Lange Jahre war er das Gesicht schlechthin des Forschungsinstitutes TNS Ilres. Als Quereinsteiger hat er jetzt die Seiten gewechselt. Die Rede ist von Charles Margue. Der 62-Jährige kandidiert bei den Parlamentswahlen für «déi gréng» und hegt reichlich Ambitionen.
Tageblatt: Was ist das für ein Gefühl, wenn man sich eine lange Zeit mit Politik in Studien und Umfragen auseinandersetzt und dann urplötzlich die Seite wechselt?
Charles Margue: Es ist ein gutes Gefühl. Ich fühle mich prächtig. Es scheint stimmig zu sein, mit dem, was ich immer tun wollte. Aktiv sein und die Zukunft mitgestalten, ohne allerdings so naiv zu sein, zu denken, dass man auch alles erreichen kann. Es ist toll, nun die Chance zu haben, einen beruflichen Wechsel zu machen und diese Herausforderung zu bekommen. Toll ist auch, dass ich mit vielen auch neuen Menschen zusammen bin. Kurz: Es bereitet mir bislang eine Menge Spaß.
Wie waren die Reaktionen?
Wow! Viel Glück! Alles Gute! Das tust du dir noch an?! Ich bekam über die sozialen Medien eine Menge Reaktionen und eine Flut an Glückwünschen. Vielfach, speziell von Patronatsseite, hieß es auch, dass die Privatwirtschaft viel häufiger Kandidaten in die Politik schicken müsste. Dabei habe ich das in den letzten 20 Jahren bei jeder Gelegenheit gepredigt. Es ist wichtig, den Graben zwischen Politik und Wirtschaft zu überbrücken. Mehr voneinander wissen und mehr miteinander reden. Die Politik geht in meinen Augen viel auf den Wähler zu, bleibt aber oft zu sehr unter sich. Die allerwenigsten haben Kontakt mit der Wirtschaft. Das hat in meinen Augen nichts mit politischer Couleur zu tun, denn es trifft auf alle zu, sogar auf die, die der Wirtschaft angeblich näher stehen.
Apropos Couleur. Hatten Sie schon immer eine Vorliebe für Grün, oder besser, waren Sie stets ein verkappter Grüner?
(lacht) Ich wurde von den Grünen angesprochen. Ganz klassisch. François Bausch fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Es war Anfang des Jahres. Dann habe ich mir das einige Zeit überlegt, ob es auch kalendermäßig aufgehen könnte – privat sowie beruflich. So ein Schritt ist ja auch mit Risiken verbunden. Die Grünen haben nicht so viele Sitze zu verteilen wie andere Parteien. Es wurde mir aber schnell klar: Jetzt oder nie. In fünf Jahren ist der Zug längst abgefahren. Wenn nicht jetzt, wann dann? Und irgendwann würde ich es dann bedauern. Auch das wurde mir immer klarer.
Zurück zur Farbe. Sie stammen aus einem schwarzen Familienhaus …
Das stimmt. Ich komme eigentlich aus der Dritten-Welt-Szene und wurde in den 70ern politisiert. Ich war bei den Jesuiten und vorher bei den Scouts. Es war auch die Zeit, in der die NGOs gegründet wurden. Ich habe einst Trakte verteilt gegen den Putsch in Portugal beispielsweise. Die Anfänge der grünen Bewegung mit den Protesten wegen der geplanten Atomzentrale in Remerschen habe ich jedoch nicht mitgekriegt, da ich zu dem Zeitpunkt in Paris studiert habe. Aber da haben wir uns auch gegen die Atomenergie aufgelehnt und protestiert. Tränengas, Demos … das waren bewegende Zeiten damals in den 70ern. Vieles war im Fluss. Aber mit GLEI oder GAP hätte ich mich nicht identifizieren können. Dann habe ich meine berufliche Laufbahn bei Ilres begonnen. Anfangs waren wir zu dritt als Forscher. Und irgendwann waren wir etwa zehn. Heute arbeiten dort 30 Mitarbeiter.
Wie sind Sie der TNS Ilres noch verbunden?
Ich bin bekanntlich seit dem 1. Mai freigestellt und habe mit dem operativen Geschäft rein gar nichts mehr zu tun und null Zugang zu irgendwelchen Daten und Informationen. Der Deal mit dem niederländischen Aktionär ist sehr fair abgelaufen. Ich bin bis November freigestellt, werde bis dahin aber weiter bezahlt. Und bis Ende November ist in Sachen Politik alles geklärt, denke ich. Für mich ist dies eine echte Geste der Betriebswelt und soziale Verantwortung ist in meinen Augen kein leeres Wort. Früher wurde immer reichlich Lobbyarbeit gemacht. Wenn einer politisch oder gewerkschaftlich aktiv wurde, hatte er stets die Unterstützung der Arbed z.B. Die Politik unterliegt ja vielen Zwängen. Ich kann gut verstehen, wenn die Wirtschaft sauer ist auf die Politik, wenn sie nicht richtig handelt und/oder keine Entscheidungen trifft.
