„Keine halben Sachen“: Anne-Sophie Harsch erklärt, warum sie ihre Radsportkarriere beendet

„Keine halben Sachen“: Anne-Sophie Harsch erklärt, warum sie ihre Radsportkarriere beendet

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Vor rund zwei Wochen teilte Anne-Sophie Harsch mit, dass sie sich vom Hochleistungssport zurückziehen würde, um sich voll und ganz ihrem Studium zu widmen. Das Tageblatt hat mit der 20-Jährigen auf ihre fünfjährige Karriere im Radsport zurückgeblickt. Die Zeitfahrspezialistin erklärte, wie sie zu dieser Entscheidung kam, gab aber auch zu verstehen, dass sie mit ihrem Sport, der ihr persönlich viel gebracht hat, in Verbindung bleiben wird.

Von Mario Nothum

Tageblatt: In welchem Alter haben Sie mit dem Radsport angefangen und wie kam es dazu?

Anne-Sophie Harsch: Meine Brüder und ich waren als Kinder des Öfteren bei meiner Großmutter im Schwarzwald die Berge erkunden. Dies ging natürlich am schnellsten mit dem Rad. Den Radrennsport entdeckte ich aber erst mit 14 Jahren, als ich mich dem Verein Hirondelle Schüttringen anschloss. Mit 15 bestritt ich meine ersten Rennen.

Sie sind anschließend zum SaF Zéisseng gewechselt. Welche Rolle hat der Verein in Ihrer Entwicklung gespielt?

Dem SaF Zéisseng, dem ich mich 2016 angeschlossen habe, kommt eine große Bedeutung in meiner Entwicklung zu. Nicht nur, weil mein damaliger Trainer (Michel Zangerlé, d. Red.) auch Haupttrainer des Vereins war, sondern auch, weil wir intern eine gute Gemeinschaft gepflegt und viele Trainingslager, Rennen und Ausfahrten zusammen bestritten haben.

Was haben Sie von Christine Majerus gelernt, die ja auch in Cessingen angefangen hat?

Es gibt wenige Menschen, die sich mit so viel Energie und Motivation in etwas hineingearbeitet haben wie sie. Durch ihren unermüdlichen Einsatz, ihren Tatendrang und ihre Überzeugung hat sie nicht nur den Luxemburger Frauenradsport auf ein anderes Level gehoben, sondern auch zu einer anderen Auffassung der Frauenrolle in der Gesellschaft beigetragen.

Recht schnell haben Sie mit guten Ergebnissen auf sich aufmerksam gemacht. Hat Sie diese schnelle Entwicklung überrascht?

Anfangs, als ich das erste Zeitfahren meines Lebens sofort gewonnen hatte, war es schon ein sehr ungewohntes Gefühl. Ich merkte auch, dass diese plötzliche Entwicklung viele in meinem Umfeld erstaunte. Ich habe im Radsport neue Ideale, Ziele und Träume gesehen, die mich dazu brachten, mich selbst immer wieder zu übertreffen. Somit waren die Resultate in meinen Augen zweitrangig. Ich war immer – und diesen Charakterzug habe ich seitdem nicht mehr abgelegt – zufrieden, wenn ich wusste, dass ich mein Möglichstes getan hatte. Diese innere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, je nachdem, war unbeeinflusst von der tatsächlichen Platzierung. Dass ich es innerhalb von zwei Jahren bis zur Weltspitze in meiner Alterskategorie geschafft habe, war nicht zuletzt Ausdruck meiner Strebsamkeit und meiner Trainingsdisziplin.

Was bedeuten Ihnen die nationalen Titel?

Die Landesmeistertitel sind freilich eine besondere Ehre, dennoch repräsentieren sie nicht den eigentlichen Frauenradsport. In einem kleinen, heterogenen Fahrerfeld fährt nach einer gewissen Zeit jeder nach seinem Leistungsvermögen. Beim nationalen Zeitfahren kann man wohl am meisten Zufriedenheit mitnehmen, da dies ein recht guter Indikator des aktuellen Trainingszustandes ist.

Bei der WM 2017 fuhren Sie im Straßenrennen bis zum Schluss um den Titel mit und konnten sich am Ende über Platz neun freuen. Welche Erinnerungen haben Sie an die Titelkämpfe, aber auch an die Spiele der Kleinen Nationen in San Marino?

Die Atmosphäre der beiden Ereignisse, San Marino und das norwegische Bergen, war einzigartig. Von San Marino bleiben mir die Rennen, die Stadterkundungen mit Edie (Rees, d. Red.) und die Unterbringung in einem Kloster in humorvoller Erinnerung. Bergen war eindrucksvoll organisiert, das Straßenrennen war eines der wenigen, mit denen ich vollends zufrieden war.

