Der Schatten eines Ermittlungsverfahrens lastet seit rund zwei Jahren über der seit Jahren unangefochtenen Nationalpartei. Dabei geht es um die Summe von umgerechnet 778.000 Euro. Das Geld hatte die SNP zwischen 2017 und 2020 von Unterstützern als Kriegskasse für das angestrebte neuerliche Referendum über Schottlands Unabhängigkeit zusammengebettelt, nachdem die Schotten sich mit 55:45 Prozent für den Fortbestand der Union entschieden hatten.
Als die Parteibilanzen fürs Kalenderjahr 2019 wenig mehr als die Hälfte dieser Summe als Guthaben auswiesen, schlugen mehrere Bürger Alarm. Die Kripo nahm sich der Sache an. Auch die unabhängige Parteiaufsicht musste sich mit der SNP befassen. Im Mittelpunkt aller Ermittlungen steht der langjährige Generalsekretär Peter Murrell, im Privatleben Sturgeons Ehemann. Unter anderem hatte dieser seiner Partei ein sechsstelliges Darlehen gewährt, das erst mit erheblicher Verspätung gemeldet worden war. Die mittlerweile zurückgezahlte Summe von umgerechnet 121.960 Euro habe zur Überwindung temporärer „Cashflow-Probleme“ gedient.
Vieles spricht dafür, die zunächst monatelang vor sich hin dümpelnden Ermittlungen hätten zu Jahresbeginn an Fahrt aufgenommen. Sturgeon kündigte im Februar ihren Rücktritt an; wenige Wochen später nahm die Kripo Murrell sowie den SNP-Schatzmeister Colin Beattie als Beschuldigte zeitweilig in Haft und durchsuchte sowohl die SNP-Parteizentrale in Edinburgh wie das Privathaus des Ehepaares Sturgeon/Murrell in der Nähe von Glasgow. Stets beteuerte die frühere Ministerpräsidentin, sie habe von der ganzen Sache nichts gewusst.
Sie werde lang Aufgehobenes nachholen und „ein wenig mehr Privatsphäre“ genießen, lautete der Wunsch der lange Zeit hochpopulären Politikerin in den Wochen nach ihrem Rücktritt. Stolz präsentierte die 52-Jährige am Samstag das positive Ergebnis ihrer theoretischen Fahrprüfung. Schon tags darauf war es allerdings mit der Privatsphäre wieder vorbei.
„Nach vorheriger Vereinbarung“ meldete sich die Spitzenpolitikerin, begleitet von ihrem Anwalt, zum Verhör bei ihrer örtlichen Polizeistation. Wie nach schottischem Recht bei Beschuldigten üblich wurde sie dafür vorläufig festgenommen, befand sich also offiziell in Polizeigewahrsam. Gut sieben Stunden später durfte die Beschuldigte wieder gehen, ohne dass Anklage gegen sie erhoben worden wäre.
Renaissance der Arbeiterpartei
Der politische Schaden für die „zutiefst erschütterte“ (Selbstbeschreibung) Nationalistin selbst, ihre Partei sowie für deren wichtigstes Anliegen sind freilich immens. Von einem „schweren Schlag“ schrieb sogar die ausgesprochen nüchterne Financial Times. Das Streben nach Unabhängigkeit sei „für eine Generation erledigt“, freute sich der Glasgower Daily Record.
Nachfolger Yousaf hatte das Nachfolgerennen im März mit hauchdünnem Vorsprung ausdrücklich als „Kontinuitätskandidat“ gewonnen. Eine glaubwürdige Distanzierung von Sturgeon und den merkwürdigen SNP-Geschäften wird für den 38-Jährigen also schwierig. Hingegen gehört seine damalige Konkurrentin Ash Regan zu jenen SNP-Mandatsträgern, die ihre frühere Chefin mindestens zeitweilig aus der Partei ausschließen wollen. Mit anderen Übeltätern sei Sturgeon schließlich in ihrer Amtszeit ähnlich rigoros verfahren.
Die Opposition im Edinburgher Parlament verhöhnte den Regierungschef am Montag als „schwach“, so der konservative Oppositionsführer Douglas Ross. Dem regionalen Labour-Chef Anas Sarwar zufolge steckt die SNP „tief im Dreck“. Für die Arbeiterpartei, deren frühere Dominanz die Nationalpartei in diesem Jahrhundert brechen konnte, könnte es nach Umfragen zu einer erheblichen Renaissance kommen. Statt wie bisher ein einziges von 59 Unterhausmandaten sagen die Demoskopen Labour derzeit etwa 20 Wahlkreissiege voraus. Das würde den Weg des Londoner Labour-Chefs Keir Starmer in die Downing Street ebnen.
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