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Eine Mauer der Gesten und des Hasses

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Von unserem Korrespondenten Werner Kolhoff

Die Geste des Tages: der gereckte Mittelfinger. So stehen sich im Berlin Zentrum an diesem Sonntag AfD-Anhänger und Gegendemonstranten schreiend gegenüber.

Politische Kultur anno 2018. «Wir sind das Volk» brüllen die einen. «Nazis raus» die anderen. Erst über die Spree hinweg, da stehen die AfDler im früheren Osten, die Gegner im alten Westen. Später am Brandenburger Tor, da ist es umgekehrt. Dazwischen Polizisten, die unter ihren dicken Uniformen schwitzen. Es ist fast 30 Grad, schwül und aufgeladen.

Bei den Gegendemonstranten sieht man viele Ethnien, bei der AfD nur eine: weiß. Man hört Berliner oder sächsischen Akzent, einige reden russisch. Eine schwarze Frau macht die Ausnahme. Sie läuft am Brandenburger Tor bei der Schlusskundgebung gelassen durch die Reihen der Rechten. Sie sammelt Plastikflaschen und wird in Ruhe gelassen. Vielleicht, weil sie eine Deutschlandfahne geschultert hat. Man erfährt nicht so recht, was der Anlass für die Demonstration ist. Dass man den Linken nicht die Straße überlassen dürfe, nennt der Berliner Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Berg als Motiv. Dass man nicht nur im Parlament, sondern auch «außerparlamentarisch» aktiv sein müsse, meint Andreas Kalbitz, Brandenburgs AfD-Chef und Mitorganisator.

Vieles wirkt in der Tat von der APO gelernt. Bis hin zu dem alten Demo-Slogan: «Bürger stellt das Gaffen ein, auf die Straße, reiht euch ein», den schon Generationen von Studenten gerufen haben. Wie bei diesen fruchtet der Aufruf freilich auch diesmal nicht. Erstens weil im Regierungsviertel praktisch keiner wohnt, zweitens, weil die Polizei alles hermetisch abgeriegelt hat. An jeder Seitenstraße wartet ein lauter Pulk von Gegendemonstranten auf die AfDler, sogar auf der Spree protestieren sie mit Booten und Flößen. Doch außer Geschrei dringt nichts durch.

«Chaos, Diktatur, Untergang»

Über 5.000 Anhänger der Rechten sind zur «Großdemonstration» von überall her gekommen, mit klarem Schwerpunkt Ostdeutschland. Es sind Männer und Frauen aus jeder Altersgruppe. Harmlos aussehende Bürger. Manche tragen stolz handgemalte Schilder vor sich her. Einer hat CDU mit «Chaos, Diktatur, Untergang» übersetzt. Auf einem Schild steht bloß: «Faxen dicke». Ein bisschen erinnert das Ganze an DDR-Demos in den Wendejahren, etwa als Helmut Kohl im Dezember 1989 in Dresden redete. Auch wegen der vielen Deutschlandfahnen.

Glatzköpfe sieht man wenige. Eine Gruppe hat sich unter der Buntschuhfahne aus der Zeit der Bauernaufstände gruppiert. Diverse Abzeichen weisen sie als Anhänger von BFC Dynamo (Ost-)Berlin aus, einem Verein, der ein Problem mit radikalen Fans hat. Buntschuh stehe für Widerstand, sagt ein etwa 30-jähriger Mann. Er trinkt ab und zu aus einer großen Plastikflasche, die, wie man riechen kann, nicht nur Limonade enthält. Wogegen Widerstand?

 «Wir sind gekommen, um zu bleiben»

«Dass wir uns den ganzen Dreck von sonst wo hierherholen», lautet die Antwort. Seine Freundin kommt dazu, sie trägt ihr blondes Haar im Stil früherer deutscher Mädchen gescheitelt und zu Zöpfen geflochten und auf der schwer tätowierten Wade ein Hakenkreuz. Auch ein paar als Ordner eingeteilte Jung-AfDler haben sich mit Seitenscheitel, dunklen, hochgeknöpften Hemden und schweren Ledergürteln an den kurzen Hosen nach dem Vorbild der Hitler-Jugend gestylt. Sie skandieren später «Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen». Ein alter NPD-Slogan.

Das geht dann doch weit über das hinaus, was die Redner von der AfD als Problem ausmachen, nämlich die Flüchtlinge und den Islam. Immer wieder ist davon die Rede, dass Merkel versuche, Deutschland als Volk und Nation zu vernichten. Sobald so etwas kommt, skandieren die Leute «Widerstand, Widerstand» und «Merkel muss weg». Beatrix von Storch, Fraktionsvize im Bundestag, nimmt sich unter Gejohle Mesut Özil vor, der ihrer Meinung nach nicht in die Nationalmannschaft gehört, weil er die Nationalhymne nicht mitsingt und Erdogan getroffen hat.

Am Rande werden Flugblätter für die nächsten Demonstrationen verteilt. «Wir sind gekommen, um zu bleiben», ruft Parteichef Alexander Gauland aus. «Wir werden immer mehr und wir werden die anderen Mores lehren.» Dann gelingt es einem Gegendemonstranten für einige Minuten die Lautsprecher zu kappen und von hinten hört man es im Sprechchor rufen: «Ganz Berlin hasst AfD.» Stinkefinger gehen auf beiden Seiten in die Höhe. Eine Gewitterwolke zieht auf, direkt über dem Geschehen am Brandenburger Tor. Aber sie entlädt sich nicht. Dabei wäre das jetzt doch mal ein schönes Zeichen des Himmels gewesen.

CESHA
28. Mai 2018 - 7.35

Man kann es drehen und wenden wie man will: Wenn Merkel 2015 nicht so kläglich versagt hätte, wäre Deutschland nicht das gespaltene Land, als das es sich uns jetzt präsentiert.
Es gibt ja inzwischen genug Doku-Material über das, was damals passiert ist, als nach einer einmaligen Geste des guten Willens die Grenze eigentlich wieder geschlossen werden wollte, aber niemand (am allerwenigsten Merkel selbst) sich traute, dieses zu tun, aus Angst vor "unschönen Bildern" wie die Kanzlerin es umschreibend formulierte.
Zur Zeit allerdings würde es nichts mehr daran ändern, wenn "Merkel weg wäre", denn andere haben sich der wahnwitzigen Willkommenskultur, die alle aufnehmen möchte angeschlossen, allen voran der Koalitionspartner SPD, der auch die geringsten Anstrengungen der CDU/CSU, das Land wieder in einen Rechtstaat zu verwandeln, behindert.