Tageblatt: 2009 ist nicht so super für dich gelaufen …
Kim Kirchen: „Nein, aber eigentlich wollte ich damit abschließen. Es war jetzt keine superschlechte Saison, aber es war auch nicht gut. Man muss immer bedenken, dass ich den frühen Sturz in der Saison hatte und nie richtig in den Rhythmus gekommen bin und es einfach schwer hatte, wieder reinzukommen. Bei der Tour de France hatte ich dann Probleme mit dem Magen. An sich bin ich ganz zufrieden, dass es noch so gelaufen ist.“
„T“: Heißt das, der Saisonabschluss hat dich wieder etwas versöhnt mit 2009?
K.K.: „Ja, da tankt man wieder ein bisschen Moral, wenn die Resultate wieder besser sind. Und im Dezember beim Lehrgang ist es schon wieder ganz gut gelaufen. Ich blicke nach vorne.“
„T“: Du hast mit Katusha ein neues Team. Warum? KIM KIRCHEN STECKBRIEF
o Geboren: 3. Juli 1978
o Größe: 1,77 m
o Gewicht: 68 kg
o Profi: seit 2001
o Palmarès: 2002: 1. Platz Berner Rundfahrt, Ronde van Nederland, 2003: 1. Platz Paris – Brüssel, 2005: 1. Platz Trofeo Laigueglia, GP Chiasso und Polen-Rundfahrt, 2007: 1. Platz 15. Etappe der Tour de France in Loudenvielle; 7. Platz in der Gesamtwertung der Tour de France, 8. Platz der ProTour-Wertung, 2008: 1. Platz Flèche Wallonne, 2. und 4. Etappe der Baskenland-Rundfahrt, 6. Etappe der Tour de Suisse, 7. Platz Gesamtwertung Tour de Suisse, Luxemburger Meister (Einzelzeitfahren), 2. Platz 4. Etappe der Tour de France, 8. Platz Gesamtwertung der Tour de France; 2009: 1. Platz 7. Etappe der Tour de Suisse, Luxemburger Meister (EZF)
K.K.: „Warum? Erst mal sind viele Leute von Columbia weggegangen, was ich anfangs 2009 auch nicht gedacht hätte. Am Ende sind wir uns dann auch nicht über meine Bezahlung einig geworden. Meine Leistung in der Tour de France war natürlich auch nicht optimal. An sich habe ich aber da gesehen, dass das Team sehr auf die Sprinter aufgebaut ist und dass ich zurückstecken musste. Auch in der Tour bei verschiedenen Etappen. Und dem Ganzen wollte ich aus dem Weg gehen. Dann kommt noch das eine oder andere dazu und plötzlich gibt es die Möglichkeit, woanders hinzugehen. Und dann macht man das einfach. Für mich war es optimal, mal wieder etwas Neues zu erleben. Ich bringe Moral mit und lerne ein neues Team kennen, wo ich mich wieder ein bisschen umstellen muss. Das bringt wieder ein bisschen Leben in die ganze Sache.“
„T“: Du bist ja auch nicht dafür bekannt, ständig das Team zu wechseln.
K.K.: „Nein, ich war fünf Jahre bei einer italienischen Mannschaft, jetzt fast vier Jahre bei dem letzten Team, auch wenn das Trikot zwischendurch gewechselt hat. Das ist jetzt das dritte Team in ungefähr zehn Jahren. Ich glaube, das ist schon o.k.“
„T“: Beim Wechsel hat es aber schon eine Rolle gespielt, dass das Team zum Beispiel mehr um Cavendish aufgebaut wurde. An sich ja verständlich bei so einem Siegfahrer.
K.K.: „Ja, aber ich bin auch der Meinung, dass Cavendish wahrscheinlich nicht in dem Team bleiben wird. Er wird schauen, bei einem englischen Team unterzukommen. Die Entscheidung ist eben gefallen. Ich bin zufrieden und habe das Richtige gemacht.“
„T“: Deine T-Mobile/Highroad/Columbia-Zeit war allerdings die Zeit deiner großen Erfolge.
K.K.: „Ja sicher. Ich hatte 2007 und 2008 zwei super Jahre. Aber 2006 war an sich eine Katastrophe und über 2009 wissen wir ja auch alle Bescheid. Ich hatte da gute Zeiten und auch schlechte Zeiten. Ich habe viel gelernt, aber auch jetzt schon wieder im neuen Team. All das bewirkt hoffentlich, dass es eine gute Saison wird.“
„T“: Dein neues Team Katusha gibt es auch noch nicht so lange. Dafür war der Eintritt in den Radsportzirkus umso lauter.
K.K.: „Ja, aber es ist immer schwer, ein neues Team auf die Beine zu stellen. Das fängt mit dem Personal an. Viele Fahrer haben Verträge über zwei oder drei Jahre und da wird es schwer, eine gute Mannschaft aufzustellen. Das hier ist an sich das zweite Jahr – drei mit Tinkoff mitgerechnet, aber das darf man eigentlich nicht mitzählen –, aber man sieht, dass dieses Team auf dem richtigen Weg ist und dass jetzt die richtigen Leute da sind, um noch einen weiteren Schritt nach vorne zu machen und jetzt eine der besten Mannschaften im Feld zu werden.“
„T“: Dein Eindruck vom Team nach dem ersten Lehrgang?
