Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Zehn Jahre Große Koalition waren zehn Jahre immer wieder gescheiterter Neustarts zweier Partner, die nicht miteinander konnten. Jetzt soll alles ganz anders werden – Friede, Freude, Eierkuchen in Wien.
«Wir müssen wegkommen vom falschen Stil des Streits und der Uneinigkeit und einen neuen Stil des positiven Miteinanders leben», versprechen der neue Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Ein Blick in das Regierungsprogramm offenbart jedoch in manchen Bereichen hohes Konfliktpotenzial und schon jetzt manch enttäuschte Hoffnung. Hier ein Überblick über die wichtigsten Projekte:
„Öxit“ und Türkei-Beitritt ausgeschlossen
Angesichts der Regierungsbeteiligung einer rechtspopulistischen Partei, die noch vor nicht einmal zwei Jahren im Parlament eine Volksabstimmung über den Austritt Österreichs aus der EU beantragt hatte, muss der neue Kanzler schon viel Überzeugungsarbeit leisten, um Zweifel an der EU-Freundlichkeit dieser Regierung auszuräumen. Der Koalitionspakt schreibt die fixe Verankerung Österreichs in der EU allerdings fest, was Reformwünsche nicht ausschließt.
Österreich wird als «integraler Bestandteil der EU» bezeichnet. Schon im Vorwort heißt es: «Nur in einem starken Europa kann es auch ein starkes Österreich geben, in dem wir in der Lage sind, die Chancen des 21. Jahrhunderts zu nutzen.» Damit niemand in der FPÖ auf andere Ideen kommt, wird im Kapitel «Direkte Demokratie» ausgeschlossen, dass das Volk über einen «Öxit» abstimmen können soll.
«Die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union und anderen internationalen Organisationen (ist) nicht vom Wirkungsbereich dieses Rechtsinstituts (Volksbefragung, Anm.) umfasst.» Die EU will die Regierung weiterentwickeln in Richtung eines «Weniger, aber effizienter». Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip soll sich die EU um große, nur gemeinsam zu lösende Fragen kümmern, und die kleinen Fragen der nationalen Ebene überlassen.
Eine Entbürokratisierung der EU soll durch Auslaufklauseln («Sunset Clauses») in europäischen Rechtsakten und die Anwendung der «One-in-one-out-Regel» (für jede neue Regel wird eine alte obsolet) erreicht werden. Außerdem will Österreich nicht mehr Musterschüler bei der Umsetzung von EU-Recht sein: «Kein Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Recht», heißt es wörtlich im Regierungsprogramm. Und es wird auch festgeschrieben, wer auf alle Fälle nicht der EU angehören soll: «Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei. Verbündete zur Erreichung des endgültigen Abbruchs der EU-Beitrittsverhandlungen zugunsten eines europäisch-türkischen Nachbarschaftskonzeptes werden gesucht.»
Schärferes Asyl- und Integrationsrecht
Das Kapitel Inneres des Regierungsprogramms umfasst zahlreiche Verschärfungen im Asylrecht sowie ein Law-and-order-Sicherheitspaket. So soll künftig Asylsuchenden bei der Antragsstellung ihr Bargeld zur Deckung der Grundversorgungskosten abgenommen werden. Verkürzt werden sollen im Verfahren die Beschwerdefristen. Wenn eine positive Feststellung von Identitäten nicht möglich ist, kommt es zu einer negativen Feststellung.
«Schutz auf Zeit bieten wir jenen Menschen, die wirklich vor Verfolgung flüchten müssen. Für illegale Migration, die meist unter Missbrauch des Asylrechts stattfindet, ist kein Platz», heißt es wörtlich. Und: «Eine Zuwanderung in den österreichischen Sozialstaat über den Bezieherkreis der Sozialhilfe (Mindestsicherung) muss gestoppt werden. Die Geldleistung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte in der Mindestsicherung Neu wird daher auf 365 Euro Grundleistung sowie einen möglichen Integrationsbonus von 155 Euro reduziert. Leistungen für eine Bedarfsgemeinschaft werden mit 1.500 Euro gedeckelt.»
Das bedeutet für Asylwerber in Bundesländern, wo das noch nicht bereits so beschlossen ist, eine empfindliche Kürzung, die allerdings durch mehr Sachleistungen ausgeglichen werden soll. Zum Schengen-Grenzregime will die Regierung übrigens erst zurückkehren, «wenn die illegale Migration gestoppt und europäische Außengrenzen gesichert sind».
