Als der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2014 erstmals seit 45 Jahren ohne neue Schulden auskam, war die Freude bei vielen Konservativen groß. Nach den jüngsten Krisen will nun auch Finanzminister Christian Linder (FDP) 2024 wieder zum ausgeglichenen Haushalt zurückkehren. Widerspruch dagegen regt sich jetzt ausgerechnet aus den Reihen der CDU. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner fordert, die Schuldenbremse dürfe keine Zukunftsbremse sein. „Als CDU sollten wir den Mut haben, neu zu denken“, sagte er. Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland schlug er vor, die Regelung für fünf Jahre auszusetzen.
Dabei war es ausgerechnet eine CDU-geführte Regierung, unter der die Schuldenbremse 2009 den Weg ins Grundgesetz fand. Demnach ist die Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedeckelt. Nur in außerordentlichen Krisensituationen – zuletzt waren das die Pandemie und der Ukraine-Krieg – sind begründete Ausnahmen möglich. Im Bundeshaushalt 2024 muss die Ampelkoalition etliche Programme kürzen, um die Regel einzuhalten.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wies den Vorstoß Wegners scharf zurück. „Die Äußerungen aus der CDU zeigen, dass nachhaltig tragfähige Staatsfinanzen keine Selbstverständlichkeit sind“, sagte Lindner dem Tageblatt. „Es wird einerseits massiv Steuergeld verteilt, andererseits soll der Unwille zur Prioritätensetzung dann mit Schulden verwischt werden. Zum Glück hat die Schuldenbremse Verfassungsrang und ist nicht ins Belieben von Politikern gestellt“, sagte der FDP-Vorsitzende.
Unionsfraktion bremst
„In Frankreich und den USA sieht man, dass gute Ratings und günstige Finanzierungsbedingungen keine Selbstverständlichkeit sind“, sagte Lindner. „Angesichts der gestiegenen Zinsen würden immer höhere Schulden bald zu höheren Steuern führen“, so der Minister. „Der Weg, den nun auch das Land Berlin unter CDU-Führung einschlagen will, ist riskant. Die Unionsführung sollte erklären, ob diese Haltung die neue Linie der CDU insgesamt ist.“
Die CDU war am Freitag bemüht, das Feuer eilig wieder auszutreten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte, die Schuldenbremse sei für die Union „unverrückbar“. Die CDU werde „keinen Millimeter“ davon abrücken. Auch Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, wies den Vorstoß seines Parteikollegen Wegner zurück. „Die Einhaltung der Schuldenbremse ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesetzt“, sagte Frei. Weiter betonte er: „Wir können nicht immer mehr Schulden zu Lasten künftiger Generationen machen.“ Schon jetzt würden erhebliche Schuldentöpfe wie das Bundeswehrsondervermögen außerhalb des regulären Haushalts existieren. „Außerdem zeigen nicht zuletzt Rekordsteuereinnahmen: Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem.“ Ähnlich auch die Junge Union. „In der sich nun verändernden Zinslage die Schuldenbremse aufzuweichen, wäre ein katastrophales Signal für die junge Generation“, erklärte JU-Chef Johannes Winkel. „Schulden auf dem Rücken zukünftiger Generationen, um die jetzige vor unbequemen Entscheidungen zu bewahren, ist nicht verantwortungsgerecht“, sagte CDU-Chefhaushälter Christian Haase.
Dagegen zeigten sich die Grünen offen für eine Aufweichung der Schuldenregel. „Sparen darf nicht zur obersten Maxime unseres Landes werden. Wir brauchen gezielte Investitionen in Zukunftstechnologien, in Wasserstofftechnologie, in grünen Stahl, in Batterietechnik und wir brauchen einen Industriestrompreis“, erklärte Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen.
Ökonomen für Reform
Führende Ökonomen – unter ihnen auch der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther – sehen das ähnlich. „Wir benötigen dringend eine Einbettung der Transformation zur Klimaneutralität in eine umfassende Wachstumsstrategie“, sagt Hüther. Dazu gehörten eine Investitionsoffensive, allgemeine Steuerentlastungen und gezielte Investitionsverbesserungen, etwa Superabschreibungen. „Während die öffentlichen Investitionsausgaben über den Klima- und Transformationsfonds finanziert werden können, gilt das für die Steuersenkungen und Investitionsanreize nicht. Die Schuldenbremse erweist sich als Steuersenkungsbremse“, kritisierte Hüther.
Zustimmend zu Wegners Idee äußerte sich auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Kai Wegner hat recht und spricht das Offensichtliche aus, nämlich, dass die Schuldenbremse und die Vernachlässigung von Investitionen eine zentrale Ursache für die wirtschaftliche Misere und fehlende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind“, sagte der DIW-Präsident.
Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, forderte zwar kein Aussetzen der Schuldenbremse, aber ebenso wie der DIW-Chef eine Reform der Schuldenbremse. „Richtig wäre es aber, eine Schuldenfinanzierung für Investitionen zuzulassen, die gezielt die Infrastruktur stärken und Staat und Wirtschaft zukunftsfähig machen, ohne die Inflation weiter anzuheizen“, sagte die Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats.
Schuldenbremse im Grundgesetz
Verfassungsänderung Bei Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 änderten Bundestag und Bundesrat das Grundgesetz.
Zwei-Drittel-Mehrheit Entsprechend müsste für eine Abschaffung der Schuldenbremse in beiden Verfassungsorganen eine Zwei-Drittel-Mehrheit stimmen.
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