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Pornografie aus der Steinzeit

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Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Zum Autor

Roland Mischke wurde als Kind vertriebener Schlesier in Chemnitz geboren. Er studierte Evangelische Theologie und Germanistik in Berlin, volontierte bei der FAZ und arbeitete danach zwölf Jahre vor allem im Feuilleton dieser Zeitung. Danach gründete er mit Partnern einen Buchverlag und war nebenher als freier Journalist für Zeitungen und Zeitschriften im gesamten deutschsprachigen Raum tätig.

In Deutschland werden Kunstfunde ausgewertet, die Zehntausende Jahre alt sind. Besonders auffällig ist eine Elfenbeinfigur mit ausgeprägten weiblichen Merkmalen. Nach Ansicht von Experten haben sich die Menschen auch damals schon mit der Pornografie beschäftigt.

In Sachsen-Anhalt ist die bisher weltweit älteste bekannte Mammutelfenbeinwerkstatt entdeckt worden. Eine weibliche Figur trägt überdimensionierte Brüste, das pralle Gesäß ist besonders ausgeprägt, deutlich hervorgehoben sind die Geschlechtsteile der Venus von Breitenbach. Sie ist nur sechs Zentimeter groß, hat keinen Kopf und Körperteile fehlen. Sie ist explizit gearbeitet und aufwändig glattgeschliffen, sie war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol.

Oder Pornografie? Das jedenfalls vermutet der US-Archäologe Paul Mellars, 78, als Deutungsexperte in der Fachzeitschrift Nature. Das üppige Frauenfigürchen wurde vor 34.000 Jahren hergestellt. Das wurde mit der Radiocarbonmethode ermittelt.

Weibliche Merkmale hervorgehoben

Prägnante künstlerische Darstellungen weiblicher Körper sind aus ganz Eurasien bekannt, von den Pyrenäen bis in die russische Tundra. Die berühmtesten sind die Venus von Willendorf, 1908 bei Bauarbeiten in der österreichischen Wachau nahe der Donau gefunden, und die erst jüngst entdeckte Venus vom Hohlefels in der Schwäbischen Alb am Ufer des Flusses Aach unweit von Blaubeuren.

Beide sind – nach heutigen Maßstäben – mit einem katastrophalen Body-Mass-Index ausgestattet. Gesicht, Beine und Füße krass vernachlässigt, dafür zeigen die Figurinen demonstrativ ihre weiblichen Merkmale. Auch die Venus von Breitenbach, der Fundort liegt zwischen Naumburg und Altenburg, wurde von einem Künstler in aufgeladener sexueller Energie gestaltet.

Die Altertumsforscher gruben 2008 die Breitenbacher Werkstatt aus, seit 2012 wurden rund 20.000 Steinartefakte in winziger Form hervorgeholt. Knochenabfälle, Reste von Mahlzeiten, Steinabschläge, Pfeilspitzen und Tiere als Miniskulpturen. Vermutlich war das ein Produktionszentrum für Schmuck und frühe Kunst.

Zustand ist schlecht

1925 hatten Schüler in dem kleinen Ort bei einer Mühle einen Mammutbackenzahn ausgebuddelt und ihrem Lehrer gezeigt. Über den Schulrat wurden Geologen der Universität Halle und aus Berlin darüber in Kenntnis gesetzt. Die späteren Kriegswirren vereitelten systematische Ausgrabungen, in der DDR-Zeit gab es dafür kein Geld. Jetzt ist der wissenschaftliche Wert belegt.

Das Auffällige an der Venus von Breitenbach, erklärte Grabungsleiter Olaf Jöris, seien drei Fragmente, nur 1,4 bis 1,8 Zentimeter lang. Sie müssen Teil einer größeren Figur gewesen sein, wie eine Abguss-Sammlung und das 3D-Modell zeigen. «Das sind die ältesten Elfenbeinplastiken außerhalb Süddeutschlands», sagte Jöris. Das Figürchen sei zerfallen, weil die Umstände der Erhaltung auf Siedlungsplätzen unter freiem Himmel stets schlechter seien als in einer Höhle. Die Puzzlestücke entsprechen exakt Stil und Maß anderer Frauenfiguren aus jener Zeit, vor allem ein Oberschenkel und die linke Brust.

Neuer Mensch schuf erste Kunstwerke

Die Archäologie der Vor- und Frühgeschichte orientiert sich bei Funden wie in Breitenbach an der sogenannten Gravettien-Kultur, die vor etwa 40.000 Jahren einsetzte. Der Homo sapiens drang nach Mitteleuropa vor, vereinte sich hier und da mit dem Neandertaler, verdrängte ihn aber schließlich. Neandertaler und der frühe Homo sapiens in Afrika und dem Nahen Osten waren kaum schöpferisch. Der spätere, sesshaft gewordene neue Mensch schuf erste Kunstwerke. Aus dieser Zeit wurden Venus-Frauen mit ihrer üppigen Weiblichkeit in halb Europa gefunden, aber selten so detailverliebt wie die Venus von Breitenbach, die von Willendorf und die vom Hohlefels.

Der Zweck der Venus-Figuren ist unklar, aber es ging dabei sehr wahrscheinlich um Sexualität und Nachkommen (Fruchtbarkeit), die Überlebenselemente des frühen Menschen. Es ist erstaunlich, dass gerade im Gebiet von Deutschland und Österreich solche Figürchen auftauchen.