Strenger Vater Staat
Auch im Justizbereich sollen härtere Saiten aufgezogen werden: «Weitere Strafverschärfung bei Gewalt- und Sexualdelikten» wird als Ziel formuliert. Härtere Strafen soll es bei besonders brutalen Taten geben. Der neue Justizminister Josef Moser (ÖVP) soll alle Straftatbestände evaluieren. Bei «besonders verwerflichen Beweggründen» oder besonders brutalen Taten soll eine außerordentliche Strafverschärfung möglich sein. Mit Blick auf illegale Zuwanderer wird auch an neue Tatbestände gedacht – konkret angeführt wird «Behördentäuschung durch Alterslüge». Bestraft werden sollen künftig auch Gaffer, die bei Verkehrsunfällen Hilfskräfte behindern.
Steuersenkung, bitte warten
Auf die im Wahlkampf von beiden Parteien versprochene Steuerentlastung von 12 bis 14 Milliarden Euro müssen die Österreicher noch warten. Vorerst gibt es nur kleine Goodies – und auch die sorgen für Protest. Konkret in Aussicht gestellt wird ein «Familienbonus» in Form eines Abzugsbetrages von 1.500 Euro pro in Österreich lebendem Kind und Jahr. Da es sich aber um einen Steuerabsetzbetrag handelt, haben ausgerechnet jene Familien von dem Bonus nichts, deren Einkommen so gering ist, dass sie fast oder gar keine Steuer zahlen.
Ausdrücklich wird festgehalten, dass es in diesem Fall keine «Negativsteuer», also einen Bonus für nicht Steuerpflichtige, geben soll. Dagegen protestieren Sozialdemokraten und Sozialverbände ebenso wie gegen die geplante Kürzung des Arbeitslosengeldes: Dieses soll, je länger man es bezieht, umso niedriger werden. Zum großen Wahlkampfthema Lohn- und Einkommenssteuer findet sich wenig Konkretes.
Die versprochene Abschaffung der kalten Progression (schleichende Steuererhöhung durch Inflation) soll nun nur «geprüft» werden. Erfüllt wird dagegen ein Wunsch der Tourismuswirtschaft: Der bei der letzten Steuerreform erhöhte Umsatzsteuersatz für Übernachtungen von 10 auf 13 Prozent wird wieder zurückgenommen. Die Körperschaftssteuer (KöSt) – insbesondere auf nicht entnommene Gewinne – soll gesenkt werden. Niedrigverdiener sollen von einer Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung profitieren.
Zuckerl für Pensionisten
Die größte Wählergruppe, die Senioren, wird mit einem Zuckerl bedacht. Wer mehr als 30 Jahre gearbeitet hat, soll jedenfalls mindestens 1.000 Euro Rente und mit 40 Beitragsjahren 1.200 Euro erhalten. Zudem soll es für Niedrigrentner die Möglichkeit geben, bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze dazuzuverdienen.
Ringen um Gesundheitssystem
Die Regierung hat sich in ihrem Arbeitsprogramm eine umfassende Reform der Sozialversicherungen vorgenommen, was eine Menge Konfliktstoff birgt. Vorgesehen ist nämlich eine Reduktion der gegenwärtig 22 Sozialversicherungsträger auf «maximal fünf Träger». Wie genau die Zusammenlegung der Sozialversicherungen aussehen und welche fünf Träger es geben soll, lässt das Arbeitsprogramm offen. Vor allem in den Bundesländern regt sich – auch innerhalb der ÖVP – massiver Widerstand gegen einen Zentralisierung der Krankenkassen, in der jedoch ein größeres Einsparungspotenzial steckt.
Bildung mit Sanktionen
Im Bildungsbereich setzt die neue Regierung auf die Einführung einer an bestimmte Kompetenzen geknüpften Bildungspflicht statt der bisher neunjährigen Schulpflicht. Das heißt, die Schulpflicht kann nicht einfach abgesessen werden, sondern dauert so lange, bis die Grundfertigkeiten in Lesen, Rechnen und Schreiben erlangt sind. Wie das in der Praxis erzwungen werden soll, wird noch heftig diskutiert werden. Die Regierung will aber prüfen, «inwieweit Sozialleistungen an die Einhaltung schulgesetzlicher Verpflichtungen gebunden werden». Umstritten ist auch die von ÖVP und FPÖ geplante Wiedereinführung eines Ziffernbenotungssystems in den Volksschulen.
Klimaschutz ohne Atom
Die ÖVP-FPÖ-Regierung will zwar bestehende Verträge zum Klimaschutz umsetzen und die UNO-Nachhaltigkeitsziele beachten. Neuen Klimaschutzverträgen werde Österreich aber nur mehr zustimmen, wenn sie «den Ausbau von erneuerbaren Energien vorsehen und die Finanzierung der Kernkraft explizit ausschließen». Wörtlich heißt das: «Atomkraft ist keine Antwort auf den Klimawandel und diese Position wird Österreich auf allen Ebenen konsequent vertreten.»
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