Von unserer Korrespondentin Joy Mentgen
Im Jahr 64 n. Chr. zerstörte ein riesiges Feuer den größten Teil Roms. Es gehört zum Allgemeinwissen, dass der damalige Kaiser Nero den Brand angeordnet haben soll. Eine tiefgründige Analyse der antiken Quelle stellt diese Annahme jedoch stark infrage.
Nero, 37 n. Chr. in Antium geboren, wurde im Oktober 54 Kaiser des Römischen Reiches. Besonders beliebt war er nicht, da er sich nur wenig um die Öffentlichkeit kümmerte und lieber seinen Hobbys, zum Beispiel dem Gesang, nachging. In die Geschichte der Antike ging er vor allem dafür ein, dass er den Großen Brand von Rom, der 64 n. Chr. den Großteil der Stadt verwüstete, gelegt haben soll.
Das Motiv von Nero als Brandstifter hat sich bis heute durchgesetzt und wird zum Teil in Werbungen oder Theaterstücken aufgegriffen. Auch das englische Sprichwort „fiddling while Rome burns“ spielt darauf an, dass Nero während des Feuers freudevoll Geige gespielt haben soll (obwohl das Instrument zu seiner Zeit gar nicht existierte). Dies zeigt, dass sich das Bild von Nero als Brandstifter bis in die heutige Gegenwart durchgesetzt hat.
Dies ist nachvollziehbar, betrachtet man doch die Inschriften von den Geschichtsschreibern Sueton und Cassius Dio. Beide Autoren sind keine Zeitzeugen des Geschehens, ihre Berichte entstanden jedoch recht kurze Zeit nach dem Brand (Sueton 100 Jahre, Cassius Dio 150 Jahre nach dem Vorfall – des gilt für die antike Geschichte als relativ „zeitnahe“ am Geschehen).
Sowohl für Sueton als auch für Cassius Dio besteht kein Zweifel, dass Nero das Feuer gelegt hat: „Denn unter dem Vorwand, dass ihm die Hässlichkeit der alten Gebäude und die engen und krummen Straßen zuwider sein, zündete er die Stadt an, […]. Sechs Tage und sechs Nächte lang wütete dieses Unheil. […] Diese Feuersbrunst schaute er vom Maecenasturm herab zu, und in der Freude über ‹die Schönheit der Flammen›, wie er sich ausdrückte, rezitierte er in seinem bekannten theatralischen Kostüm den ganzen Gesang von Illions Eroberung.“ (Sue., Nero 38, I-2). Auch der Bericht von Cassius Dio (Cass. Dio, 62, 15, 1-18,5) kommt auf den gleichen Schluss, und zwar, dass niemand anders als Kaiser Nero die Stadt angezündet habe.
Nun, wenn beide Quelle so eindeutig sind, warum sollte man ihnen misstrauen?
Ein berechtigter Grund ist eine weitere Quelle, nämlich die ausführlichste und genaueste, die uns vom Brand erhalten geblieben ist. Sie stammt vom berühmten Cornelius Tacitus, der die Ursache des Feuers in seinen Annalen offen lässt: „Es folgte nun ein Unglück, bei dem es ungewiss ist, ob auf Zufall oder auf die Heimtücke des Princeps zurückzuführen war; beides haben die Schriftsteller überliefert“ (Tac. ann. 15, 38, 1). Tacitus legt sich, im Gegensatz zu den beiden oben genannten Geschichtsschreibern, nicht fest, wie es zum Brand kam, und geht eher von einem Unfall aus. Außerdem spricht er die Tatsache an, dass es in der Literatur, die er zum Geschehen konsultierte (die uns leider heute verloren gegangen ist), widersprüchliche Meinungen zum Auslöser gegeben hat.
Daraus ist zu schlussfolgern, dass es also schon zur Zeit des Brandes keine sicheren Angaben über die Ursache des Feuers gab. Somit haben sich sowohl Cassius Dio als auch Sueton in ihren Berichten auf eine bestimmte Version bezogen, ohne darauf einzugehen, dass es unterschiedliche Meinungen gab.
Nun stellt sich die Frage, ob ein solch großer Brand denn überhaupt durch reinen Unfall passieren konnte. Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja, das war sehr wohl möglich. Rom war schon zu dieser Zeit sehr bebaut, arme Viertel waren überbevölkert und die meisten Häuser bestanden zum größten Teil aus Holz. Da mit Holz gewärmt wurde, wurde dies in den Wohnungen gelagert. Hinzu kam, dass die Straßen außerordentlich eng und die Häuser nahe aneinander gebaut waren. Die Bedingungen für ein großes Feuer waren also gegeben.
So war denn auch der Brand von 64 n. Chr. keine Ausnahme – im Gegenteil. Laut antiken Chroniken brannte es in Rom im Durchschnitt alle zehn Jahre. Übrigens war es bis ins 19. Jahrhundert keine Ausnahme, dass komplette Städte abbrannten (siehe London 1666, Hamburg 1842, Chicago 1871).
Brandlegung war in der Antike eine Kapitalstrafe, auf der die Todesstrafe stand. Warum hätte Nero den Brand selbst legen sollen beziehungsweise jemanden dazu anstellen? Gerüchten zufolge gab es dafür ganz unterschiedliche Motive. Ein naheliegender Grund war die Möglichkeit des Wiederaufbaus der Stadt. Nero wurde stark für den Wiederaufbau kritisiert, denn er nutzte die Gelegenheit, um die „Domus Aurea“ (Goldenes Haus) bauen zu lassen, deren Areal ganze 80 ha betrug.
Weitere Gerüchte besagen, Nero habe die enge Bebauung der Stadt nicht gefallen oder er habe sich durch den Wiederaufbau Roms als dessen Begründer darstellen wollen. Diese Gründe scheinen auf den ersten Blick nachvollziehbar, allerdings sind sie anzuzweifeln, da Nero diese Wünsche als Kaiser auch ohne Brand hätte durchsetzen können.
Angesichts dieser Hintergründe erscheint es zweifelhaft, dass der Kaiser seine Stadt selbst zerstört haben soll. Doch das Gerücht von Nero als Brandstifter setzte sich hartnäckig durch. Die Annahme kann als nachträgliche Rache an den nicht besonders beliebten Kaiser gesehen werden.
Der Große Brand von Rom 64 n. Chr. bleibt weiterhin ein ungelöstes Rätsel. Die Geschichte eines wahnsinnigen Tyrannen als Brandstifter ist weitaus spannender als die eines puren Zufalls … und bleibt deshalb auch weitaus besser im Gedächtnis!
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