Tageblatt: Bei der Autogrammstunde hatten Sie vor lauter Andrang kaum Platz zum Atmen. Die jungen Kicker sind alle absolut begeistert davon, Sie hier auf dem Fußballplatz der US Hostert zu sehen. Wie haben Sie diesen Empfang erlebt?
Gerson Rodrigues: Es ist unbeschreiblich. Als ich hier eintraf, waren alle furchtbar aufgeregt und euphorisch. Kevin (Lacroix, der Jugendkoordinator der US Hostert) hat mir berichtet, dass in den ersten beiden Tagen des Trainingslagers bereits sehr gut und konzentriert gearbeitet wurde. Ich habe das Adrenalin förmlich gespürt, als ich den Platz betreten habe. Jeder ist glücklich, ein Teil dieses Teams zu sein. Ich spüre diese positive Energie. Es ist genau das, was ich wollte: Kinder zusammenbringen und ihnen zeigen, dass man etwas erreichen kann, wenn man daran glaubt. Das hat mich auch motiviert, mir die Schuhe zu schnüren und selbst mit ihnen zu kicken. Ich will nicht nur hier auftreten und für Fotos posieren: Ich will das Gleiche fühlen wie sie. Sie sind alle sehr aufmerksame Zuhörer gewesen. Es ist top. Ich habe viel Talent gesehen.
Sie wollen mit mir reden und alles erfahren: Was ich esse, trinke und ob ich eine Freundin habe
Wie engagiert ging es auf dem Platz zu?
Ein paar haben sogar Tacklings versucht und mich zum Eins-gegen-eins aufgefordert (lacht). Einer meinte, er würde mich gleich tunneln. Dieses Selbstbewusstsein ist wirklich genial. Es geht ihnen eben nicht nur um ein Autogramm, sondern um Erfahrungen auf dem Fußballplatz. Sie wollen mit mir reden und alles erfahren: Was ich esse, trinke und ob ich eine Freundin habe (lacht). Das sind nur ein paar der Fragen, die sie mir gestellt haben. Manchmal fragt man sich da schon, ob man wirklich darauf antworten soll. Es ist alles sehr lieb gemeint, man spürt einfach, dass dies bei den Kindern alles von Herzen kommt. Darum macht es mir noch mehr Freude, mit ihnen auf dem Platz zu stehen.
Was bedeutet es für Sie, heute das Idol von so vielen jungen Spielern zu sein?
Mir gibt das unendlich viel Power. Man sagt sich im Kopf, dass man weiter Gas geben muss. Für genau diese Kinder, für mein Land und für alle, die auf mich schauen. Ich will Gutes tun. Das mache ich hier, indem ich den Kindern die Energie und die Überzeugung vermittele, dass sie es schaffen können. So etwas stand mir damals nicht zur Verfügung, als ich in ihrem Alter war. Da ist kein Profi vorbeigekommen, den ich hätte bei einem Trainingslager treffen und anfassen können. Zudem bekommen sie Visibilität und können ihre Qualitäten zeigen. Ich habe mir die Türen damals selbst geöffnet. Heute habe ich Schlüssel in der Hand, mit denen die Kids sich ihre Türen aufschließen können, wenn sie wollen. Das ist wichtig.
Warum liegt Ihnen das Camp am Herzen?
Als Kevin und ich erstmals über die Idee eines Trainingslagers geredet haben, war ich sofort einverstanden. Inzwischen habe ich eben die Möglichkeit, den Kindern etwas zu bieten, was ich damals nicht hatte. Ich will ihnen zeigen, dass jemand für sie da ist. Obschon wir ein kleines Land sind, gibt es Profis, die hinter ihnen stehen und ihnen helfen wollen.
Welchen Star hätten Sie als Kind gerne kennengelernt?
Ronaldinho bin ich noch nicht über den Weg gelaufen. Davon träume ich noch immer. Cristiano Ronaldo war ebenso ein Vorbild. Jetzt folgt er mir sogar auf Instagram, das ist einfach verrückt. Ich kann zwar nicht behaupten, dass wir beste Freunde sind, aber er kennt mich. Das bedeutet auch irgendwie, dass ich etwas erreicht habe. Deshalb ist es meine Rolle, dem Nachwuchs den richtigen Weg zu zeigen. Und etwas anderes ist dabei genauso wichtig: Ich wollte ihnen heute auch vermitteln, dass jeder mal Fehler macht. Wenn ich ihnen dann sage: „Es ist alles in Ordnung, mach’ weiter“, dann stehen sie wieder auf und wollen es besser machen. Das macht mich stolz.
