Von unserem Korrespondenten Werner Kolhoff, Berlin
So wie sie bei der SPD leidenschaftliche Debatte können, so können sie bei der CDU Geschlossenheit. Der Berliner Parteitag am Montag ist dafür eine Demonstration. Freilich hat Parteichefin Angela Merkel bei der Inszenierung wenig dem Zufall überlassen. Unter der Oberfläche brodelt es weiter.
Das Treffen der 1.001 Delegierten beginnt mit einer ökumenischen Andacht. Fanfarenstöße von den Berliner Dombläsern, Fürbitten und gemeinschaftlicher Gesang: „Lobet den Herren.“ Wertedebatten? Die führt in Berlin nur ein kleines Grüpplein, das sich „Werteunion“ nennt und vor dem Veranstaltungssaal Flugblätter verteilt. Sie will einen klaren Rechtskurs, weniger Zuwanderung, weniger Europa, keine GroKo. Merkel lässt einen Antrag beschließen, wonach bis zum nächsten Parteitag im Dezember ein Papier zur „sozialen Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert“ formuliert werden soll. Das soll der Start für einen „umfassenden Diskussionsprozess“ sein, der irgendwann in einem neuen Grundsatzprogramm mündet. So wird die Partei beschäftigt. Die Delegierten stimmen mit großer Mehrheit zu. War was?
Unter den 50, die sich in der Aussprache nach Merkels Rede zu Wort melden, äußert fast jeder dritte Kritik. Am Führungsstil, an zu vielen Kompromissen mit der SPD, an fehlenden Ostdeutschen im Kabinett, am schlechten Wahlergebnis, an der Flüchtlingspolitik, an Details des Koalitionsvertrages. Für einen CDU-Parteitag ist das ein kleiner Aufstand. Aber der Beifall ist jedes Mal dünn, und vor allem schlägt sich die Kritik nicht in der Schlussabstimmung über den Koalitionsvertrag nieder. Nur 27 votieren mit Nein. Vielleicht hat manchen auch der Mut verlassen, denn die Abstimmung ist offen, nicht geheim.
„Dieses Land darf kein unregierbares Italien werden“, erläutert Christian Natterer aus Ravensburg sein Motiv. Er steht mit seinem Parteifreund Tim Hauser aus Eßlingen zusammen, beide gehören zu den Jüngeren und erzählen bereitwillig, dass sie finden, dass sich die Partei jetzt mal so langsam an der Spitze erneuern müsse. Trotzdem sagen sie Ja zum erneuten Bündnis mit der SPD. „Aber mit geballter Faust im Sack“, betont Natterer. So sagt man es in Ravensburg.
Den meisten Ärger gab es im Vorfeld wegen der Ressortverteilung. „Ja, auch ich empfinde den Verlust des Finanzministeriums als schmerzhaft“, betont Merkel. „Aber hätten wir daran die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen …“ Sie wird von Beifall unterbrochen. Nein, hätte sie nicht. Damit ist das im Grunde schon erledigt. Merkel fügt noch hinzu, dass man dafür das Wirtschaftsministerium bekommen habe, „das Haus Ludwig Erhards, das Kraftzentrum der sozialen Marktwirtschaft“. Zum Abschied feiert der Parteitag noch einmal Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble mit Sonderapplaus. Danke und tschüss.
Nicht viel Selbstkritik
Personaldebatten? Wie böse könnten einige sein, sogar welche aus Merkels Umfeld? Hermann Gröhe vorneweg, der erst am Vortag erfahren hat, dass für ihn kein Platz mehr am Kabinettstisch ist. Ausgerechnet an seinem 57. Geburtstag. Oder Thomas de Maizière, der nicht mehr Innenminister sein darf. Er hat Merkel 1990 überhaupt erst für die Politik entdeckt. Aber es ist nun mal so, sagt ein Delegierter, dass irgendwer weichen muss, wenn die Ministerriege „jünger und weiblicher“ werden soll, wie es die Basis verlangt und Merkel erfüllt hat. „Robben sitzt bei Bayern ja auch auf der Bank.“
Merkel bekommt im Gegenteil viel Lob für ihre Personalentscheidungen, von den Frauen sowieso, die jetzt die Hälfte der CDU-Ressorts besetzen und seit diesem Parteitag mit Annegret Kramp-Karrenbauer auch noch die Generalsekretärin stellen. Kramp-Karrenbauer wird nach einer kämpferischen, umjubelten Rede mit 98,8 Prozent der Stimmen gewählt, sie ist ab sofort Merkels Kronprinzessin. So wie Jens Spahn als neuer Gesundheitsminister ihr Kronprinz wird. Beide müssen sich nun erstmal bewähren.
Beim Delegiertenempfang am Vorabend ruft Merkel alle neuen Minister auf die Bühne, wo sie bejubelt werden. Und auf dem Parteitag werden die Scheidenden alle noch einmal ordentlich verabschiedet. De Maizière erntet Begeisterung, als er sagt: „Ich gehe als stolzer und dankbarer Bundesminister und bleibe ein stolzer und dankbarer Christdemokrat.“
Die Chefin hält eine typische Merkel-Spiegelstrichrede. Viele Punkte aus dem Koalitionsvertrag werden von ihr positiv erwähnt, auch solche, die die SPD als Erfolge für sich reklamiert. Etwa die Kostenfreiheit der Ausbildung in Gesundheitsberufen oder die familienpolitischen Reformen.
Die Selbstkritik fällt hingegen provozierend kurz aus. „Das Wahlergebnis entspricht nicht unseren Ansprüchen“, sagt die Kanzlerin nur, und dass es ein verbreitetes Unbehagen in der Bevölkerung gegeben habe. An der Globalisierung, an den Flüchtlingsströmen, an der unsicheren Weltlage. Dann kommt schon das große Aber: Die CDU sei die Partei der Verantwortung, „wir werfen den Regierungsauftrag nicht einfach vor die Füße der Wähler und wir ziehen uns nicht in Selbstfindungsprozesse zurück“. Herzliche Grüße aus Berlin an FDP und SPD.
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