Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz
Der Sowjetdiktator Stalin ist vor 65 Jahren gestorben. Das offizielle ärztliche Gutachten nannte 1953 Gehirnschlag als Todesursache. Ein Forscher glaubt nun, Beweise für ein Komplott in seiner nächsten Umgebung gefunden zu haben: die «Operation Hamlet».
Das Interesse für Josef Stalin, der vor 65 Jahren aus dem Leben schied, hat in Russland deutlich zugenommen. Vor allem hört man immer wieder die Frage, was in Wirklichkeit geschah, als der Diktator starb. Das offizielle, Anfang März 1953 verbreitete ärztliche Gutachten nannte einen Gehirnschlag als Todesursache. Von Anfang an glaubten nur die wenigsten an diese Erklärung, obwohl sie durchaus glaubwürdig klang. Der Woschdj (Führer) war mit 75 Jahren nicht mehr der Jüngste und nicht der Gesündeste. Verbannungen nach Sibirien unter dem Zaren hatten seine Gesundheit angegriffen.
Ein ernst zu nehmender Forscher, aus dessen Feder vier Bücher über die Endzeit des Sowjetdiktators stammen, ist überzeugt, dass der selbsternannte «Vater der Völker» einem Komplott in seiner nächsten Umgebung zum Opfer fiel. Nach seiner Theorie wurde der Umsturz vom Geheimdienstchef Lawrenti Berija geplant. Nach Angaben des Historikers Nikolai NAD (eigentlich Nikolai Alexejewitsch Dobrjucha) soll Berija mitbekommen haben, dass der Kremlherr für den 2. März eine Säuberung geplant hatte, der die «alte Garde» zum Opfer fallen sollte. Also erkrankte Stalin am 1. März und wurde nie wieder gesund. Die Verschwörer wollten nicht die eigene Erschießung abwarten.
Angeblich Gift im Mineralwasser
NAD will eine direkte Bestätigung dafür in einem Leserbrief gefunden haben. Der Brief kam aus Kirgisien, sagte er jetzt in einem Interview der Tageszeitung Moskowski Komsomolez. Der Schreiber war Sohn des 1939 auf Berijas Geheiß erschossenen Stalin-Marschalls Alexander Jegorow. Er soll unter dem Namen Igor Bostrikow überlebt und besonders heikle Aufträge unmittelbar für Stalin erfüllt haben. Unter anderem hörte er heimlich die Telefonate von Berija ab. So erfuhr er von der «Operation Hamlet» zur Beseitigung des nationalen Führers. Stalin sei vergiftet worden. Das Gift habe er im Mineralwasser bekommen, das immer in einer Flasche an seinem Bett stand, heißt es.
Wenn es nicht das Mineralwasser war, dann sein Buch, das er vor dem Einschlafen zu lesen pflegte, glaubt der Presseminister und Vizeregierungschef des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin, Michail Poltoranin. Stalin habe die Angewohnheit gehabt, beim Umblättern der Seiten den Finger mit der Zunge zu befeuchten. Für den Historiker NAD gibt es keinen Zweifel, dass der Generalissimus in der «Nahen Datscha» am Moskauer Stadtrand durch Gift starb. Darauf weist unter anderem der ärztliche Bericht hin. Nach der Obduktion wurden im Magen und in seinem Darm charakteristische kleine Blutergüsse gefunden. Die Ärzte diagnostizierten trotzdem einen Gehirnschlag. Anderenfalls hatte man sie selbst als Giftmischer zum Tode verurteilt.
War der Tote aus der Datscha ein Doppelgänger?
Für NAD ist die Vergiftungsversion nichts Neues. Er fragt vielmehr, ob der Tote aus der Datscha Stalin war. Er vermisst in dem Obduktionsbericht wohlbekannte besondere Kennzeichen des Sowjetführers. Er enthält eine minutiöse Aufzählung aller Einzelheiten, nur keine besonderen Merkmale des Verstorbenen. Man müsse daraus schließen, dass ein Doppelgänger Stalins in der Datscha durch Gift sterben musste. Der einzige Sinn dieser Aktion bestand darin, den Verschwörern Zeit zu geben, damit sie miteinander klarkommen konnten.
Am 4. März 1953 hatte es eine Zeitungsmeldung gegeben, wonach Stalin einen Schlaganfall in seiner Wohnung im Kreml erlitten haben soll. In späteren Berichten wurde der Schlaganfall in die Datscha verlegt. Er habe eine Tonbandaufnahme einer Rede des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow bei einem Empfang der ungarischen Partei- und Regierungsdelegation am 19. Juli 1963 bekommen, berichtet NAD. Darauf gebe Chruschtschow, der offenbar nicht ganz nüchtern war, freimütig zu, dass Stalin im Kreml von Verschwörern umgebracht wurde. In den Zeitungen fehlte diese Passage am nächsten Tag. Auf dem Band sei sie aber erhalten geblieben, so der Historiker.
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