Der zuständige Monetärausschuss unter Leitung von BoE-Gouverneur Andrew Bailey hatte sich am Donnerstag für eine Erhöhung um 50 Basispunkte entschieden. Der neue Leitzins von 5 Prozent, gekoppelt an die Erwartung eines wirtschaftlichen Abschwungs, verursachte an den Finanzmärkten eine Abschwächung des Pfundes sowie Rekordzinsen für Regierungs-Anleihen. Er sei „zu 100 Prozent“ auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes konzentriert, beteuerte Premierminister Rishi Sunak.
Die Entscheidung des Zentralbank-Gremiums fiel mit 7:2 Stimmen. Angeführt vom Gouverneur gab sich die Mehrheit entschlossen, man müsse der hartnäckig hohen Inflation in Großbritannien endlich beikommen. Die beiden Abweichler wollten bei 4,5 Prozent bleiben und abwarten, wie sich die Teuerung über den Sommer entwickelt.
Wie andere Zentralbanken der westlichen Welt hatte die BoE zu lang die Inflation infolge der Covid-Pandemie unterschätzt. Seither wurde der Zinssatz zwölfmal erhöht, meist um 25 Basispunkte. Auch diesmal hatten die Londoner Finanzmärkte mehrheitlich einen kleinen Schritt erwartet; doch Erhöhung Nummer 13 fiel deutlicher aus. Die Entscheidung kam einen Tag nach der Veröffentlichung der Inflationsrate für Mai: Gegen alle Erwartungen stagnierte die Gesamt-Teuerung bei 8,7 Prozent insgesamt; die Kerninflation – ohne die stark schwankenden Faktoren Energie und Lebensmittel – verzeichnete sogar einen Anstieg auf das höchste Niveau seit 1992.
Die Leitzins-Erhöhung stellt besonders für Hausbesitzer mit hohen Hypotheken eine schwere Last dar. Traditionell waren auf der Insel die meisten Hauskredite an den flexiblen Leitzins angebunden; dies hat sich in den vergangenen 20 Jahren zugunsten von Hypotheken mit länger festgelegtem Zinssatz verändert. Ökonomen schätzen die Zahl der unmittelbar betroffenen Haushalte auf 1,4 Millionen; viele andere Häuslebauer aber dürften den neuen Höchstsatz zu spüren bekommen, wenn ihr derzeitiger Kredit ausläuft. Wichtige Hypotheken-Banken wie NatWest und TSB haben eine Anhebung ihrer Kreditzinsen angekündigt. Nach einem Gespräch mit Finanzminister Jeremy Hunt sagten die Firmen am Freitag aber auch zu, Kreditnehmer in Nöten könnten sich zeitweilig auf die Bedienung der anfallenden Zinsen beschränken.
Vertrauen in Bank of England auf Rekordtief
Die beiden Abweichler der Zinsentscheidung erhielten Schützenhilfe von langjährigen BoE-Kritikern wie David Blanchflower. Dass Gouverneur Bailey das derzeitige Niveau von Preis- und Lohnerhöhungen als „untragbar“ bezeichne, deute auf eine falsche Analyse hin, glaubt der Ökonomie-Professor und Ex-Zentralbanker: „Das ist Inkompetenz.“ Denn das reale Lohnniveau liege derzeit auf dem Stand von 2007, während Unternehmen weiterhin hohe Gewinne verzeichneten. Blanchflower sagt für die kommenden Monate einen Absturz der Inflation voraus: „Das Vertrauen in die Bank of England liegt auf einem Rekordtief.“
Tatsächlich stecken Bailey und seine Institution seit Monaten in einer schweren Vertrauenskrise. Schon im vergangenen Jahr empörte er Gewerkschaftler mit der Aussage, Arbeitnehmer sollten nach jahrelangem realem Einkommensverlust bei Lohnverhandlungen Zurückhaltung üben. In den vergangenen Monaten ließ sich der 64-Jährige immer wieder zu viel zu optimistischen Vorhersagen hinreißen, was die Finanzmärkte verärgerte.
