Petz Lahure aus Maastricht
Mit seiner rund 800 m langen Steigung von durchschnittlich acht Prozent war der Cauberg vor Jahren das Prunkstück des Amstel Gold Race. Obwohl der legendäre Anstieg in der Nähe von Valkenburg bei der morgigen 56. Austragung des einzigen niederländischen Klassikers dreimal bezwungen werden muss, kommt ihm nur noch bedingt derselbe Stellenwert zu wie in der Vergangenheit.
Bis 2012 fand die Ankunft des „Amstel“ immer kurz hinter dem Scheitel des Cauberg statt, danach wurde das Ziel ins rund 2 km entfernte Dorf Berg en Terblijt verlegt. Auch morgen wird der Sieger dort gekürt, doch nach der dritten Überquerung des Cauberg bleiben immerhin noch 23,9 km zu fahren.
Das Wunder von 2019
Die Entscheidung fällt auf einer letzten Schleife über den Geulhemmerberg (1,2 km, Schnitt 4,6%) und den Bemelerberg (0,9 km, Schnitt 5%). Der 33. und letzte Anstieg des Amstel Gold Race 2022 liegt 7,3 km vor der Ankunft.
„Die Änderung im Parcours ist nicht bedeutend, aber sie kann dem Rennen in seiner Schlussphase neue Impulse verleihen“, so Direktor Leo van Vliet. „Wir haben dem ‚Amstel’ dadurch nicht seinen Charakter genommen, doch sind es bei einem Klassiker oft die kleinen Änderungen, die große Auswirkungen haben.“
Vor zwölf Monaten, als Wout van Aert sich nach Millimeterarbeit gegen Thomas Pidcock durchsetzte, fand das Amstel Gold Race unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf einem Rundkurs um Maastricht und Valkenburg statt, vor zwei Jahren musste der Klassiker wegen der Covid-19-Pandemie sogar ganz abgesagt werden.
Das letzte traditionelle Rennen in dem „Heuvelland“ (Hügelland) von Limburg ging demnach im April 2019 über die Bühne. Rund 230 km waren damals gefahren, als der Franzose Julian Alaphilippe, Gewinner der Strade Bianche und von Mailand-Sanremo, sich im Eyserbosweg auf und davon machte.
In seinem Schlepptau zog er den Luxemburger Dänen Jakob Fuglsang mit sich, hinter ihnen konterten der Pole Michal Kwiatkowski und der Italiener Matteo Trentin. Das Peloton mit u.a. Mathieu van der Poel verlor in den folgenden Anstiegen ständig an Boden, sodass der Rückstand vor der letzten Schwierigkeit, dem Bemelerberg, auf eine Minute angewachsen war.
„Les carottes sont cuites“, hätte Van der Poels Großvater Raymond Poulidor (seine Tochter Corinne ist mit Mathieus Vater Adrie verheiratet) gesagt. Nicht so der Enkel, obwohl er 2 km vor der Ankunft in Berg en Terblijt noch 50 Sekunden wettzumachen hatte. Eine Hand packten allerdings Alaphilippe und Fuglsang mit an, die in der Endphase zu den besten Helfern des Holländers wurden. Sie beäugten sich und spielten so lange Katz und Maus miteinander, bis zuerst Kwiatkowski aufschloss und auf der Zielgeraden auch noch Van der Poel mit dem Australier Simon Clarke im Rad wie ein TGV an ihnen vorbeibrausten.
Tausende von Zuschauern am Straßenrand in Südlimburg hatten den ersten niederländischen Erfolg seit Erik Dekkers Sieg von 2001 schon abgeschrieben. Dass Mathieu van der Poel dann doch noch in einem unwiderstehlichen Sprint an denen vorbeizog, die im Normalfall eigentlich nicht mehr einzuholen waren, gehört ins Kapitel der „glorieuse incertitude du sport“ und der fantastischen Geschichten, die den Sport so erlebenswert machen.
Drei Jahre nach seinem „Wundersprint“ ist Van der Poel zurück im Heimatland, und das als frischgebackener Sieger der „Ronde van Vlaanderen“. Der Holländer, der das Zeug dazu hat, in seiner Karriere alle Klassiker zu gewinnen, muss mit der Rolle des großen Favoriten zurechtkommen, um so mehr, da Titelverteidiger Wout van Aert nicht am Start ist.
Hirschis Comeback
Der Belgier, der vor zehn Tagen an Covid-19 erkrankte und schweren Herzens die Teilnahme an der Flandern-Rundfahrt absageen musste, erholt sich zu Hause und will unbedingt am Ostersonntag am Start von Paris-Roubaix sein. Ob die Ärzte ihm dazu aber grünes Licht geben, ist mehr als fraglich.
Seit dem Kollaps des Italieners Sonny Colbrelli am 21. März auf der ersten Etappe der Katalonien-Rundfahrt ist man im Peloton vorsichtiger geworden. Colbrelli wurde im Krankenhaus von Padua ein Defibrillator eingesetzt, der den Herzrhythmus in extremen Fällen korrigiert. Der letztjährige Gewinner von Paris-Roubaix durfte die Klinik inzwischen verlassen. Es ist aber kaum anzunehmen, dass er in absehbarer Zeit (wenn überhaupt) wieder auf einem Rennrad sitzen wird.
