RadsportLuxemburgischer Trainer Dan Lorang erklärt, wie Profis sich zurzeit verhalten 

Radsport / Luxemburgischer Trainer Dan Lorang erklärt, wie Profis sich zurzeit verhalten 
Jempy Drucker und seine Teamkollegen der deutschen Mannschaft Bora-hansgrohe halten sich momentan zu Hause fit  Archivbild: Marc van Hecke/BettiniPhoto

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Dan Lorang betreibt seit dem Ende seines Studiums Home-Office. Für den Cheftrainer des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe ist es keine ungewohnte Situation, die Trainingspläne seiner Fahrer von zu Hause aus zu koordinieren, doch die Verbreitung des Coronavirus bereitet auch ihm und seiner Mannschaft Probleme. 

Eigentlich sollte sich Dan Lorang am heutigen Freitag mit vier Fahrern in Sierra Nevada in Spanien befinden. In einem Höhentrainingslager sollten sich die Radprofis von Bora-hansgrohe auf die kommenden Klassiker, aber auch auf die Tour de France vorbereiten. Doch das Coronavirus macht dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Vergangenen Sonntag ist der luxemburgische Trainer Lorang mit dem Australier Jay McCarthy und dem Deutschen Lennard Kämna zurück in die Heimat gereist. Auch der Viertplatzierte der letztjährigen Tour de France, Emmanuel Buchmann, und der Österreicher Gregor Mühlberger, sollten in dieser Woche zu dem Trio dazustoßen – doch daraus wurde erst mal nichts. Die Ausbreitung des Coronavirus wirbelt die Rennprogramme, die Trainingspläne und die Saisonplanungen durcheinander. Doch das Schlimmste für die Profis und die Teams ist die große Ungewissheit. Nicht zu wissen, wann es weitergeht, nicht zu wissen, auf was man sich überhaupt vorbereiten soll. 

Der Luxemburger Dan Lorang befindet sich mit seiner Frau und seinem Kind in seiner Wahlheimat, im bayrischen Unterwössen. „In der jetzigen Situation ist es gut, bei der Familie zu sein, um ihr Sicherheit zu geben“, erklärt Lorang. Für den Sportwissenschaftler, der seit sieben Jahren auch den Triathlon-Olympiasieger von 2008, Jan Frodeno, trainiert, ist Home-Office kein großes Problem. Seit seinem Studium arbeitet er, so lange er nicht im Trainingslager ist, von zu Hause aus. Doch die neue Situation mit dem sich ausbreitenden Coronavirus bereitet auch dem erfahrenen Trainer Probleme. „Wir überlegen als Team, wie es weitergehen könnte und wie wir mit der Situation umgehen sollen“, erklärt Lorang. „Wir versuchen, die Ziele aber nicht nur an Wettkämpfen festzumachen, sondern in der aktuellen Situation vor allem an Leistungsverbesserung.“ Die Fahrer würden gezielt an Stärken und Schwächen arbeiten, um sich kontinuierlich weiterentwickeln zu können. Trainieren tun sie dabei in ihrer Heimat. Manche trainieren in der Natur, doch einige, und vor allem die vier italienischen Fahrer des Teams, trainieren aufgrund der verhängten Ausgangssperre nur auf Rollen oder Smarttrainern. „Individuell kann das zu Problemen führen, weil nicht jeder Fahrer damit klarkommt, so lange auf Rollen zu trainieren.“ Auch gibt es virtuelle Rennprogramme wie das der Firma Zwift, das die Profis immer mehr benutzen. Online können Rennen gegen- oder miteinander gefahren werden. „Das macht das Training etwas attraktiver“, sagt der Luxemburger. Doch wirklich überzeugt sei er von dem Online-Tool nicht. „Ich hoffe nicht, dass wir dadurch eine Verlagerung zum E-Sport bekommen. Es ist eher ein Mittel zum Zweck.“

Psychologische Arbeit

Vier bis sechs Stunden trainieren die Radprofis am Tag zu Hause, Langeweile kam laut Lorang dabei bis jetzt bei keinem auf. „Wenn dieser Zustand jedoch länger anhält, dann wird es schwieriger“, erklärt er. „Momentan strahlen wir Optimismus aus, aber wenn das in ein paar Monaten noch so ist, wird die Stimmung der Profis kippen. Das ist menschlich, dann müssten wir uns etwas anderes überlegen.“ Nach jeder Trainingseinheit erhält Lorang die Daten seiner Schützlinge. Mittels einiger technischer Hilfsmethoden, wie zum Beispiel der Performance Management Chart, können die Trainer der Radprofis neben den klassischen Werten wie Herzfrequenz oder Dauer der Einheit auch die Trainingsbelastung oder die Trainingsfrische einsehen. Letztendlich ist es doch vor allem der Wettbewerbscharakter, der den Profis fehlt. 

