Zuletzt war es ruhig um den Patriarchen geworden. Mit eiserner Disziplin, bis ins hohe Alter ging er seiner Leidenschaft fürs Schwimmen nach, schaffte es João Havelange in den Club der 100-Jährigen. Den Jubeltag beging er aber eher im kleinen Rahmen in Rio de Janeiro, mit einigen Weggefährten war es zum Bruch gekommen. Eine große, aber umstrittene Ehre war sicher, dass das Leichtathletikstadion der Olympischen Spiele seinen Namen bekam.
24 Jahre lang, von 1974 bis 1998, war João Havelange der dominante Herrscher des Weltfußballs. Er entwickelte den Fußball-Weltverband FIFA zum Weltkonzern mit professionellen, aber auch korruptionsanfälligen Strukturen. Zum epochalen FIFA-Skandal hielt sich der Brasilianer bis zuletzt öffentlich bedeckt. Am Dienstag ist Havelange im Alter von 100 Jahren in seiner geliebten Heimatstadt Rio de Janeiro gestorben.
Am 8. Mai 1916 wurde er in Rio geboren, da war die FIFA gerade erst zwölf Jahre alt. Er war ein begeisterter Sportler. Zweimal nahm er sogar an Olympischen Spielen teil, als Schwimmer 1936 in Berlin und als Wasserballer 1952 in Helsinki. Danach schlug Havelange schnell eine Funktionärskarriere ein. Von 1958 an war er Chef des brasilianischen Sportverbandes, bevor er ab 1974 die Geschicke der FIFA übernahm.
FIFA wurde Weltkonzern
An João Havelange schieden sich die Geister. Einerseits wuchs in seiner Amtszeit die FIFA zum Weltkonzern, der heute Milliarden umsetzt. Anderseits stand auch er im Verdacht der Korruption. Die bankrotte Sportmarketing-Firma ISL soll über 100 Millionen Dollar in den 1990er Jahren an hochrangige Funktionäre gezahlt haben, auch an Havelange. Als Gegenleistung wurden der ISL lukrative TV- und Vermarktungsrechte zugeschanzt. Sepp Blatter war unter Havelange FIFA-Generalsekretär und wurde von ihm gefördert – als eine Art Ziehsohn.
Über den Skandal zerbrachen so manche Freundschaft und geschäftliche Beziehungen. Havelange gab schon 2013 seinen Titel als Ehrenpräsident der FIFA ab. In einem angeblich von ihm stammenden Brief soll er Blatter vorgeworfen haben, von allen Entwicklungen rund um die ISL im Bilde gewesen zu sein. «Der Spiegel» schrieb mal, dass sich die Vita Havelanges lese wie «eine gegen Skrupel weitgehend immune Chronique scandaleuse». Er galt stets als Meister des Stimmengeschachers.
Kritik
Er protegierte Ricardo Teixeira, bis 1997 sein Schwiegersohn und bis 2012 skandalumwitterter Chef von Brasiliens Fußballverband. Auch er soll tief verstrickt sein in den ISL-Skandal. Mit Pelé überwarf sich Havelange, weil der die Korruption in Brasiliens Fußball anprangerte.
Die Fehde ging soweit, dass Havelange der Fußball-Legende die Einladung zur Auslosung für die WM 1994 in den USA entzog. Der als sehr autoritär geltende Havelange war 48 Jahre, von 1963 bis 2011, das älteste Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Wegen des ISL-Skandals zog er sich auch hier zurück, er kam seinem Rauswurf zuvor. Aber anders als einigen Herren im aktuellen FIFA-Skandal blieb ihm eine internationale Strafverfolgung erspart. Ohnehin betonte er, nie illegal Geld angenommen zu haben.
Immer wieder gab es Kritik, dass Havelange mit diktatorischen Regimes kooperiere. In seine Amtszeit fiel die weltweit heftig kritisierte Fußball-WM 1978, als in Argentinien eine brutale Militär-Diktatur herrschte. Er förderte zugleich den Fußball in Entwicklungsländern. Die Aufstockung der Fußball-WM von 16 auf 24 und von 1998 an auf 32 Nationen steigerte die Einnahmen des Weltverbandes massiv.
Verträge im Wert von vier Milliarden Dollar
«Als ich ankam, fand ich ein altes Haus und 20 Dollar in der Kasse. Als ich 24 Jahre später ging, hinterließ ich Eigentum und Verträge im Wert von vier Milliarden Dollar», sagte Havelange über sein Wirken an der FIFA-Spitze. Zu seinem Amtsantritt hatte die FIFA-Zentrale gerade mal zwölf feste Mitarbeiter. Als er ging, waren es laut FIFA rund zehnmal so viele.
Gerne hätte er Brasilien bei der WM im eigenen Land 2014 siegen sehen. Er war selbst Zeuge, als sich bei der davor letzten WM daheim – am 16. Juli 1950 – mit der 1:2-Niederlage gegen Uruguay eine für die Brasilianer sportliche Tragödie im Maracanã ereignete. Aber daraus wurde nichts. Das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland 2014 wird in Havelanges Heimat heute als nicht minder große Schmach angesehen.
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