieder, die sich wiederum in den Bilanzen der Stahlkocher wiederfinden. Die S&P belässt die Mehrzahl der Rating-Einstufungen für Unternehmen aus diesem Bereich auf einem unterdurchschnittlichen Niveau.
ArcelorMittal
Die protektionistischen Maßnahmen der EU gegen billige Stahlimporte aus China haben den europäischen Stahlkochern etwas Luft verschafft. Die Importzölle haben an der weltweiten Überkapazitäten nichts geändert. Die Unternehmen müssen sich Restrukturierungen.
Dies sei für einige Unternehmen, darunter ArcelorMittal, schon der Fall gewesen. Das luxemburgische Unternehmen hat sein Kapital in diesem Jahr um 3 Milliarden Dollaraufgestockt. Des Weiteren hat ArcelorMittal für eine Milliarde Dollar seinen 35-Prozemnt-Anteil des Automobilzulieferers Gestamp verkauft.
Laut Ratingbericht von S&P sei so eine Reduzierung der Nettoschulden des Unternehmens um 25 Prozent zustande gekommen. Trotzdem erwarten die Analysten einen Rückgang des Gewinnes. Wenn der Stahlmarkt sich erholt, dann rechnet das S&P mit einer Verbesserung des Ratings von ArcelorMittal.
Zusätzlich drängen billige russische Stähle auf den Markt. Durch mehrere Faktoren ist in den vergangenen Monaten der Rubelkurs um rund 50 Prozent gefallen, so auch die Exportpreise. Laut S&P würden die russischen Stahlunternehmen traditionell billiger produzieren können als die Unternehmen in Westeuropa. Die Werke von russischen Unternehmen, wie NLMK oder Severstal, produzieren aktuell an den Kapazitätsgrenzen und bescheren den Firmen gute Gewinne.
Die Ratingagentur S&P sieht dennoch einen Hoffnungsschimmer für die europäische Stahlindustrie. «Wir erkennen ein mögliches Ende des Abbaus der Lagerbestände, die Preise haben in den vergangenen Monaten angezogen», so die Ratingagentur. Drei Faktoren könnten, laut S&P, «den Schmerz der Industrie lindern». Den Aufbau von neuen Lagerbeständen, eine Verbesserung des Nachfragewachstums und protektionistische Maßnahmen der EU.
Zölle und andere Importabgaben
«Zölle und andere Importabgaben verschaffen den europäischen Stahlkochern etwas Luft, sie eröffnen ein Zeitfenster für strukturelle Änderungen», so S&P. Trotzdem seien die Unternehmen aber noch nicht über den Berg. Einige Unternehmen, darunter auch ArcelorMittal, hätten sich in Richtung «bessere strukturelle Positionen» bewegt. Der Fokus würde nun auf Kostenreduktionen, Effizienzgewinnen, Haushaltsdisziplin und dem Abbau von Schulden liegen.
Auch wenn sich die Situation etwas entspannt habe, würde das wirtschaftliche Umfeld jedoch nicht glänzend sein. Die Lagerbestände seien abgebaut worden, die Preise, auch für Rohstoffe, hätten sich erholt. S&P beobachtete in den westlichen Volkswirtschaften einen «positiven, jedoch geringen» Anstieg des Stahlverbrauchs und der Nachfrage. In den Schwellenländern, darunter Brasilien und China sind die Erwartungen negativ. Trotz der saisonal bedingten höheren Bautätigkeiten in China würde es immer noch eine hohe Zahl an unverkauften Immobilien in China geben. S&P schließt nicht aus, dass in naher Zukunft die Stahlkocher in China ihre Produkte nicht vollständig absetzen können und ihre Lager wieder befüllen.
«Der Rückgang der globalen Stahlnachfrage trifft auf chronische Überkapazitäten, vor allem aus China», steht im S&P-Bericht. Das Reich der Mitte ist der größte Stahlhersteller der Welt. Es wird erwartet, dass im Jahr 2016 insgesamt 800 Millionen Tonnen Stahl, das doppelte der Produktion des Jahres 2005, in China produziert werden. Mehr als die Hälfte der Weltproduktion stammt dann aus China. S&P erwartet auch für das Jahr 2016 mit weltweiten Überkapazitäten, rund 350 Millionen Tonnen. Dieser Stahl, der zwar produziert aber nicht gebraucht wird, übersteigt sogar den gesamten Ausstoß der europäischen Industrie (200 Millionen Tonnen). Aus diesem Grund geht S&P, auf globaler Ebene, von weiter sinkenden Stahlpreisen aus.
Die EU hat auf diese Situation mit protektionistischen Maßnahmen geantwortet. Auf kaltgewalzte Flachstahlerzeugnisse aus China werden Strafzölle von 20-22 Prozent erhoben, solche aus Russland werden bei dem Überschreiten der EU-Außengrenzen um 19-36 Prozent teurer. Diese Antidumping-Maßnahmen, die die Inlandspreise hoch halten sollen um die einheimischen Industrien zu schützen, seien nur vorübergehend. «Weitere Maßnahmen müssen die marktverzerrenden Praktiken überflüssig machen», so S&P. Subventionen für den Ausbau der Kapazitäten müssten abgeschafft werden und verlustbringende Stahlwerke ihre Tore schließen. China kündigte bereits zu Beginn des Jahres an, dass man bis zum Jahr 2020 die Produktion um bis zu 150 Millionen Tonnen zurückfahren wolle. Dies wird das Reich der Mitte, laut S&P, rund 180.000 Arbeitsplätze kosten.
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