Wie kam Ihre Karriere damals ins Rollen?
Ich bin 2003 mit neun Jahren nach Luxemburg gekommen. Mein erster Klub war damals die Union. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter beim Verein anklopfen musste, damit ich spielen konnte. Es gab keine Visibilität und ich hatte damals nur auf der Straße gekickt. Zwei Jahre später hat der FC Metz ein Trainingslager für die 150 besten Luxemburger organisiert. Sie haben fünf oder sechs Spieler für ihr „Centre de formation“ ausgewählt – und ich war einer davon. Ich habe eben genau aufgrund eines Trainingslagers meine Fußballschule in Metz machen können. Dort wurde mir dann bewusst, dass ich meine Chance ergreifen musste. Und das erklärt auch, wieso mir dieses Camp so sehr am Herzen liegt.
Was war die höchste Hürde, die Sie überwinden mussten?
Ich wusste damals nicht genau, ob eine Fußballkarriere für mich infrage kommen würde. Das Schwerste war also, die nötige Überzeugung aufzubringen – für mich selbst. Das kam dann in Metz, als ich diesen Alltag kennengelernt habe, mit der Kombination von Schule und Fußball. Es ist nicht einfach. Es ist sogar sehr anstrengend gewesen. In diesem Alter von der Familie getrennt zu sein, ist nicht immer leicht zu verkraften. Wenn man im Kopf dazu bereit ist, kommt die Kraft, um es zu schaffen, von ganz alleine.
Was ist in diesem Alter entscheidend, wenn man im Fußball etwas erreichen will?
Gute Frage. Ich denke, dass es auf den Willen ankommt. Man soll nicht nur zum Training gehen, weil die Freunde es auch tun. An sich selbst zu glauben ist schon mal die Grundlage. Man braucht viel Energie. Wenn man mal mehr Hausaufgaben hat als sonst, darf das keine Entschuldigung sein, um das Training sausen zu lassen. Dann muss man die Zeit finden, um alles unter einen Hut zu bekommen.
Letzte Frage: Wie kam dieses GR10-Camp überhaupt hier in Hostert zustande?
Kevin (Lacroix) war mein Kapitän in Hesperingen. Ich war damals 16 und bei meinem ersten BGL-Ligue-Spiel habe ich von niemandem einen Pass bekommen. Jeder dachte, ich würde den Ball gleich wieder verlieren. Nur Kevin hat mich damals nach vorne geschickt und rief „Geh!“. Er war immer für mich da, hat mich zu Hause abgeholt, da ich noch keinen Führerschein hatte. Er war wie ein großer Bruder. Als er letztes Jahr hier in Hostert als Jugendkoordinator unterschrieben hat, kam die Idee auf, ein Camp für den Nachwuchs zu organisieren. Ich habe gleich an meine eigene Vergangenheit gedacht. Es war richtig: Ich schaue hier nur in glückliche Gesichter, es ist eine geniale Erfahrung für uns alle.
Und plötzlich stand Gerson Rodrigues in der „Buvette“ …
Metty Cungs, Vizepräsident der US Hostert, hat eine ganz besondere Anekdote parat, wenn es um Gerson Rodrigues geht. Als der Klub sich im Sommer nach einem neuen Jugendkoordinator umsah, ging u.a. die Kandidatur von Kevin Lacroix ein. Der 38-jährige Franzose erschien wenige Tage später aber nicht alleine zum Gespräch, sondern hatte prominenten Besuch dabei – nämlich den Luxemburger Nationalspieler. Während der FLF-Angreifer alle Blicke in der „Buvette“ auf sich zog, lieferte sein Freund im Vorstellungsgespräch die besten Argumente. Und so kam es auch, dass Gerson Rodrigues ausgerechnet den „Gréngewald“ für sein allererstes Camp herauspickte.
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