Im Mai musste er sich harsche Kritik durch die Mitglieder des mächtigen Finanzausschusses im Unterhaus gefallen lassen. Die Zentralbank habe „viel dazuzulernen“, räumte der Gouverneur ein und bezeichnete das lang bewährte BoE-Prognosemodell als „kaputt“ (broken). Die Zentralbank sei offenbar „am Steuer eingeschlafen“, glaubt der einflussreiche Tory-Hinterbänkler John Baron. Noch brutaler sagt es Ex-Minister Jacob Rees-Mogg: „Der Gouverneur ist der oberste Vogel Strauß, mit dem Kopf im Sand.“
Staatsverschuldung durchbricht 100-Prozent-Wert
Die Brexit-Insel schneidet bei der Teuerungsrate deutlich schlechter ab als die vergleichbar großen Volkswirtschaften in der Eurozone. Deutschland verzeichnete im Mai eine Inflation von 6,1 Prozent, Frankreich 5,1 und Italien 7,6 Prozent. Die Kern-Teuerung sank in allen Nachbarländern mit Ausnahme der Niederlande. Die Statistiker machten für den hohen Wert Großbritanniens unter anderem teurere Flugtickets, Spielzeug und Konzertkarten verantwortlich.
Für Premier Sunak und Finanzminister Hunt hielten die Statistiker diese Woche aber noch andere düstere Daten bereit. So hat die Staatsverschuldung erstmals seit 1961 die Schallmauer von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP durchbrochen. Britische Staatsanleihen notieren höher als im Herbst, als Sunaks Vorgängerin Liz Truss die Märkte mit einem Paket von Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung erschreckt hatte. Die Rückzahlung der Staatsschulden wird dadurch teurer. „Spanien, Italien und Griechenland zahlen derzeit geringere Zinsen als wir“, weiß Ökonom Blanchflower.
Politisch sind die düsteren Wirtschafts- und Finanzaussichten Gift für die schlingernde konservative Regierung, die gerade erst den Skandal rund um Ex-Premier Boris Johnson hinter sich gelassen hat. Sunak hatte zu Jahresbeginn mehrere Versprechen abgegeben. Dazu gehörte eine Halbierung der Inflationsrate bis zum Jahresende auf 5,5 Prozent sowie die Reduzierung der Staatsschulden. Beide Vorhaben stehen auf ähnlich tönernen Füßen wie das Ziel eines spürbaren Wirtschaftswachstums. Die Zentralbank habe die Aufgabe, die heißgelaufene Volkswirtschaft zu bremsen, glaubt Karen Ward von JP Morgan Asset Management: „Sie muss eine Rezession durchsetzen.“
EU-Austritt ein schwerer strategischer Fehler
Schon jetzt schlägt die Opposition dem fünften Tory-Premier seit 2016 die schlechte Wirtschaftslage um die Ohren. Labour-Chef Keir Starmer sprach im Unterhaus von einer bevorstehenden „Hypotheken-Katastrophe“ und höhnte, Sunak sei mehr am kalifornischen Immobilienmarkt interessiert als an den heimischen Problemen – eine Anspielung darauf, dass der Millionen-schwere Ex-Investmentbanker und seine schwerreiche Gattin in Santa Monica eine Villa besitzen.
Deutlicher werden rund um den siebten Jahrestag des Brexit-Referendums an diesem Freitag auch die Stimmen in der Öffentlichkeit, die den von Sunak befürworteten EU-Austritt für einen schweren strategischen Fehler halten, der entscheidend zu den wirtschaftlichen Problemen beiträgt. Eine Studie der London School of Economics (LSE) ergab im vergangenen Monat: Zur gewaltigen Erhöhung der Lebensmittelpreise um ein Viertel seit 2019 tragen die Brexit-Handelsbarrieren acht Prozent bei. Die Abwanderung vieler EU-Europäer aus Kernbranchen wie der Gastronomie, dem Einzelhandel und dem Hotelgewerbe hat zudem zu schweren Personalengpässen geführt – mit der Folge, dass die verbliebenen Arbeitnehmer deutliche Lohnerhöhungen fordern und erhalten konnten.
Zuletzt verzeichnete die Privatwirtschaft im Durchschnitt sieben Prozent höhere Löhne und Gehälter, was die streikenden Angestellten im öffentlichen Dienst neidvoll zur Kentnis nehmen. Beim überaus erfolgreichen deutschen Discounter Lidl erhielten die Angestellten zuletzt Stundenlohn-Erhöhungen von bis zu 13,7 Prozent. Der Mindestlohn stieg im April um 9,7 Prozent.
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