Von unserem Korrespondenten Chrëscht Beneké, Barcelona
Die Katalanen haben sich am Donnerstag ein neues Regionalparlament gewählt. Die Verhältnisse bleiben aber die gleichen. Die Separatisten haben die Mehrheit. Eine Lösung ist trotzdem nicht in Sicht. Ein Streifzug durch Barcelona lässt die Bewohner der Stadt zu Wort kommen.
Zwar ist dieser Freitag eigentlich ein normaler Arbeitstag, doch schon den ganzen Morgen sind die Fernsehsender live auf Sendung. Es herrscht der kleine Ausnahmezustand. So wie jeden 22. Dezember, wenn im stundenlangen Singsang die Gewinnzahlen der weltgrößten Lotterie der Welt ausgespielt werden und alleine auf den «El Gordo» 680 Millionen der ausgespielten 2,380 Milliarden Euro entfallen.
Im Straßenbild deutet bis auf die allgegenwärtigen Wahlplakate wenig darauf hin, dass rund zwölf Stunden vorher die Resultate der zur Schicksalswahl hochstilisierten Neuwahlen verkündet wurden. Doch dann kommt die Liveschalte aus Brüssel mit dem abgesetzten Präsidenten Puigdemont und der «El Gordo» aus Madrid wird nur noch klein am rechten unteren Rand eingeblendet.
Stimmung bleibt angespannt
Die Stimmung bleibt bei den meisten Katalanen zwar weiter angespannt, doch nach dem turbulenten Oktober hatte man einige Gänge runtergeschaltet und – nachdem die Nervosität die letzten Tage dann doch wieder nicht nur bei den Politikern merklich gestiegen war – ist im Moment bei vielen erst einmal Erleichterung zu spüren. Erleichterung, dass das Schlimmste abgewendet wurde.
Die knapp 40-jährige Sandra, deren Eltern aus Andalusien stammen und die mit ihren Kindern Spanisch spricht, sagt: «Ich bin keine Independista, war ich auch nie, aber ich habe trotzdem eine separatistische Partei gewählt. Wir müssen dieser Politik aus Madrid doch etwas entgegensetzen.»
Sie bezieht sich nicht nur auf den Artikel 155, die Inhaftierung führender katalanischer Politiker und die Polizeigewalt am 1. Oktober, sondern auch auf die Anfeindungen in den nationalen Medien, das generelle Unverständnis in Restspanien und die völlige Abwesenheit von Empathie, um die Argumente des jeweils anderen auch nur zu verstehen.
Gefährlicher Kern des Hasses
Viele Katalanen fühlen sich unverstanden, aber zitieren lassen sich unter ihrem ganzen Namen immer weniger Menschen. Staatliche und gesellschaftliche Repressionen und Einschüchterungen haben beide Seiten misstrauischer werden lassen. «Hast du eigentlich mitbekommen, dass die Guardia Civil mittlerweile die ganzen Veranstaltungen der Diada untersucht?», fragt mich die joviale Marta, die mit ihren beiden minderjährigen Mädchen wie über eine Million weiterer Katalanen seit 2012 jährlich an den ausnahmslos friedlichen und wie eine 400 Kilometer lange Menschenkette quer durch Katalonien 2013 als «Weg zur Unabhängigkeit» ziemlich kreativen Massendemonstrationen teilgenommen hat.
Die nationale Polizei urteilt jedoch, dass diese einen «gefährlichen Kern des Hasses gegen den spanischen Staat und seine Institutionen» in die Menschen pflanzte und damit «Teil der Straftat der Rebellion» sei, für die immer noch ein paar Politiker in Untersuchungshaft sitzen.
«Natürlich reden wir trotz unterschiedlicher Meinungen noch miteinander, alles andere sei eine Lüge, eine Legende, die von außen herangetragen wird. Von Leuten, die nicht wissen, wie Katalanen privat, innerhalb der eigenen vier Wände funktionieren», wundert sie sich über meine Frage, ob man wenigstens innerhalb ihrer Familie jetzt noch konfliktfrei die Feiertage begehen könnte.
Auch dramatische Worte sind zu hören
Obwohl der 50-jährige Joan Canadell ein entschiedener Unabhängigkeitskämpfer ist, findet auch er: «Viele Familien sind einer Meinung, Probleme gibt es eigentlich höchstens, wenn nur ein oder zwei Mitglieder völlig anderer Überzeugung sind und sich außen vor fühlen. Doch auch das regelt sich in Katalonien friedlich. Die Feiertage feiern wir allerdings nicht, da noch Politiker in Haft oder Exil sind.»
Eine 41-jährige Mutter benutzt dann dramatischeres Vokabular: «Untereinander wird viel mehr über Politik geredet, aber im Gegensatz zu früher klingt es nach Krieg mit einer einzigen Front. Es gibt nicht mehr Nationalisten, Liberale, Sozialdemokraten, Separatisten, Linke, Rechte, sondern es heißt nur noch: Haben die ‹Constitucionalistas› (die von der Verfassung, d.Red.) oder die ‹Independistas› gewonnnen?»
