Von Michelle Schmit
Donald Trump hat am 6. Dezember eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Er wird die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Wir haben uns mit zwei jungen Palästinensern über ihr Leben und die Reaktionen in Jerusalem unterhalten. Ende 1995 hatte der US-Kongress bereits beschlossen, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, allerdings konnte dieses Gesetz nur durch einen Erlass des Präsidenten in Kraft treten.
Dies hat Donald Trump nun am Mittwochabend offiziell getan. Mit seiner Entscheidung erkennen die USA Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels an. Während die meisten Nachrichtenagenturen nur Bilder von kämpfenden Palästinensern zeigen, gehen wir auch auf die „normale“ Zivilbevölkerung ein. Michelle Schmit (22) ist gebürtige Luxemburgerin, lebt zurzeit in Paris und schließt gerade ihren Master 1 in „Droit international général“ an der „Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne“ ab.
Sie reist regelmäßig in den Nahen Osten und hat für das Tageblatt die Jura-Studentin Mera Ghoul (22) und den Profifußballer Nader Sabbagh (25) interviewt. Beide leben in Ost-Jerusalem.
Nationalität annehmen?
Mera Ghoul, die Jurastudentin
Mera Ghoul ist 22 Jahre alt, gebürtige Bürgerin von Jerusalem und Palästinenserin. Sie befürchtet, dass sie nun die israelische Staatsbürgerschaft annehmen muss, um in ihrem Zuhause Jerusalem bleiben zu können.
Was bedeutet Trumps Entscheidung für dich?
Für mich zeigt diese Entscheidung eindeutig, dass Präsident Trump und somit die USA nicht mehr objektiv im Nahost-Konflikt sind. Trump hat klar eine Seite gewählt: die Seite Israels. Somit beweist er nun offiziell, dass er pro Israel und gegen Palästina ist.
Was war die Reaktion der Palästinenser bisher?
Wut, und das nicht nur in Jerusalem, sondern im ganzen Westjordanland und in Gaza. Überall hat es Aufstände gegen diese Entscheidung gegeben.
Ich war am 9. Dezember mittags bei einem Protest in Salah al deen Street. Wir haben friedlich manifestiert, als auf einmal israelische Soldaten auf ihren riesigen schwarzen Pferden angeritten kommen, Gasbomben auf uns werfen und anfangen, Leute zu verhaften.
Was sind deine Befürchtungen?
Ich habe Angst, dass ich als Jerusalemitin nun dazu gezwungen werde, die israelische Nationalität anzunehmen, um in meinem Zuhause, Jerusalem, bleiben zu können. Das würde schwere Folgen mit sich bringen: Wir würden alle unsere palästinensische Identität verlieren.
Was stellt Jerusalem für dich dar?
Ich bin in Jerusalem aufgewachsen und habe mein ganzes Leben hier verbracht. Diese Stadt bedeutet alles für mich. Die Entscheidung Trumps ist in jedem Sinn eine schlechte Entscheidung, ob aus religiösen, kulturellen oder historischen Gründen. Jerusalem war, ist und wird immer die Hauptstadt Palästinas und eine der wichtigsten Pilgerstätte der drei monotheistischen Religionen bleiben.
Was tust du, um deinem Protest Ausdruck zu verleihen?
Ich habe eine Petition gegen Trumps Entscheidung unterschrieben und habe auch kein Problem damit, auf die Straße protestieren zu gehen, um meine Meinung und Solidarität mit allen Palästinensern zu zeigen.
Was werden die Konsequenzen mit Blick auf die Sicherheit in Jerusalem sein?
Unser Leben als Palästinenser, die in Jerusalem leben, wird sich drastisch verändern und wir werden mit neuen Problemen zu kämpfen haben. So zum Beispiel hat am gleichen Tag, als Trump diese Entscheidung getroffen hat, ein Siedler in Beit Jala sich auf einen Bulldozer gesetzt und unzählige Autos zerstört. Bei dieser Aktion kam eine Person ums Leben und 21 wurden verletzt.
