Die Geschichte in Kurzform: Behm überquert die Grenze von der Türkei nach Syrien. Dieser Übergang ist bekannt für die Terroristen, die in den Irak wollen. Nach etwa 25 km macht er ein Foto von einer Raketenanlage gleich neben der Straße. Er wird verhaftet, von einer Polizeistation nach Lattakia ins Gefängnis und dann nach Damaskus gebracht. Nach acht Tagen kommt er wieder frei. Der Gefängnisaufenthalt liegt jetzt einen Monat zurück. Mit ein bisschen Abstand spricht der Extremsportler mit dem Tageblatt über das Geschehene, nicht nur in Syrien, und blickt auch voraus.
Tageblatt: Wie geht es Ihnen? R. BEHM STECKBRIEF
o Geboren am 12.8.1952
o Wohnhaft in Ell
o Beruf: bis 2001 Finanzfachmann
o 6 der „Seven Summits“ (der jeweils höchste Gipfel der 7 Kontinente): Kilimanjaro (5.895 m/Afrika), Elbrus (5.642/Russland), Aconcagua (6.959 m/Südamerika), Mount Vinson (4.897 m/Antarktis), Carstensz-Pyramide (4.884 m/Australien), Mount McKinley (6.195 m/Alaska).
Am Mount Everest (8.848 m) war Behm 2004 auf 7.300 m umgekehrt.
o 2005: erster Luxemburger am Südpol
o 2006: mit dem Hundeschlitten zum Nordpol
o 2008: Sieger beim Race Across America in einem
Vierer-Team in der Alterskategorie 50-59 Jahre
o Internet:
www.behm.lu
Raymond Behm: „Eigentlich ganz gut. Drei, vier Tage nach meiner Rückkehr nach Luxemburg war ich wieder okay. Dennoch wache ich nachts immer wieder wegen Albträumen auf. Zu Beginn bin ich wach geworden und lag in meiner Zelle.“
„T“: Machen Sie sich im Nachhinein Vorwürfe, diese Route gewählt zu haben?
R.B.: „Nein. Hätte ich das Foto nicht gemacht, wäre mir nichts passiert. Die Syrer sind im Grunde nette Leute. Was man nicht unbedingt von der politischen Führung des Landes behaupten kann.“
„T“: Wie lautet Ihre Erklärung für die Freilassung?
R.B.: „Es gibt zwei Möglichkeiten. ‹Si hu mech lafe gelooss, well ech en domme Jong sinn.› Dagegen spricht aber, dass ich zu früh raus kam. Ich kenne die Geschichte eines Deutschen, der in seinem Pass einen Stempel aus Israel hatte, nach Syrien kam und fünf Wochen verschwunden war. Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass der Chef des libanesischen Geheimdienstes seinen Kollegen beim syrischen Geheimdienst angerufen hat. Auf Initiative des luxemburgischen Konsuls im Libanon, der hatte die richtigen Kontakte.“
„T“: Wo sind Sie nach Ihrer Verhaftung hingebracht worden?
R.B.: „Am ersten Tag war ich auf drei verschiedenen Stellen. Zuerst haben sie mich auf eine Polizei- oder Militärstation gebracht; danach nach Lattakia ins Gefängnis. Am zweiten Tag kam ich nach Damaskus. Ich saß in mehr Gefängnissen, als ich Plattfüße hatte. In beiden Gefängnissen habe ich nie eine Person in Uniform gesehen. ‹Dat ware scho rau Saachen.› Jeden Morgen sagten sie, ‹du kannst nach Hause. Das war alles ein Irrtum.› Ab dem dritten Tag hatte ich mich im Griff und wusste, dass sie mich belügen.“
„T“: Wie wurden Sie behandelt?