Die Wahlen haben zum wiederholten Mal das Bild eines zutiefst gespaltenen Katalonien bestätigt. Mein 57-jähriger Interviewpartner vom Donnerstag, Toni Novellas, klingt trotz des Wahlsieges seiner Ciutadans resigniert: «Mit diesen Resultaten lässt sich die Krise nicht lösen, sie verfestigt sich. Was will man mit konstant 50 Prozent dafür und 50 Prozent dagegen anfangen?», und geht dann wieder in den Angriffsmodus: «Ich gebe meinen Studenten immer einen Text, der sagt: Fanatiker ist jener, der nicht bereit ist, seine Haltung zu ändern. Unabhängig von Argumenten und ganz egal, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Und man sieht, dass es viele Fanatiker gibt.»
Es wird Zeit, dass das alles vorbei ist
Ein junger Soziologiestudent aus Barcelona gibt zwar seine politische Orientierung nicht preis, aber relativiert den Fanatismus und die Blockbildung: «Die Wahl reflektiert eigentlich das Stimmungsbild vom November zur Unabhängigkeit. Wenn man den Menschen aber eine dritte Möglichkeit von mehr Autonomie lässt, dann sind plötzlich 19 Prozent für die bestehende Situation vor dem 1. Oktober, 29 Prozent wollen die Unabhängigkeit und 46 Prozent reicht mehr Autonomie. Diese moderate Mehrheit der Wähler findet sich aber nicht im Resultat der Parteien, und auch ich habe strategisch gewählt.»
Ein älterer, freundlicher Herr meint dazu etwas ratlos: «Es wird Zeit, dass das alles vorbei ist. Mit dem 155 haben wir so wenig Autonomie wie seit 40 Jahren nicht mehr, aber gibt es mit diesem Resultat eine Lösung? Ich fürchte, dass die Gewinner auf beiden Seiten jetzt ihre Kräfte überschätzen.»
Die stärkste Partei, Ciutadans, zieht nicht nur aus der Schwäche der PP Profit, sondern viele Wähler haben auch dem medialen, staatlichen und wirtschaftlichen Druck mit über 3.000 verlegten Unternehmenssitzen nachgegeben und aus Besorgnis bis Angst über die Zukunft Kataloniens unter den Separatisten das andere Extrem gewählt. Viele Unterstützer der Separatisten sind nach dem turbulenten Oktober hingegen ernüchtert, wie mir die vorher zitierte 41-jährige Mutter anvertraute: «Ich hatte mir das alles leichter vorgestellt. Junts pel Sí hat zwar das Referendum gegen die ganze Macht Madrids durchgesetzt, aber sie hatten keinen Plan für den 2. Oktober. Auch jetzt haben sie keine andere Idee, als die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern.»
Stück für Stück die Autonomie beschnitten
Doch auch sie hat wieder dem Unabhängigkeitsblock zur absoluten Mehrheit verholfen: «Ich hätte mir noch vor zwei Monaten nicht vorstellen können, dass es zum 155 kommt. Und der Polizeigewalt, den Gefangenen. Ich bin froh, dass Madrid nicht gewonnen hat, wir hätten unsere ganze Autonomie verlieren können.»
An der Supermarktkasse höre ich unter zwei augenscheinlichen Rentnern schließlich Schadenfreude: «Hast du gestern Andrea Levy (stellvertretende Programmsekretärin des PP und katalanische Parlamentarierin, Anm.d.R.) gesehen? Die sah aus, als sei zumindest ein Familienmitglied gestorben.» Als ich nachfrage, wollen auch sie sich nicht namentlich äußern, doch schließlich sprudelt es aus dem einem sympathischen, rüstigen Opa triumphierend hervor: «2010 torpedierte das Verwaltungsgericht unser neues und von allen unterschriebenes Autonomiestatut. Seither haben Millionen Katalanen friedlich demonstriert, wir haben trotz aller Einschüchterung bei Parlamentswahlen bereits vier Mal unseren Willen klar geäußert. In jeder anderen Demokratie hätte das doch Folgen, aber in all den Jahren wollte Rajoy nicht ein Mal mit uns verhandeln, er hat Stück für Stück die Autonomie weiter beschnitten. Auch als wir noch nach dem 1. Oktober Gespräche anboten, ließ er nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Unterdrückung. Als einzige Partei haben sie uns ihre Wahlpropaganda nur auf Spanisch geschickt, alle anderen waren zweisprachig. Das ist wie bei Franco. Aber mit seinen vier Prozent ist diese Politik der Repression durch Justiz und Polizei gescheitert, jetzt wird er endlich eine politische Lösung suchen müssen.»
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