Von unserem Korrespondenten Thomas Roser
In Kosovos Hauptstadt Pristina hat die Feinstaubbelastung in den letzten Tagen ein neues bedrohliches Rekordniveau erreicht. Das Zentrum der Stadt ist für den Verkehr mittlerweile geschlossen. Vor allem veraltete Braunkohlekraftwerke machen das Atmen schwer.
Die schwere Luft von Pristina raubt den geplagten Bewohnern von Kosovos Hauptstadt den Atem. Wie ein mühsam keuchender Blasebalg schallt das unheilvolle Geräusch einer schwer atmenden Lunge über die Köpfe der Menschen mit den vor die Gesichter gespannten Atemmasken. „Wir wollen saubere Luft“, skandieren vor dem Parlament Hunderte aufgebrachter Demonstranten.
Jeden Winter, wenn die Kraftwerke und Haushalte vermehrt Braunkohle verfeuerten, nehme die Luftverschmutzung unerträgliche Ausmaße an, berichtet der 25-jährige Student Leart: „Es wird jedes Jahr schlimmer – und es passiert nichts. Warum wir in Kosovo eine Ökosteuer zu entrichten haben, weiß niemand.“
Weltweit größte Luftverschmutzung
„Atmen gefährdet ihre Gesundheit“, ätzt bitter ein Protestplakat. Tatsächlich kann sich Pristina laut den Messungen der US-Botschaft und heimischer Umweltschützer schon seit Tagen mit dem zweifelhaften Titel der Stadt mit der weltweit größten Luftverschmutzung schmücken. Jeden Winter würden die Politiker „alles Mögliche versprechen“, berichtet die Umweltaktivistin Miranda Muharremi: „Aber sobald der Frühling kommt, das Wetter besser wird und sich die Feinstoffbelastung vermindert, ist das Problem vergessen.“
Dicke Nebel- und Smogschwaden erschweren im nördlich der Hauptstadt gelegenen Obilic die Sicht auf die beiden größten Dreckschleudern auf dem Amselfeld. Das 1962 errichtete Braunkohlekraftwerk Kosovo A ist laut einer kürzlich in Brüssel veröffentlichte Studie das Kraftwerk mit dem höchsten Ausstoß an Ultrafeinstaub (PM2.5) in Europa. Das 1983 eröffnete Kosovo B folgt in der tristen Statistik auf dem dritten Rang. Einzelfälle sind Kosovos betagte Kraftwerke auf dem alljährlich von Wintersmog geplagten Balkan keineswegs: Die 16 Braunkohlekraftwerke der ex-jugoslawischen EU-Anwärter Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien stoßen fast doppelt so viel Ultrafeinstaub wie die insgesamt 296 Kohlekraftwerke aller 28 EU-Mitglieder aus.
Bevölkerung ist auf Kohle angewiesen
Merkwürdig still wirken in der Innenstadt von Pristina die leer gefegten Straßen. Nur Taxis, Busse und Diplomaten dürfen seit Mittwoch über die sonst so verkehrsumtosten Asphaltpisten des abgeriegelten Zentrums donnern. Doch eher hilflos wirken mitten im Winter die Aufrufe der Stadtväter, das Heizen mit Braunkohle einzuschränken. In dem bitterarmen Land, das über die fünftgrößten Braunkohlevorkommen der Welt verfügt, bleibt der fossile Brennstoff für viele die einzig bezahlbare Heizalternative.
Obwohl die EU wegen der hohen Luftbelastung die Abkehr von Kohlekraftwerken und das verstärkte Setzen auf erneuerbare Energien empfiehlt, hat Pristina im Dezember den Bau eines neuen Braunkohlekraftwerks, Kosovo C, für eine Milliarde Euro durch einen US-Konzern angekündigt. Die Regierung wolle ein „neues Tschernobyl“ in Obilic errichten, kommentiert empört die Agentur Balkan-Insight die umstrittene Entscheidung.
Mit der traditionellen Splis-Filzkappe auf dem Haupt und der Atemmaske vor dem Mund ist der Rentner Selatin Fazliu vor das Parlament gezogen. Er leide an Asthma und die schlechte Luft mache ihm jeden Winter zu schaffen, klagt der betagte Demonstrant. In Kosovo habe schon längst „die Mafia die Macht übernommen“: Die heimischen Würdenträger würden nicht nur stehlen, soviel sie können, sondern „sie rauben uns auch die Luft zum Atmen“.
Zu Demaart
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