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RadsportZwischen Leid und Versagen: Ist die Tour de France in diesem Jahr zu hart?

Radsport / Zwischen Leid und Versagen: Ist die Tour de France in diesem Jahr zu hart?
Thibaut Pinot (Zweiter von rechts) übte Kritik an der Streckenführung Foto: Marco Bertorello/AFP

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Schwer leidend überquerte Tadej Pogacar am Mittwoch die Ziellinie der Königsetappe am Flugplatz von Courchevel. Völlig am Ende seiner Kräfte, war er das Sinnbild für eine Frage: Ist die Tour de France in diesem Jahr zu hart?

Pogacar war am Mittwoch noch nicht einmal in den härtesten Prozenten des furchterregenden Col de la Loze, als er auf den Knopf seines Funkgeräts drückte, um seine Kapitulation mit den bereits historischen Worten zu unterzeichnen: „I’m gone. I’m dead“. Ich habe aufgegeben. Ich bin tot.

Der zweifache Gewinner der Tour, den man noch nie in einem solch desolaten Zustand gesehen hatte, hat in dem Moment sicherlich für seine mangelnde Vorbereitung nach seinem Sturz bei Liège-Bastogne-Liège bezahlen müssen. Aber einen Champion seines Kalibers einen solchen Ausfall erleben zu sehen – mehr als sieben Minuten Rückstand auf den Sieger – sagt auch viel über die Brutalität dieser 110. Tour-Ausgabe aus.

Hat man jemals eine so harte Tour gesehen? Wenn man auf die Ursprünge der Tour zurückblickt, auf die „Sträflinge der Straße“, die sich mit Kokain und Tabletten vollpumpten, um die 500 km langen Etappen zu überstehen, gleicht der Jahrgang 2023 einem freundlichen Spaziergang durch einen blühenden Kirschgarten.

Aber in der jüngeren Geschichte ist der Spaziergang ziemlich hart, wenn man sich die Szenen extremen Leidens am Mittwoch bei der Ankunft ansieht. Simon Geschke, der zweitbeste Kletterer 2022, war komplett am Ende seiner Kräfte, als er die Ziellinie überquerte. Einen Tag später gab er die Tour auf.

„Eine Wahnsinnsetappe“

„Ich bin müde. Eine Wahnsinnsetappe, eine der härtesten meiner Karriere“, schnaufte Thibaut Pinot durch. Mit 51.000 Höhenmetern, dem Rekord von 30 Pässen und der Überquerung von fünf Bergmassiven war klar, dass diese Tour schwierig werden würde. 

„Ich werde mich nicht verstecken. Es ist die zehnte Tour, die ich plane, und auf dem Papier ist es die zweitschwerste nach der Tour 2020“, erklärte Thierry Gouvenou, der Streckenarchitekt, gegenüber AFP. „Wir wussten, dass es sehr bergig werden würde. Das hängt auch mit dem Ort des Grand Départ zusammen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie ab den Pyrenäen in diesem Tempo fahren würden.“

Tatsächlich bewegt sich das Peloton seit dem Start am 1. Juli in Bilbao vorwärts, als ob es in ein Wespennest gestampft hätte. „Das ist anders als alles, was ich bisher erlebt habe, es hört nie auf“, betont Jai Hindley, der die Tour für sich entdeckt hat, nachdem er 2022 den Giro gewonnen hatte.

„Alle fahren die ganze Zeit mit Vollgas, ich verstehe nicht mehr viel“, seufzte Julian Alaphilippe am Abend der 12. Etappe und wunderte sich über das Tempo, das von den Teams UAE und vor allem Jumbo-Visma angeschlagen wurde.

Im elektrischen Duell zwischen Vingegaard und Pogacar war das Ziel von Jumbo-Visma, „bei jedem Anstieg so schnell wie möglich hochzufahren“, um den Slowenen so weit wie möglich zu erschöpfen. „Wir haben alle in die roten Zahlen gebracht und Jonas hat die Arbeit vollendet“, behauptet Wilco Kelderman, einer der Teamkollegen des Dänen.

Dahinter zahlen die anderen die Zeche und die Abstände sind schwindelerregend. David Gaudu, der Zehnte der Gesamtwertung, liegt fast 18 Minuten zurück. Der 15. liegt schon fast 55 Minuten zurück. 

Auf dem steilen Flugplatz von Courchevel am Mittwochabend wartete eine letzte Foltersitzung auf die Fahrer. „Darüber (am Col de la Loze) anzukommen, wäre sehr gut gewesen. Ich verstehe nicht, warum wir 400 m mit 20 Prozent hinzugefügt haben. Es gab heute genug“, kritisierte Bergspezialist Thibaut Pinot.

„Am Ende ging es wirklich nur noch ums Überleben“, stimmte Thierry Gouvenou zu. Aber es sind nicht nur sportliche Überlegungen, die seine Arbeit bestimmen: „Der Col de la Loze liegt bei Méribel und die Etappe musste in Courchevel enden. Ich weiß nicht, ob Thibaut das weiß.“ Das sei so, als würde man die Vogesen mit dem Elsass gleichsetzen. (AFP)