R.B.: „Sie haben mir Vorwürfe gemacht, die nicht gestimmt haben: Z.B. haben sie mir versichert, sie hätten Zeugen, die gesehen haben, dass ich bei den Raketen übernachtet habe. Am zweiten Tag habe ich nach einem Anwalt und einem Vertreter meines Landes gefragt. Das war der einzige Moment, bei dem ein Dolmetscher zugegen war. Sonst ging alles auf Arabisch. Mein Arabisch war gut genug, um ihnen mitzuteilen, was ich benötigte. Sie haben immer gesagt, sie würden sich um alles kümmern und meine Familie wüsste Bescheid. Als mir bewusst war, dass sie mich immer wieder anlügen, sagte ich mir, dass ich auf keinen Fall nur rumsitzen und grübeln darf. Ich musste Geist und Körper beschäftigen. Ich hatte kein Bett, keine Matratze, kein Waschbecken, keine Toilette, kein Fenster. Nur eine Kamera. Das Licht brannte 24 Stunden am Tag. Ich sagte mir die wenigen Gedichte auf, die ich kenne. Ich sang mir Lieder im Kopf vor, machte Kopfrechnen. Dann begann ich, meine Runden in der Zelle von acht Quadratmetern zu drehen. Am letzten Tag kam ich auf 16 Kilometer.“
„T“: Wie haben Sie die Inhaftierung mental verarbeitet?
R.B.: „Im Gefängnis bin ich nicht in Panik geraten. Ich war überrascht. Ich hatte nur Angst, verprügelt zu werden. Ich hatte mir geschworen, ‹du darfst hier drin nicht weinen›. Als ich nach acht Tagen rauskam, habe ich nichts gespürt, konnte nicht weinen. Da war die Blockade.“
„T“: Wie war die Beziehung zu den Wärtern?
R.B.: „In Lattakia kam ein Wärter zu mir und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und deutete auf das Fenster. Ich weiß nicht, ob er mich reinlegen wollte. Ich habe nie daran gedacht, mir die Freiheit zu erkaufen. In Damaskus habe ich mich so organisiert, dass ich aus meiner Zelle rauskam. Dem Gefängnis-Arzt habe ich gesagt, ich müsste meine Cholesterol-Pillen jeden Tag nehmen. Diese müssten im Kühlschrank gelagert werden. Ich könnte ja dann jeden Tag ins Büro des Wärters kommen und meine Pillen holen. So blieb meine Zelle zum größten Teil offen. Wenn ich dann im Büro war, durfte ich einen Tee trinken.“
„T“: Schläge wurden Ihnen nicht angedroht?
R.B: „Ich hatte die ganze Zeit Angst, verprügelt zu werden. Am letzten Tag haben sie mir noch einen ‹message› mitgegeben: Ich musste mit ansehen, wie zwei Inhaftierte, zwei Jungen im Alter von etwa 15 Jahren, zusammengeschlagen wurden. Ich war ‹zufällig› im Büro des Chefwärters. Der Verantwortliche observierte mich während der ganzen Zeit. ‹Dat war ee Message.’“
„T“: Wie haben Sie die Reise nach der Entlassung fortgesetzt?
R.B.: „Als ich aus dem Gefängnis kam, fragte ich, ob ich weiterfahren kann. Auch wenn sie dies bejaht haben, gaben sie mir jedoch zu verstehen, dass es auch nicht schlecht wäre, wenn ich sofort das Flugzeug nehmen würde. Die letzte Etappe bin ich dann nach Beirut gefahren. Ich wollte selbst das Ende bestimmen und nicht von einem anderen auferlegt bekommen. Das war mit dem luxemburgischen Konsul und dem belgischen Botschafter abgesprochen und sie haben das auch verstanden. Sie empfahlen mir aber, mich mit dem Auto zur Grenze zu fahren. Ein Unfall wäre schnell passiert.“
„T“: Die Reise ist ja eigentlich nicht fertig, oder?
R.B.: „Durch zwei Unterbrechungen – Krankheitsfall in der Familie und Gefängnis-Aufenthalt – reichen Zeit und vor allem die Visen nicht mehr aus. Nach Syrien kann ich sowieso nicht mehr zurück. Das tut mir leid, da ich vor allem die arabischen Länder kennenlernen wollte.“
„T“: Wie stufen Sie diese Geschichte in Ihrer langen Reihe von Extremsport-Erfahrungen ein?
R.B.: „Ich war sicherlich schon einige Male in Lebensgefahr, das war punktuell. Hier wusste ich nicht einmal, wo ich war. Ich hatte mich zum Schluss auf sechs Monate eingestellt.“
„T“: Haben Sie bereits neue Pläne?
R.B.: „Auf jeden Fall. Die Idee, die logistisch jedoch schwer umzusetzen sein wird, stand bereits vor diesem Unterfangen. Genaueres kann ich noch nicht verraten. Außerdem werde ich die Syrien-Erlebnisse in einem Buch zusammenfassen.“
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