Der Name und die Leistungen des Gegners sind logischerweise atemberaubend, aber kein Grund für Gilles Muller, vor Ehrfurcht zu erstarren: «Ich habe keine Angst. Ich habe Respekt, aber ich gehe nicht nur auf den Platz, um ihm die Hand zu schütteln. Ich will das Match gewinnen.»
Die Einstellung stimmt. Und diese Aussage ist im Kern nicht übertrieben, denn mit Bewunderung und Ehrfurcht geht man gegen Federer unter. Das Tennis ist auch präsent, wie der Schifflinger am Dienstag in seinem Erstrundenspiel gegen Julien Benneteau (Frankreich, 46) eindrucksvoll bewiesen hat.
Federer-Coach Lüthi: «Gefährlicher Gegner»
Auch beim Gegner ist das angekommen: «Wir wissen, dass er ein guter Spieler ist. Er hat viele Matches gewonnen dieses Jahr, es war zwar auf der Challenger Tour, aber es waren sehr viele Matches. Der Rasen kommt ihm entgegen mit seinem Aufschlag. Muller ist auf jeden Fall ein gefährlicher Gegner», so der langjährige Coach von Federer, Severin Lüthi, dem Tageblatt gegenüber.
Der Federer-Clan weiß natürlich auch um die Aufschlagstärke des Luxemburgers. Lüthi glaubt aber, dass es vor allem «wichtig ist, sich zuerst auf seinen eigenen Aufschlag zu konzentrieren. Das macht dann auch Druck auf Mullers Aufschlag. Man muss ruhig und positiv bleiben, auch wenn der andere gut aufschlägt. Meistens bekommt man immer eine Chance – und die muss man dann nutzen.»
Gestern stellte sich Federer bereits auf das Duell mit einem Linkshänder ein: Beim Training im Aorangi Park stand mit Jiri Vesely (Tschechien) ein Linkshänder auf der anderen Seite: „Wir machen das immer so. Auch am Spieltag selbst wird das Training mit einem Linkshänder sein. Es ist eben anders, auch von der Optik her. Es ist gut, wenn man sich ein wenig darauf eingestellt hat. Und generell ist es sicherlich nicht schlecht, wenn man regelmäßig mit einem Linkshänder spielt.“
Federers Bilanz gegen Linkshänder ist auf jeden Fall positiv: 99 Siege stehen in der Karriere 35 Niederlagen gegenüber.
René Stauffer, Journalist bei der Schweizer Tageszeitung Tages-Anzeiger und Autor der Federer-Biografie „Das Tennis-Genie“, stellte gegenüber dem Tageblatt in Frage, «wie hungrig Federer noch ist». Und Stauffer gibt Muller einen Rat: «Gilles soll ruhig an sich selbst glauben. Federer spricht immer nur davon, das Turnier zu gewinnen. Vom Rest ist keine Rede. Manchmal scheinen ihm in letzter Zeit einige Prozent zu fehlen.»
Für Toni Nadal, Trainer von Rafael Nadal, ist derweil Gilles Muller «’un joueur compliqué’, der sehr schnell spielt und einen guten Aufschlag hat».
Der Hauptakteur aus Luxemburger Sicht geht auf jeden Fall entspannt und ruhig in das vierte Duell mit dem Schweizer (3:0 Federer): Muller ist der Außenseiter, eine Rolle, die ihm in der Vergangenheit immer gut stand.
2013 schied Roger Federer bei den All England Championships in Runde zwei aus: Sergyi Stakhovsky (Ukraine) zermürbte den Schweizer mit einem konsequenten Serve-and-Volley-Spiel. Der Ukrainer ging mit jedem ersten Aufschlag ans Netz. Diese Taktik wird Muller nicht anwenden: «Dies darf man sicherlich nicht zu hoch einschätzen. Ich habe einen Teil dieser Begegnung gesehen: da stand nicht der normale Roger Federer auf dem Platz. Und ich sage das mit allem Respekt für Stakhovsky, gegen den ich noch nie gewonnen habe. Federer hat sehr schlecht gespielt. Er war mental in einem Loch. Es ist schwer zu vergleichen, wie Federer jetzt spielt», so Muller.
Generell ist es aber wichtig, Federer nicht zu viel Rhythmus zu geben: «Wenn mein Aufschlag gut kommt, ist es schwierig für den Gegner, einen Rhythmus zu bekommen. Ich werde nicht die ganze Zeit Serve-and-Volley spielen. Ich variiere lieber. Ich denke, das ist dann noch unangenehmer, wenn der Gegner nicht weiß ‚kommt er jetzt nach vorne oder nicht’.»
Was den Platz angeht, wird es eine große Umstellung: von Platz 11, wo die Mülltonnen geleert werden, auf den Centre-Court, wo fast 15.000 Zuschauer Platz finden. Aber auch dies macht dem Spora-Spieler nicht viel aus: «Du bist trotzdem Teil des Turniers. Und die Stimmung ist immer speziell. Und du bist 50 m Luftlinie vom Centre-Court entfernt. Ich habe kein Problem, jedes Jahr nur bei den Mülltonnen zu spielen, wenn ich dort immer einige Runden gewinne.»
Es wird Mullers Premiere auf dem Centre-Court werden. Alles wird anders sein als auf den anderen Plätzen: der Auslauf, der Rasen, die Tribünen … Einstellen darauf kann er sich erst heute, wenn er auf den Platz geht, denn auf den großen Plätzen darf in Wimbledon nicht trainiert werden: «Ich werde meine Anhaltspunkte finden, wenn ich auf den Platz komme. Das ist dann ein Vorteil für ihn, da er bereits oft dort gespielt hat. Ich denke, dass dies für mich normalerweise kein Problem darstellen dürfte, da ich auch regelmäßig auf größeren Plätzen gespielt habe. Ich werde wohl ein, zwei Spiele benötigen, bis ich zurecht komme. Wenn ich dann nicht sofort unter die Räder komme, dann verläuft das normal.»
Gut eingespielt: Doppelsieg
Bestens «eingespielt» hat sich Muller am Mittwoch mit seinem Coach Jamie Delgado im Doppel. Das Duo holte einen 0:2-Satzrückstand auf (Delgado: «Zu Beginn habe ich noch immer gecoacht und nicht gespielt») und setzte sich mit 2:6, 2:6, 7:6 (3), 6:3 und 6:2 gegen Lu/Sharan (Taipeh/Indien) durch.
Die Zweitrundengegner heißen Jamie Murray/John Peers (Großbritannien/Australien/Nr. 14).
Jamie Delgado spielt übrigens 2014 sein 23. Wimbledon in Serie. Das ist laut dem Internationalen Tennisverband ITF ein Rekord. Von 1992 bis 1995 spielte Mullers Coach die Junioren-Konkurrenz und seit 1995 bei den Profis.
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