Sind bzw. waren Sie stets ein verkappter Grüner?
Durch mein Leben zieht sich zweifellos ein grüner Faden. Als ich mein Haus gebaut habe, war mir das wichtig. Ich kaufe bewusst regional ein und trage z.B. ebenfalls Kleider, die dieser Gesinnung gerecht werden. Es gibt natürlich immer mal Inkohärenzen. Aber grün stets im nachhaltigen Sinne in Sachen Wirtschaft und Soziales. Danach habe ich schon mein Leben ausgerichtet.
«Aktiv sein und die Zukunft mitgestalten» haben Sie vorhin gesagt. Sie gehen also davon aus, dass die Grünen noch mal in die Regierung kommen?
Wenn ich nicht in die Chamber komme, geht die Welt nicht unter. Dann werde ich ab Dezember noch für einen bestimmten Zeitraum beratend für TNS Ilres arbeiten. Das ist auch Teil dieses Deals. Aber es ist exakt wie in der Zeitspanne zwischen 1974 und 1979, als die CSV in der Opposition war. Damals gab es ähnlich viel Reform-Bedürfnis, um das Land fit zu machen für die Zukunft wie heute. Wir wissen alle, dass nicht jede Regierung die Dossiers so schnell abgearbeitet hat wie die jetzige. Sonst wäre es ja nicht zu so einem Reformstau gekommen, aber vieles bleibt zu tun. Ja, ich habe mich politisch engagiert bei den Grünen, um unser Land weiterhin mitgestalten können. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Und ich versuche, Brücken zwischen Privatwirtschaft und Politik zu schlagen. Mag sein, dass der eine oder andere denkt, ich sei dafür doch viel zu alt. Ich war beim Nation-Branding-Prozess dabei genauso wie beim Rifkin-Prozess. Ich muss mich halt nur noch programmatisch einarbeiten. Und ich weiß auch ganz genau, was ich in Interviews sage und was nicht.
Noch einmal ganz konkret: Im Zentrum sind 21 Kandidaten auf der Liste. Wo landen Sie?
Man weiß nie genau, wie das ausgeht mit Kandidaten, die über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen. Das kann ganz gut ausgehen. Aber es gab auch Fälle, wo es schlecht ausging. Mein Vorteil ist, dass ich mir keine Gedanken über meine Zukunft machen muss. Die Zielsetzung ist klar: drei Sitze im Zentrum. Drei Sitze im Süden und dann jeweils einen im Norden und im Osten. Das wären dann acht Sitze. In allen Potenzialstudien, die ich kenne, scheint dies machbar zu sein. Allerdings ist der Groschen bei den Wählern noch nicht richtig gefallen. Es hängt demnach an der Partei, die Menschen zu überzeugen. In dem Sinne verstehe ich mich als Parteisoldat. Ich fühle mich wieder in einem Modus wie früher, als ich Schüler und an der Uni war und Plakate geklebt und Flyer ausgeteilt habe. Da ich beruflich freigestellt bin, habe ich zudem sehr viel Zeit. Und als Seiteneinsteiger will ich die ausgiebig nutzen. Im Klartext: Ich versuche die vorderen Ränge zu belegen.
Was ist Ihre Botschaft an den Wähler?
Die ist an und für sich ganz simpel: Wenn man gerne hätte, dass die Grünen weiterhin in der Regierung vertreten sind, unabhängig davon, welche Konstellation diese haben wird, dann bitte grün wählen. Denn ansonsten wird es schwarz-rot werden oder schwarz-blau. Und angenommen es gewinnen zwei Parteien Sitze hinzu, sprich die CSV und die Grünen, und es ist arithmetisch möglich, dann muss man der elektoralen Realität Rechnung tragen. Wenn indes Gambia weiter regieren soll, muss jede der drei Parteien in ihrer Wählerschaft ihre Truppen mobilisieren können. Wir haben bei den Gemeindewahlen sehr gut abgeschnitten, die CSV auch. Die anderen beiden Parteien haben weniger gut abgeschnitten. Es gibt kein Apriori und wir sind in einer Konstellation, wo es vier Partien gibt, die regierungsfähig sind. Und nicht nur drei. Und das entspricht meiner Gesinnung, aber auch voll und ganz dem Zeitgeist.
Gehört die lustige Brille zur Standardausrüstung für Grüne?