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Haft auf Verdacht: Österreich will Sicherungshaft für vermeintlich gefährliche Asylwerber

Haft auf Verdacht: Österreich will Sicherungshaft für vermeintlich gefährliche Asylwerber

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Österreich betritt rechtspolitisch gefährliches Terrain: Die ÖVP-FPÖ-Regierung plant als Reaktion auf einen Mordfall Sicherungshaft für als gefährlich erachtete Asylsuchende.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer

Der Schock sitzt noch immer tief in Dornbirn: Vor drei Wochen hatte ein türkisch-kurdischer Asylwerber, der schon vor zehn Jahren in Österreich ein EU-weites Aufenthaltsverbot ausgefasst hatte, das Sozialamt der Vorarlberger Stadt gestürmt und dessen Leiter erstochen. Der Täter war offenbar illegal in die Alpenrepublik zurückgekehrt und hatte als angeblich verfolgter Kurde Asyl beantragt.

Während die Opposition nun der Frage nachgehen möchte, ob die zuständigen Behörden geschlampt haben und der Mord etwa durch Verhängung der Schubhaft verhindert werden hätte können, möchte sich Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) nicht mit einer Untersuchung des Falles aufhalten, sondern ihn nützen, um die asylrechtlichen Daumenschrauben noch schärfer anzuziehen.

Warnung des Bundespräsidenten

Asylsuchende, denen ein Gefährdungspotenzial attestiert wird, sollen künftig auf Verdacht eingesperrt werden können. Kickl hat seine Pläne zwar noch nicht im Detail präsentiert, von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aber schon einmal ein grundsätzliches Plazet erhalten. Damit begibt sich die türkis-blaue Regierung auf rechtspolitisches Glatteis. Bundespräsident Alexander van der Bellen hat schon gewarnt, dass eine Sicherungshaft „rechtlich extrem heikel“ sei. Schließlich würde damit der Grundsatz, wonach nur begangene Verbrechen mit Freiheitsentzug sanktioniert werden sollen, ausgehebelt.

Der Rechtsstaat lässt prophylaktisches Wegsperren aus gutem Grund nur in einem äußerst eng begrenzten Rahmen zu. Obwohl Minister Kickl versichert, alle Rechtsnormen einhalten zu wollen, haben viele noch seinen Spruch im Ohr, mit dem der FPÖ-Hardliner im Jänner für Entsetzen gesorgt hatte: „Recht muss der Politik folgen, nicht Politik dem Recht.“
Das lässt zumindest auf einen lockeren Umgang mit Rechtsnormen schließen. Völlig unklar ist etwa, wie Präventivhaft

für Asylwerber mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Einklang zu bringen sein sollte. Das dort in Artikel 5 verankerte Menschenrecht auf Freiheit gilt zwar nicht uneingeschränkt, dem staatlichen Ermessen bei Inhaftierungen sind aber enge Grenzen gesetzt. Präventive Maßnahmen sind demnach nur zulässig, wenn ein begründeter Anlass besteht, dass eine Person eine Straftat begehen möchte. Der bloße Verdacht verbrecherischer Absichten reicht nicht für eine Sicherungshaft. Schon gar nicht vereinbar mit der EMRK wäre es, wenn eine solche Maßnahme nur Asylwerber träfe. Denn das Diskriminierungsverbot untersagt es, Freiheitsrechte allein aufgrund der Staatsangehörigkeit unterschiedlich zu regeln. Die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gibt den Konventionsstaaten zwar einen gewissen Spielraum, allerdings müssten für eine Ungleichbehandlung besonders schwerwiegende Gründe vorliegen. Was so ein Grund sein könnte, sagt der zuständige Sektionschef im Innenministerium: Ein Asylwerber, der vor eine IS-Flagge stehend eine schwere Straftat androhe, könne in Sicherungshaft genommen werden. Damit wird aber wohl nur eine extrem kleine Gruppe von Gefährdern erfasst, die öffentlich konkrete Verbrechen ankündigt.

Zumindest das Problem der Diskriminierung könnte ausgerechnet durch einen Vorschlag aus der Opposition umschifft werden: Denn der rechte SPÖ-Flügel ist Kickls Idee prinzipiell gar nicht abgeneigt, möchte allerdings nicht nur vermeintlich gefährliche Asylsuchende wegsperren. Ex-Innenminister Hans-Peter Doskozil will die Sicherungshaft auch gefährlichen Österreichern zuteil werden lassen. „Wenn der Preis des Freiheitsentzugs ist, dass unmittelbar ein Leben gerettet wird, da verstehe ich diese Diskussion überhaupt nicht“, sagt der prominente Genosse, der morgen den in Ruhestand tretenden burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl an der Spitze einer Koalition mit der FPÖ ablösen wird.

SPÖ-Rechte gesprächsbereit

Voraussetzung ist für Doskozil das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahrensituation, „die von einem Psychologen auch so eingeschätzt wird“. Auch Wiens Bürgermeister und SPÖ-Landesvorsitzender Michael Ludwig will, wenn es eine Sicherungshaft geben soll, die Österreicher miteinbeziehen. Ähnlich äußerte sich der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer, während die Bundesvorsitzende Pamela Rendi-Wagner für eine Diskussion über eine Neuregelung gar nicht erst zur Verfügung steht, solange es keine Task-Force zur Aufarbeitung der Messerattacke in Vorarlberg gibt.

Ohne SPÖ kann die Bundesregierung ihre Pläne allerdings nicht umsetzen, da sie nicht über die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügt und die liberalen Neos eine Unterstützung bereits ausgeschlossen haben.

Die Sozialdemokraten befinden sich damit in einer Zwickmühle: Da heuer in Österreich schon überdurchschnittlich viele Bluttaten von Männern mit Migrationshintergrund begangen wurden, steht die Politik unter Druck, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Mit jedem neuen Gewaltakt wird dieser Druck größer, wobei ÖVP und FPÖ den Schwarzen Peter den Roten zuschanzen werden. Die sind auch in dieser Frage tief gespalten. Doch mit Kickl ausgerechnet in dieser Frage gemeinsame Sache zu machen, würde Rendi-Wagner kaum unbeschadet überstehen.