K.K.: „Einige Leute kenne ich schon, andere nicht, aber das ist bei jedem Team so. Etwas schwierig ist es mit der Sprache. Es sind zum Beispiel viele junge Fahrer dabei, die nur Russisch sprechen und die anderen Sprachen erst lernen. Da ist die Verständigung schwieriger, aber es gibt immer einen Weg. Ich habe mich schon gut in dieses Team eingearbeitet. Mit einigen bin ich schon gefahren, andere kenne ich von den Rennen her. Da sehe ich überhaupt kein Problem.“
„T“: Die Mannschaft scheint relativ stark zu sein. Pozzato ist immer für einen Sieg gut, Iwanow hat das Amstel Gold Race und eine Tour-Etappe gewonnen.
K.K.: „Diese Leute haben im letzten Jahr sehr gute Leistungen gebracht und große Rennen gewonnen. Wollen wir hoffen, dass sie in diesem Jahr genauso wettkampfstark sind und ich mit ihnen etwas erreichen kann. Sei es, dass ich für sie fahre oder sie für mich. Ich versuche, meinen Mann zu stehen und mich optimal vorzubereiten. Dann sehen wir, wie die Hierarchie aussehen wird.“
„T“: In einem neuen Team wirst du dich allerdings wieder neu behaupten müssen.
K.K.: „Das Vertrauen ist wichtig. Es ist nicht so, dass ein Fahrer einfach so von heute auf morgen für einen anderen fährt. Da musst du auch persönlich dran arbeiten. Der muss Vertrauen zu dir aufbringen. Ich bin gerade dabei, das zu tun, und will in den ersten Rennen zeigen, dass ich auch mit anpacken kann. Dann sehe ich da überhaupt kein Problem.“
„T“: Welche Rennen hast du dir besonders ausgekuckt? Ich erinnere mich daran, dass du mal von der Flandern-Rundfahrt sehr begeistert gesprochen hast …
K.K.: „Ja, ich habe immer gesagt, dass ich die Tour des Flandres nicht fahre, weil ich die anderen Klassiker vorbereite. Aber ich will es jetzt einfach wissen. Ich gehe da an den Start und lasse die Baskenland-Rundfahrt sein. Ich hoffe nur, dass ich die Form lange genug halten kann, um die drei großen Klassiker optimal zu fahren.“
„T“: Abgesehen von der Tour des Flandres?
K.K.: „Das liegt alles relativ nahe beieinander. Wir haben Mailand-SanRemo, die Flèche Brabançonne und die drei Klassiker. Das liegt alles in einer Zeitspanne. Da muss ich einfach fit sein. Was jetzt die ersten Rennen angeht, da müssen wir sehen, dass ich nicht zu viel Stress habe, dass ich mich an meine Form herantaste, und dann läuft das von alleine. Es ist auch möglich, dass ich gleich zu Beginn ein Rennen für mich entscheide. Warum nicht? Das Ziel muss es sein, sich im Laufe der Zeit zu steigern.“
„T“: Vor dem Start der letzten Saison hattest du angekündigt, im Hinblick auf die Tour de France noch mehr am Berg zu arbeiten. Wie sieht es damit aus?
K.K.: „Das war ja das Problem. Mit dem Sturz konnte ich mich nicht optimal vorbereiten. Dieses Jahr sieht das anders aus. Ich merke, dass ich im Zeitfahren gut bin und mich nicht verstecken muss. Was jetzt die Berge angeht, da fehlt jedes Jahr ein bisschen. Das muss man abwarten. Ich kann sicherlich noch stärker werden und davon gehe ich auch aus. Man muss aber auch sehen, wie viel Arbeit dahinter steckt, um auf dieses Niveau zu kommen. Da muss alles zu 100 Prozent klappen.“
„T“: Wobei die Tour de France in diesem Jahr für Kletterer ausgelegt ist.
K.K.: „Das stimmt. Aber das ist wie letztes Jahr. Damit muss man sich eben auseinandersetzen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Es gibt zwar auch andere selektive Etappen, aber wenn sich jeder immer versteckt, abwartet und nichts riskiert, ist es schwer, bei nur einem Zeitfahren, etwas zurückzugewinnen. Ich versuche einfach, mich am Berg zu verbessern.“
„T“: Das mit dem Abwarten war letztes Jahr bei der Tour de France sehr gut zu sehen. Wird sich das weiter in diese Richtung entwickeln?
K.K.: „Es gibt natürlich auch immer ein Risiko bei dem Ganzen. Man kann auch angreifen und dann alles verlieren. Es gibt auch Leute, die sind mit einem Podiumsplatz oder einem Platz unter den ersten fünf zufrieden. Man muss aber auch bedenken, dass man gegen einen Alberto Contador fährt, der den anderen weit überlegen ist. Da muss man sich seinen Platz dahinter sichern. Es ist schwer, dann noch zu attackieren, weil es eh nur ein paar Stellen gibt, wo man das machen kann. Und das wird ganz schwer, solange ein solcher Fahrer dabei ist.“
„T“: Wenn du einen Wunsch frei hättest für 2010, was wäre das?
K. K.: „Zu gewinnen.“
„T“: Und was?
K. K.: „Die Flandern-Rundfahrt würde ich gerne gewinnen.“
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