Vor zwei Jahren haben Sie Ihr Pensum aufgrund Ihres Abiturs zurückgeschraubt. Dennoch sprang bei der Straßenmeisterschaft Bronze heraus und im Zeitfahren sogar Silber, nur eine Minute hinter Christine Majerus …

An die „Première“ habe ich wohl die besten Erinnerungen. Ich stand oft gegen vier Uhr auf, lernte und fuhr dann mit dem Rad zur Schule, hier und da mit Umweg. Ich empfand den Leistungsdruck als einen positiven Stress, der mich in meiner Mitte hielt. Dass die Saison 2018 nach dem Abitur so gut lief, hat wohl damit zu tun, dass ich mir selbst im sportlichen Bereich keinen Druck machte. Letzten Endes sprang bei der „RasnamBan“, einem großen Etappenrennen in Irland, noch ein sechster Platz in der Gesamtwertung heraus.

Was hat den Ausschlag zu Ihrem Rücktritt gegeben?

Ausschlaggebend war meine Studienwahl. Ich habe letztes Jahr versucht, einen Mittelweg zwischen Radsport und Universität zu finden. Doch ich habe schnell gemerkt, dass so ein Mittelweg nichts für mich ist. Nun habe ich mich dazu entschlossen, einen Doppelmaster in Deutsch-Französischem Recht zu verfolgen. Den Leistungssport verlasse ich also in gewisser Weise nicht, auch wenn es nun um Gehirnjogging geht.

Nach Pit Leyder sind Sie das zweite Riesentalent binnen kurzem, das völlig überraschend eine bis dahin vorbildliche sportliche Karriere abbricht …

Ich denke, man sollte diese persönlichen Entscheidungen nicht polemisieren. Es gibt die einen, die mit dem Radsport glücklich werden, es gibt andere, die sich eine duale Karriere wünschen, und es gibt noch jene, die ihren primären Fokus auf ihre Studien richten. Nur weil man zum Beispiel ein Riesentalent im Zeichnen ist, muss man ja auch nicht hauptberuflich Künstler werden.

Welche waren Ihre Beweggründe und wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?

Ich habe mich nach dem Abitur einer dualen Karriere gewidmet. Leider merkte ich aber rasch, dass dies mich weder sportlich noch schulisch zufriedenstellte. Ab Mai konzentrierte ich mich dann nur noch auf den Radsport, was mir zwar einen 13. Platz bei der EM im Zeitfahren der U23 einbrachte, dennoch blieb die persönliche Zufriedenheit aus. Ich hinterfragte meine Entscheidungen schon eine ganze Weile und spürte, dass sich meine Einstellung gegenüber dem Spitzensport veränderte. Es war anfangs sehr schwer, sich selbst diesen Entwicklungsprozess einzugestehen, dennoch brachte der Studienanfang die Sicherheit, dass ich hier meinen eigenen Zielen und Wünschen näherkomme.

Was hat der Radsport Ihnen persönlich gebracht?

Durch den Radsport habe ich vor allem gelernt, dass es auf den Einsatz ankommt. Mein Durchhaltevermögen und mein stetiger Verbesserungswille wurden gefördert. Ich habe gelernt, eine asketische Lebensweise anzunehmen und mich nicht von gesellschaftlichen Zwängen beeindrucken zu lassen. Vor allem aber wurde mir bewusst, dass es in allen Lebensbereichen auf die richtige Einstellung ankommt. Wer mit Feuer und Eifer an die Dinge herangeht, wird immer ein besseres Ergebnis erzielen als einer, der dies ohne ein gewisses Maß an Leidenschaft tut.

Gab es auch schwierige Momente?

Besonders herausfordernd war die diesjährige Saison; ich bin oft gestürzt, brach mir den Arm, erlitt Prellungen und wurde öfters krank. Letzten Endes ist mir rückblickend bewusst geworden, dass meine Saison nicht als Grund für mein Aufhören, sondern eher als Folge einer bereits unterbewusst getroffenen Entscheidung zu verstehen ist.

Haben Sie schon eine Idee, wo Ihr beruflicher Weg hinführen soll?

Beruflich würde mich der Bereich des internationalen Rechts interessieren. Daher visiere ich auch einen deutsch-französischen Master an. Es macht mir Spaß, mich mit den verschiedenen Rechtssystemen auseinanderzusetzen und so die Regeln des gemeinschaftlichen Zusammenlebens besser zu verstehen. Ferner möchte ich mich auch ehrenamtlich engagieren und so beispielsweise in einem Projekt mitwirken, das Flüchtlingen das Radfahren beibringt.