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DeutschlandOffener Streit über EU-Asylreform: Bei den Grünen reißen alte Gräben wieder auf

Deutschland / Offener Streit über EU-Asylreform: Bei den Grünen reißen alte Gräben wieder auf
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat mit handwerklichen Fehlern den Ärger des Wahlvolks auf sich gezogen – und dann streiten sich die Grünen auch noch parteiintern Foto: Tobias Schwarz/AFP

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Bei den Grünen ist die Zeit der Geschlossenheit nach dem EU-Asylkompromiss endgültig vorbei. Auf einem Kleinen Parteitag am Samstag werden sich die Pragmatiker um Annalena Baerbock und Robert Habeck heftiger Kritik von Parteilinken erwehren müssen.

Wie die Grünen-Chefs verhindern wollten, dass sie wegen ihrer öffentlich ausgetragenen Meinungsunterschiede zur EU-Asylreform an Autorität verlieren, wird Ricarda Lang gefragt. Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour hat sich hinter den Beschluss der EU-Innenminister gestellt, Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive nach einem mehrwöchigen Lageraufenthalt gleich an den EU-Außengrenzen wieder zurückzuschicken. Lang dagegen, der andere Teil der Grünen-Doppelspitze, lehnt den Asyl-Beschluss entschieden ab, weil er nicht einmal Ausnahmen für Familien mit Kindern zulässt.

Am Montag nach der Sitzung des Parteivorstands lässt sich die Grünen-Chefin bei ihrer Antwort auf die heikle Frage nach dem Autoritätsverlust keine Emotion anmerken. Doch ihre gedrechselte Wortwahl verrät große Anspannung. „Herr Nouripour und ich haben uns klar entschieden — gemeinsam und im gegenseitigen Respekt –, dass wir die unterschiedlichen Positionen an dieser Stelle klarmachen, die ja quer durch die Partei gehen. Dass wir aber auch einen Debattenort dafür schaffen, das wird der Länderrat am Wochenende sein.“ Auf dem Kleinen Parteitag am Samstag wolle man am Ende zu neuer Gemeinsamkeit finden. „Wir diskutieren gemeinsam, wir streiten gemeinsam, wir kämpfen am Ende aber auch gemeinsam“, sagt Lang leicht gequält.

Herr Nouripour und ich haben uns klar entschieden — gemeinsam und im gegenseitigen Respekt –, dass wir die unterschiedlichen Positionen an dieser Stelle klarmachen, die ja quer durch die Partei gehen

Ricarda Lang, Ko-Vorsitzende der Grünen

Die Grünen gehen eineinhalb Jahre nach dem Ampel-Start durch schwere Zeiten, die Partei ist in einer veritablen Krise. Erst der Vorwurf der Vetternwirtschaft gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dann sein umkämpftes Heizungsgesetz, mit dem er große Teile der Bevölkerung gegen sich und die Grünen aufgebracht hat – und nun auch noch die für alle sichtbare Spaltung der Partei bei der EU-Asylpolitik. Union, AfD und andere versuchen die desolate Situation der Grünen mit populistischen Kundgebungen auszunutzen, die FDP spielt Opposition in der Regierung und macht Habeck das Leben zusätzlich schwer. Im Ergebnis, so sieht es nach den jüngsten Umfragen aus, verlieren die Grünen massiv, aber auch die Ampel-Koalition insgesamt. Und die AfD erlebt neue Höhenflüge.

Habeck muss sich erklären

Auf einem Kleinen Parteitag, dem so genannten Länderrat, am kommenden Samstag im hessischen Bad Vilbel wollen die Grünen eigentlich zurückfinden zu neuer Einigkeit. Allerdings sieht es danach nicht aus. Denn spätestens die deutsche Zustimmung zum EU-Asylkompromiss hat alte Gräben bei den Grünen wieder aufgerissen: Die Parteilinken begehren auf gegen die Übermacht der pragmatischen, so genannten Realos in der Sechser-Gruppe der Parteispitze.

Omid Nouripour, Fraktionschefin Britta Haßelmann, Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock haben das Ja von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vergangene Woche in Luxemburg gerechtfertigt. Sie können sich in Bad Vilbel auf wütende Attacken der Delegierten aus den Ländern einstellen. Und Habeck wird zudem erklären müssen, warum ihm beim Heizungsgesetz so viele kommunikative und handwerkliche Fehler unterlaufen sind, dass die Grünen nun wieder zurechtgestutzt sind auf die Größe ihrer Stammwählerschaft von 12, 13 Prozent. Der Traum, zur Volkspartei zu wachsen und eines Tages sogar den Bundeskanzler oder die Kanzlerin zu stellen, ist momentan jedenfalls zu Ende.

Viele linke Grünen-Politiker sind entsetzt darüber, dass ihre Vertreter in der Bundesregierung dem EU-Asylkompromiss zugestimmt haben, obwohl die humanitäre Asylpolitik und nicht die weitere Abschottung zur DNA der Grünen gehört. Europas Flüchtlingspolitik wurde „auf ein Niveau der Schäbigkeit harmonisiert“, schimpft der Außenpolitiker Jürgen Trittin, Urgestein der Parteilinken. Die Grenzen des Vertretbaren seien überschritten worden – „etwa mit der Möglichkeit, auch minderjährige Kinder zu inhaftieren“.

Die Parteilinken wollen nun mit mehreren eigenen Anträgen auf dem Länderrat durchsetzen, dass die Bundesregierung ihren Asyl-Kurs im Nachhinein wieder korrigiert. In den jetzt anstehenden Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Staaten, dem so genannten Trilog-Verfahren, müsse Berlin die Asylreform wieder korrigieren.

Kurskorrektur gefordert

„Wir wollen auf dem Länderrat eine Kurskorrektur der Bundesregierung durchsetzen: Die deutsche Zustimmung zum EU-Asylkompromiss war falsch“, sagt Timon Dzienus, Chef der Grünen Jugend. „Diese Asylrechtsverschärfung stellt eine weitere Verschlechterung der humanitären Lage da. Deshalb muss sich die Bundesregierung im Trilog-Verfahren dafür einsetzen, dass die Reform so nicht umgesetzt wird.“

Auch der Chef der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, gibt sich hart: „Falls es uns nicht gelingt, durchzusetzen, Familien mit Kindern aus den geplanten Haftlagern auszunehmen, darf es keine deutsche Zustimmung zum Asylpaket geben“, sagt Andresen.

Um den Kritikern etwas Wind aus den Segeln zu nehmen, hat der Parteivorstand seinen Leitantrag zum EU-Asylkompromiss bereits geändert. Der Asylbeschluss würde „zentrale Anforderungen nicht erfüllen, die wir an eine Asylpolitik der Humanität und Ordnung stellen“, heißt es nun in der überarbeiteten Version. „Das vorliegende Ergebnis ist von den Positionen unserer Partei weit entfernt.“ Doch damit dürften die Grüne Jugend und andere aufgebrachte Parteilinke nicht zufrieden sein: Sie wollen sich von den Realos im Grünen-Machtzentrum die Linie nicht mehr vorgeben lassen. Die Zeit der Geschlossenheit ist vorbei.