Als Improvisationsaufgabe sehe Lorang seine momentane Arbeit nicht an. „Wir müssen rational denken, dürfen die Emotionen der Fahrer dabei aber nicht vergessen.“ Die Profis, die sich zurzeit bei ihren Familien aufhalten würden, könnten durch die ungewöhnliche Situation auch Angst bekommen. „Einige befinden sich beispielsweise im letzten Vertragsjahr. Eigentlich will sich der Sportler zeigen, aber er erhält die Chance dazu nicht und macht sich um seine Zukunft Gedanken.“ Der Job von Lorang ist es auch, durch engen Kontakt mit seinen Sportlern psychologisch auf sie einzuwirken. „Wir versuchen, sie zu beruhigen, ohne falsche Aussagen zu treffen.“

Gute Erinnerungen

Ängste, die auch mit guten Erinnerungen bekämpft werden können. Das letzte große Radrennen dieser Saison, Paris-Nice, konnte der deutsche Rennstall für sich entscheiden. Nach den sieben Etappen stand am Ende der 26-jährige Deutsche Maximilian Schachmann ganz oben auf dem Podest. Doch aufgrund der Coronakrise geriet sein Sieg in den Hintergrund. „Medial hat er vergleichsweise nicht viel Aufmerksamkeit bekommen“, sagt Lorang. „Doch das war berechtigt. Bei der Coronakrise geht es um die Gesundheit der Menschen weltweit.“ Sportlich sei der Sieg von Schachmann für die deutsche Mannschaft aber von hohem Stellenwert gewesen, auch wenn einige Mannschaften, wie Team Ineos, wegen des Virus nicht am Start waren. „Wir haben auch überlegt, ob es sicher für Fahrer und Staff sei“, verdeutlicht Lorang. In den Medien hätte es auch ein negatives Bild abgeben können, in Paris zu starten, letztendlich habe man aber den Gesundheitsministerien vertraut. „Wenn es nicht sicher gewesen wäre, hätten sie das Rennen abgesagt.“

Sollte die Tour stattfinden, würde die Maschinerie schnell wieder laufen. Wir müssen bereit sein. Hinterher fragt keiner mehr, warum wir nicht vorne mitfahren konnten.

Dan Lorang, Trainer Bora-hansgrohe

Vorerst wird bis zum 31.5.20 kein Radrennen mehr stattfinden – dann soll mit dem Critérium du Dauphiné die Saison wieder aufgenommen werden, drei Wochen später soll die Tour de France starten. „Wir planen mit diesen Rennen, solange sie nicht offiziell abgesagt werden. Sollte die Tour stattfinden, würde die Maschinerie schnell wieder laufen. Wir müssen bereit sein. Hinterher fragt keiner mehr, warum wir nicht vorne mitfahren konnten.“ Wann der Rennbetrieb wieder aufgenommen wird, ist jedoch noch völlig unklar. „Wir versuchen, den Athleten Verunsicherungen zu nehmen, aber wir behaupten nichts, was wir nicht wissen“, sagt Lorang. „Der Athlet darf nicht das Gefühl bekommen, dass das Trainerteam planlos ist. Das ist wohl das Schlimmste, was passieren könnte.“ Die Einheiten, die die Sportler derzeit absolvieren, könnten sich auch in den nächsten Jahren bezahlt machen. „Wenn ein Sportler in diesem Monat ein besseres Niveau erreicht, dann wird es im nächsten Jahr umso einfacher für ihn, dieses Niveau erst zu bekommen, dann zu verbessern.“ Umso wichtiger sei es, auch in der wettkampfsfreien Zeit die Trainingsinhalte anzupassen und nicht zu vernachlässigen. Denn ein Motivationsverlust in der aktuellen Situation würde sich „negativ auf die nächsten Saisons auswirken“.

Dan Lorang ist seit dreieinhalb Jahren Trainer bei Bora-hansgrohe
Dan Lorang ist seit dreieinhalb Jahren Trainer bei Bora-hansgrohe Foto: bora-hansgrohe