Die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt war rücksichtslos, unüberlegt und stellt nun eine ernste Gefahr für den Frieden zwischen Muslimen, Juden und Christen dar. Aber was soll man erwarten, so sieht es heutzutage aus: Ein amerikanischer Präsident kann Jerusalem zur Hauptstadt Israels machen, ohne dass er auch nur das Geringste mit Palästina zu tun hat.
Falsches Spiel arabischer Staaten
Nader Sabbagh, der Profifußballspieler
Nader Sabbagh (25) ist professioneller Fußballspieler. Er kritisiert das falsche Spiel vieler arabischer Staaten und sorgt sich um seine Sicherheit. Es könnte noch „schwieriger und gefährlicher“ für die Palästinenser werden.
Was bedeutet Trumps Entscheidung für dich?
Diese Entscheidung ist schwerwiegend für jeden von uns. Wir wissen, dass Trump ein Geschäftsmann mit zu viel Geld ist. Diese Aktion ist allerdings ein klarer Beweis für seine Unwissenheit. Er hat kein Recht, über unser Land zu entscheiden. Trotz alldem gebe ich ihm nicht allein die Schuld: Er hat Abkommen mit sieben arabischen Ländern unterschrieben und diese haben die ganze Zeit über ein falsches Spiel mit uns gespielt und waren und sind in Wirklichkeit auf der Seite der USA. Und dies seit 1976 bis zum heutigen Tag.
Wie haben die Palästinenser bislang reagiert?
Mehr als 19 Gebiete unseres Landes zeigen eine eindeutige Reaktion: Palästinenser werfen Steine und verbrennen Autos. Die israelischen Soldaten antworten auf unsere Proteste mit Schüssen. Die nächste Intifada ist nah.
Was sind deine Befürchtungen?
Arabische Jerusalemiten befürchten, dass sie ihre palästinensische Nationalität aufgeben müssen, um nicht ihr Aufenthaltsrecht in Jerusalem oder andere Privilegien, wie Kranken- oder nationale Versicherungen, entzogen zu bekommen. Natürlich befürchte ich auch die Folgen einer nächsten Intifada. Durch die Unruhen könnte vieles zerstört und Menschen getötet werden. Trump hat bis jetzt die Existenz der Palästinenser komplett marginalisiert und die Reaktionen unsererseits werden dementsprechend ausfallen.
Was wird sich für dich konkret verändern?
Mir und den Palästinensern in Jerusalem geht es vor allem um Sicherheit. Wir sind uns bewusst, dass es von nun an noch schwieriger und gefährlicher sein wird, ein normales Leben zu führen und daher werden wir „unnötige“ Aktivitäten wie Sport treiben, Freunde treffen oder in eine andere Stadt fahren auf ein Minimum reduzieren.
Was repräsentiert Jerusalem für dich?
Jerusalem ist das „Heilige Land“ der ganzen Welt. Historisch gesehen ist es bewiesen, dass die drei monotheistischen Religionen hier gelebt haben. Das Problem ist aber, dass die Israelis uns nicht hier haben wollen. Dies zeigen das Töten von jährlich ungefähr 1.000 Palästinensern, das Umsiedeln von Muslimen, das Festnehmen von Kindern und Jugendlichen und die strengen Regeln, denen sich nur Palästinenser unterwerfen müssen, wie z.B. das Einfordern von Geldbußen und die Durchsuchungen an Checkpoints. Wir haben kein Problem damit, dass die Israelis gemeinsam mit uns in Jerusalem leben wollen, allerdings werden wir unsere Stadt verteidigen, wenn sie sie uns wegnehmen wollen.
Was werden die Konsequenzen bezüglich der Sicherheit in Jerusalem sein?
Die Konsequenzen sehen so aus: Ab nun werden ständig große schwarze Pferde auf den Straßen zu treffen sein, die nach den Menschen um sie herum ausschlagen werden; Protestierende werden mit Stöcken geschlagen; jedem Palästinenser, der während dieser Proteste festgenommen wird, wird sein Recht zu arbeiten entzogen, indem sie in seinen Papieren eine „political actor“-Notiz machen, sodass er auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben wird.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können