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Italien hat Angst

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Naturkatastrophen, Terrorismus, Verlust des Arbeitsplatzes – Italiener leiden zunehmen unter Angststörungen. Die Unsicherheit davor, was morgen geschehen könnte, beunruhigt vor allem auch die Jugendlichen.

Von unserem Korrespondenten Wolf H. Wagner

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist moderner, schneller und auch komplizierter geworden. Rasanter technischer Fortschritt geht einher mit Klimawandel und Umweltverschmutzung, Arbeitsplatzabbau, politischer Wandel mit Extremismus und Terror. Die Menschen sind verunsichert. Italienische Psychologen warnen, dass Angststörungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben.

Die Weltgesundheitsorganisation zählt global etwa 300 Millionen Menschen, die an Depressionen, weitere 260 Millionen, die an Angststörungen leiden. Ursache dieser psychischen Erkrankungen sind Belastungen, die aus Alltag und Arbeitswelt hervorgehen. In Italien sind sechs Millionen Menschen von psychischen Ausnahmesituationen betroffen, 26 Prozent von ihnen haben Angststörungen.

Ängste nehmen zu

Es wird geschätzt, dass etwa 1 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Behandlungen dieser Störungen ausgegeben werden müssen, wobei die Gesundheitsbehörden einräumen, dass man bei den Behandlungen erst ganz am Anfang stehe. „Die Welt von heute ist sehr komplex, verbunden mit vielen stimulierenden Einflüssen, doch zunehmend ohne Sicherheiten. Wir haben ein Grundgefühl einer Sicherheit verloren, haben ein Gefühl, ohne Zukunft zu sein.“

So schätzt Italiens bekanntester Psychiater Vittorino Andreoli die aktuelle Situation der Menschen in Italien ein. Unter dem Eindruck der aktuellen Geschehnisse nehme in der Bevölkerung vor allem die Angst vor Naturkatastrophen und Terrorismus zu.

Doch neben den realen Bedrohungen, wie sie von den Medien den Menschen übermittelt werden, nehmen auch die irrationalen Phobien zu. „Ich beobachte bei meinen Patienten eine Zunahme bei Flugangst, Panikattacken, Ängsten wie Agoraphobie“, erklärte Valeria Ugazio, Psychologiedozentin der Universität Bergamo, der Tageszeitung La Nazione. Dabei treten auch völlig neue Ängste auf, so die Athazagoraphobie – die Angst, in sozialen Medien nicht wahrgenommen zu werden, zu wenige „likes“ zu erhalten und somit ignoriert zu werden.

Die häufigsten Ängste

An der Spitze einer Liste häufiger Ängste steht mit 58 Prozent die vor Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Fluten. Vor Terrorismus und instabilen politischen Zuständen fürchten sich 56 Prozent der Italiener. Etwa die Hälfte sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder. 39 Prozent sehen die Zuwanderung Fremder als Gefahr, etwa ähnlich so viele Menschen fürchten die Globalisierung. Auf Rang sieben und acht stehen die Furcht, keine Pension zu erhalten beziehungsweise den Arbeitsplatz zu verlieren.

Die Fachmediziner sehen vor allem eine Zunahme der Ängste und Panikattacken bei jüngeren Menschen zwischen 15 und 30 Jahren. Obwohl die Fachmediziner an den Universitätskliniken eine Zunahme der Phobien und Panikattacken verzeichnen, wird das Phänomen in der Gesellschaft eher zurückhaltend wahrgenommen. Scham über Ängste ist verbreitet, Behandlungsmöglichkeiten sind derzeit eher reduziert.

Reiche haben andere Ängste

Im Gegensatz zu Italien ängstigen sich die sozial sicherer gestellten und reicheren Deutschen anders. Nach dem Jahresbericht der R+V-Versicherungen steht an der Spitze der zehn größten Ängste der Deutschen mit 71 Prozent der Terrorismus, gefolgt von politischem Extremismus (62 Prozent) und den Spannungen durch Zuzug von Ausländern (61 Prozent). Schadstoffe und Gifte in den Nahrungsmitteln herrschen noch vor Naturkatastrophen. 55 Prozent der Deutschen haben Angst, die Politiker könnten überfordert sein. Auf Rang neun und zehn ängstigen sich die Deutschen davor, im Alter zum Pflegefall zu werden oder den steigenden Lebenshaltungskosten nicht mehr genügen zu können. Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keine Rente zu bekommen, kommt im Katalog der deutschen Ängste unter den ersten zehn Sorgen nicht vor.

Zum Autor

Wolf H. Wagner berichtet seit 1980 von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der westafrikanischen Länder, wechselte später zur Berichterstattung über die USA und Kanada. Nach einem Ausflug ins Fernsehen, wo er sich wiederum dem schwarzen Kontinent widmete, kehrte er zu den Printmedien zurück.

Seit Mitte der achtziger Jahre forschte er über die Shoah und publizierte eine Vielzahl von Artikeln sowie drei Sachbücher zum Thema Judenverfolgung. Zur selben Zeit schrieb er über Leben und Politik des aktuellen Israel wie auch dem Geschehen im Nahen Osten.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends siedelte er sich in der Mitte Italiens an und berichtet seither von den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenheiten des Belpaese.

Seit 2006 auch im Café Europe. Darüber hinaus kann man seine Erfahrungen mit Italien auch in dem Bändchen „Der Schrei des Fasans – Geschichte(n) aus der Toscana“ nachlesen.