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SerbienGrößte Proteste seit dem Fall von Milosevic: Präsident Vucic in Bedrängnis

Serbien / Größte Proteste seit dem Fall von Milosevic: Präsident Vucic in Bedrängnis
Demonstration am Freitag in Belgrad: Die Menschen in Serbien begehren gegen die Selbstherrlichkeit ihres Präsidenten auf Foto: AFP/Anderj Isakovic

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Nach den Amokläufen in Serbien gerät Präsident Aleksandar Vucic zunehmend unter Druck. Während die Opposition durch die größten Proteste seit dem Sturz von Ex-Autokrat Milosevic neuen Rückenwind verspürt, versucht Vucic, den Unmut mit der Mobilisierung seines Anhangs zu kontern.

Es läuft nicht mehr rund für Serbiens jahrelang unangefochtenen Dominator. Längst sind die Zeiten vorbei, dass der autoritär gestrickte Präsident Aleksandar Vucic von der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel als „Reformator“ oder von Kremlchef Wladimir Putin als „Freund“ gefeiert wurde.

Nur noch bei seinem ungarischen Busenfreund Viktor Orban ist der nationalistische Strippenzieher ein gefragter Gast. International wegen der Verweigerung der Russland-Sanktionen zunehmend isoliert, macht dem 53-Jährigen nach zwei blutigen Amokläufen zu Monatsbeginn nun auch im eigenen Land vermehrter Gegenwind zu schaffen.

Selbst die über dem Zentrum der serbischen Hauptstadt schwebenden Kameradrohnen vermochten am Wochenende das Ausmaß des Menschenmeeres kaum zu erfassen. Waren es Zehn- oder Hunderttausende Belgrader, die im Protest gegen Serbiens ausufernde Gewalt über die Save-Brücken zogen?

„Vucic, hau ab!“, erschallte es aus unzähligen aufgebrachten Kehlen. Längst hatten die ersten Demonstranten im Abendrot die Autobahnbrücke überquert, als die letzten vor dem vier Kilometer entfernten Parlament noch immer auf ihren Abmarsch warteten. „Es riecht nach serbischem Frühling“, so die erwartungsfrohe Aufschrift eines selbstgemalten Plakats.

Enge Bande zu kriminellen Gruppen

„Serbischer Frühling“, titelte am Wochenende denn auch freudig die regierungskritische Zeitung Nova. Während sich die Opposition angesichts der größten Massenproteste seit dem Sturz von Ex-Autokrat Slobodan Milosevic im Oktober 2000 im Aufwind wähnt, gerät der allgewaltige Präsident Aleksandar Vucic nach den Amokläufen mit 18 Todesopfern zunehmend in Bedrängnis – und unter Rechtfertigungsdruck.

Als eine von der heimischen Opposition „bestellte“ Auftragsarbeit versucht Vucic, den für ihn peinlichen Bericht der New York Times herunterzuspielen, der sich ausführlich mit seinen Verbindungen ins kriminelle Milieu beschäftigt. Doch auch heimische Kritiker werfen dem Landesvater nicht nur die Staatssubventionen für gewaltverherrlichende TV-Sender im Dunstkreis seiner SNS, sondern auch Mediengängelung, die Gleichschaltung der Justiz, die engen Bande zu kriminellen Hooligan- und Drogenclans sowie die florierende Korruption und Günstlingswirtschaft im faktischen Einparteienstaat vor.

Ihr habt den Staat und die Institutionen zerlegt. Das Einzige, was euch interessiert, sind eure Sessel, eure Villen, eure Helikopter und alles, was ihr sonst aus Serbien saugt.

Miroslav Aleksic, Oppositionspartei NS

Ausländische Geheimdienste versuchten in Serbien, eine weitere „bunte Revolution“ zu entfachen, wetterte der Landesvater am Wochenende vor Tausenden seiner Anhänger in Pancevo: „Aber Serbien hat eure Revolutionen satt. Serbien hat genug vom ausländischen Einfluss, der Zerstörung unserer Fabriken – und unserer nationalen Interessen.“

Zwar zeigen die von der Regierung kontrollierten Medien wie „Pink-TV“ oder das Schmuddelblatt Informer bei Berichten über die Proteste weiter angeblich leergefegte Straßen und Brücken. Doch zumindest in Belgrad, wo im Gegensatz zur Provinz auch unabhängige Kabel-TV-Sender zu empfangen sind, hat die SNS-Propagandamaschinerie den Kampf um die Herzen und Hirne der Hauptstadtbewohner längst verloren.

