Europas Automarkt steuert nach Expertenmeinung auf die größte Absatzkrise seit fast 20 Jahren zu und offenbart mit dieser Entwicklung Schwachstellen im Fabriksystem der Hersteller. Die sinkende Nachfrage auf dem Kontinent erleichtert Neuwagenkäufern derweil weiterhin die Schnäppchenjagd – doch überraschenderweise bleiben die Wartezeiten für bestellte Fahrzeuge sehr hoch. Trotz der schleppenden Verkäufe scheinen die Autobauer massive Probleme zu haben, mit ihren Produktionssystemen flexibel auf den Marktbedarf zu reagieren. Der Nachfrageeinbruch dürfte für sie dramatische Folgen haben. Das alles sind Ergebnisse einer am Freitag vorgelegten Studie des Zentrums für Automotive Research (CAR) an der Uni Duisburg-Essen.
Demnach steht der europäische Automarkt vor der größten Krise seit Mitte der 90er Jahre. In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres seien 164.000 Fahrzeuge weniger verkauft worden als im Vorjahr. Das Minus habe im Februar bei 9 Prozent gelegen. «In den nächsten Monaten muss mit weiter sinkenden Verkäufen in Europa gerechnet werden. 2012 wird das schlechteste Jahr in Europa seit 18 Jahren», schreibt CAR-Direktor Ferdinand Dudenhöffer. Viele Autobauer lebten bei ihren Aufträgen derzeit «von der Hand in den Mund».
Anhaltende Rabattschlacht
Mit Ausnahme von Hyundai, Mercedes, Mini, Jaguar-Landrover und Skoda seien alle Hersteller vom Marktrückgang in Europa betroffen. Deswegen gibt es eine anhaltende Rabattschlacht. Durch Kurzzulassungen bei den Händlern seien mit Fast-Neuwagen locker Nachlässe von 20 Prozent drin.
Dennoch müssten sich Kunden, die ein individuelles Auto bestellen, im Schnitt 3,6 Monate auf die Auslieferung gedulden. «Dabei hat auch VW trotz Marktanteilsgewinnen in Europa mit dem Verkaufsrückgang zu kämpfen», schreibt Auto-Professor Dudenhöffer.
Vier Monate für einen Golf
Der Branchenexperte rechnet vor, dass das VW-Zugpferd Golf im Schnitt 18 Wochen Lieferzeit habe – also gut vier Monate. Bei Golf-Kombi und Tiguan seien es sogar 32 Wochen und damit locker sieben Monate. Die drei genannten Varianten entstehen auf ein und derselben Plattform, was Dudenhöffer angesichts der unterschiedlichen Lieferzeiten umso mehr als ein Symptom fehlender Flexibilität wertet.
Generell sieht er in dem Widerspruch aus sinkender Nachfrage und langer, teils sogar weiter steigender Wartezeit ein Anzeichen für unflexible Produktionssysteme, mit denen die Hersteller nur sehr träge auf den Markt reagieren könnten. Das sei auf Dauer gefährlich. «Wenn in einem schwachen Markt potenzielle Kunden noch länger auf ihren Neuwagen warten müssen, besteht die große Gefahr, dass Kunden zum Wettbewerber gehen.» Vor allem Premiummarken leben aber nicht von Europa allein. Märkte wie China oder Nordamerika sind schon heute von zentraler Bedeutung.
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