Van der Poels schärfste Rivalen sind vor allem die letztjährigen Podiumsfahrer Thomas Pidcock und Maximilian Schachmann, der französische Jumbo-Sprinter Christophe Laporte und der Kapitän von Groupama-FDJ, Valentin Madouas, der vor einer Woche bei der Flandern-Rundfahrt als Dritter aufs Podium fuhr.
Nach einer erfolgreichen Hüftoperation ist auch der U-23-Weltmeister von Innsbruck, Marc Hirschi, wieder mit dabei. Nach seinem zweiten Gesamtplatz bei der Tour de Luxembourg im September 2021 war der Schweizer für Monate von den Radarschirmen verschwunden, ehe er sich jetzt mit einem Sieg beim regionalen italienischen Kirmesrennen „Per sempre Alfredo“ zurückmeldete.
Von Luxemburger Seite ist diesmal nur ein Fahrer angemeldet. Für Kevin Geniets (Groupama-FDJ) bedeutet das „Amstel“ eine Premiere. Er ist erstmals auf den schmalen und kurvenreichen Wegen in Südlimburg als Helfer im Team Groupama-FDJ mit dabei.
Fakten
* 56. Amstel Gold Race, 14. Rennen der UCI WorldTour 2022.
* 254,1 km mit 33 Steigungen (darunter 3x Cauberg, 3x Geulhemmerberg, 2x Bemelerberg).
* Start um 10.20 Uhr in Maastricht (Vrijthof), Ankunft zwischen 16.30 und 17.00 Uhr im Rijksweg in Berg en Terblijt.
* 25 Mannschaften mit je 7 Fahrern am Start: AG2R La Mondiale (F); Alpecin Felix (B); Astana Qazaqstan (KAS); B&B Hotels P/B KTM (F); Bahrain Victorious (BRN); Bardiani CSF Faizane (ITA); Bingoal Pauwels Sauces WB (B); Bora Hansgrohe (D); Cofidis (F); EF Education Easypost (USA); Groupama FDJ (F); Ineos Grenadiers (GB); Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux (B); Israel Premier Tech (ISR); Jumbo Visma (NL); Lotto Soudal (B); Movistar Team (ESP); Quick-Step Alphy Vinyl (B); Sport Vlaanderen – Baloise (B); Team Arkéa – Samsic (F); Team Bikeexchange (AUS); Team DSM (RSA); TotalEnergies (F); Trek-Segafredo (USA); UAE Team Emirates (VAE).
* Insgesamt 40.000 Euro Preisgeld – 16.000 Euro für den Sieger, 8.000 € für den Zweiten, 4.000 € für den Dritten, 2.000 für den Vierten, 1.600 für den Fünften usw.
* UCI-WorldTour-Punkte: 1. 500 Punkte; 2. 400; 3. 325; 4. 275; 5. 225; 6. 175; 7. 150; 8. 125: 9. 100; 10. 85 Punkte.
* Erster Sieger: Jean Stablinski (F) (1966).
* Rekordsieger: Jan Raas (NL) mit 5 Erfolgen (1977, 1978, 1979, 1980, 1982) vor Philippe Gilbert (B) mit 4 Siegen (2010, 2011, 2014, 2017).
* Ein Luxemburger im Palmarès: Frank Schleck (2006).
* Palmarès der letzten Jahre: 2000: Erik Zabel (D); 2001: Erik Dekker (NL); 2002: Michele Bartoli (ITA); 2003: Alexander Winokurow (KAS); 2004: Davide Rebellin (ITA); 2005 Danilo Di Luca (ITA); 2006: Frank Schleck (L); 2007 Stefan Schumacher (D); 2008: Damiano Cunego (ITA); 2009: Sergej Iwanow (RUS); 2010: Philippe Gilbert (B); 2011: Philippe Gilbert (B); 2012: Enrico Gasparotto (ITA); 2013: Roman Kreuziger (CZE); 2014: Philippe Gilbert (B); 2015: Michal Kwiatkowski (POL); 2016: Enrico Gasparotto (ITA); 2017: Philippe Gilbert (B); 2018: 1. Michael Valgren Andersen (DAN); 2019: Mathieu van der Poel (NL); 2020: nicht ausgetragen; 2021: Wout Van Aert (B) vor Thomas Pidcock (GB) und Maximilian Schachmann (D).
* Ein Luxemburger Fahrer am Sonntag am Start: Kevin Geniets (Groupama FDJ).
* Definitive Startliste am Samstag um 18 Uhr nach der Sitzung der Sportdirektoren.
* Wettquoten: Van der Poel 2,75; Pidcock 7,00; Matthews 8,00; Laporte 17,00; Cosnefroy 21,00; Bagioli 26,00; Hirschi 26,00; Mohoric 26,00; Madouas 26,00; Teuns 34,00; Valgren 34,00; Barguil 34,00; Trentin 34,00; Ayuso 34,00; … Geniets 501,00.
* Wetter: Heiter bis wolkig; 9 Grad am Morgen beim Start, 13 Grad am Nachmittag.
* Damenrennen: Start um 10.35 Uhr, Ankunft zwischen 14.00 und 14.15 Uhr.
* Direkte Fernsehübertragung bei Tipik (12.00 Frauen), La Une (14.35 Männer), Eurosport (13.00 Frauen; 14.15 Männer), FR3 (15.15 Männer und Frauen).
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