Scharfe Kriti von der Opposition

Nach Jahren der resignierten Apathie hat die blutige Eskalation der Gewalt für viele Belgrader das Fass der erduldeten Zumutungen der selbstherrlichen SNS-Clique zum Überlaufen gebracht. „Die größte Quelle von Hass ist euer Präsident und eure Partei – und euer Werkzeug sind eure Medien“, sprach Miroslav Aleksic von der Oppositionspartei NS letzte Woche im Parlament vielen seiner Landsleute aus dem Herzen: „Ihr habt den Staat und die Institutionen zerlegt. Das Einzige, was euch interessiert, sind eure Sessel, eure Villen, eure Helikopter und alles, was ihr sonst aus Serbien saugt.“

Als „eine Befreiung von der Angst“, kommentierte am Wochenende ein Analyst im Studio des unabhängigen TV-Sender N1 euphorisiert die bisher größten Proteste gegen die SNS-Machthaber. Noch scheint die Kunde der von Kritikern ausgemachten „Endzeitstimmung“ im Regierungslager zwar verfrüht: Die SNS kontrolliert wie bisher die wichtigsten Medien, die Polizei und Justiz im von ihr weitgehend gleichgeschalteten Balkanstaat. Doch ausgerechnet in der größten Krise der SNS seit ihrer Machtübernahme 2012 wirkt ihr Vormann Vucic wenig souverän: Es mehren sich die Risse im serbischen Autokratenlack.

Viele Serben sind befremdet, dass der sonst so allgegenwärtige Staatschef nach dem Belgrader Amoklauf nicht einmal die Kraft oder den Mut aufbrachte, die nur wenige hundert Meter von seinem Amtssitz entfernten Unglücksschule zu besuchen. Als „Aasgeier und Hyänen“ beschimpft derweil der dünnhäutige Vucic seine Kritiker, die „die Tragödie“ politisch zu missbrauchen suchten: „Sie wollen das Land ins Chaos stürzen. Sie wollen ohne Wahlen an die Macht gelangen. Aber das wird ihnen nicht gelingen.“

Staatsbedienstete zu Aufmarsch für Vucic verpflichtet

Eine Welle der Empörung löste derweil ein von Premierministerin Ana Brnabic verbreitetes Twitter-Selfie mit dem lachenden Präsidenten in verdreifachter Form aus, mit dem sie sich über die ihrer Meinung übertriebenen Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen die Gewalt lustig machte. „Sie sind die Regierungschefin in einem Land, in dem gerade 18 Menschen ermordet worden sind. Was ist daran so lustig?“, so eine der fassungslosen Reaktionen.

Mit der Ausschreibung von Neuwahlen im Herbst und dem geplanten Großaufmarsch seines Anhangs am kommenden Wochenende versucht Vucic, den wachsenden Zulauf bei den „Serbien gegen die Gewalt“-Demonstrationen der Opposition zu kontern: Über 2.000 Busse sollen die SNS-Sympathisanten in der Provinz am kommenden Freitag in die Hauptstadt karren.

Nicht nur SNS-Mitglieder, sondern auch parteilose Beschäftigte von Staatsbetrieben, Behörden, Schulen und Gesundheitszentren erhalten die Anweisung, mit einer Mindestzahl von Angehörigen und Bekannten zur Unterstützung von Vucic und „der größten Kundgebung aller Zeiten“ in die Busse nach Belgrad zu steigen. Die Zwangsdemonstranten würden mit „der Angst um ihren Arbeitsplatz, ihre Existenz und der Zukunft ihrer Kinder erpresst“, ätzt die Jura-Professorin Vesna Rakic Vodelic: „Ihr Rating ist das Einzige, was den Machthabern heilig ist.“