Schwedische Forscher haben zusammen mit Kollegen in Hamburg das stärkste Biomaterial der Welt hergestellt. Es ist biologisch abbaubar. Mit der neuen Produktionsmethode können bahnbrechende Eigenschaften von Nanostrukturen in die Alltagswelt übertragen werden.
Von unserem Korrespondenten André Anwar, Stockholm
Für Nichtfachleute klingt es zunächst etwas unbegreifbar. Doch was schwedischen Wissenschaftlern nun gelungen ist, könnte die Herstellung von Produkten in allen nur erdenklichen Branchen und damit den menschlichen Alltag revolutionieren.
Die Forscher der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm (KTH) haben am Teilchenbeschleuniger des Deutschen Elektronen-Synchrotrons der Helmholtz-Gemeinschaft (DESY) in Hamburg das bislang stärkste Biomaterial der Welt herstellen können. Laut einem im Fachmagazin ACS Nano veröffentlichen Artikel ist es stärker als Spinnenseide und Stahl. «Wenn man ein biobasiertes Material sucht, gibt es nichts wirklich Vergleichbares. Es ist auch stärker als Stahl und alle anderen Metalle oder Legierungen sowie als Fiberglas und die meisten anderen synthetischen Materialien», sagt Studienleiter und Materialforscher Daniel Söderberg dem Tageblatt.
Aus Nanomaterial wird großer Baustein
Dabei besteht der neue Stoff prinzipiell aus den gleichen Grundstoffen wie gewöhnliches Holz, den Zellulose-Nanofasern (Fibrillen). Nur die Struktur ist eine andere. Die winzigen Fasern konnten in Hamburg fast perfekt parallel ausgerichtet und so dicht aneinander gelagert werden. Dadurch ist der neue Stoff fast so stark wie die einzelnen Fasern für sich. Das nun vor Spinnenseide stärkste Naturmaterial der Welt ist zudem extrem leicht und biologisch abbaubar. «Fossile Kunstmaterialien könnten etwa im Bauwesen, bei Transportfahrzeugen und in vielen anderen Bereichen so ersetzt werden», sagt Söderberg.
Vor allem die Art und Weise, wie die Wissenschaftler diesen Stoff hergestellt haben und damit die vorteilhaften Nanoeigenschaften winziger Fasern auf eine größere im menschlichen Alltag nutzbare Materialeinheit übertragen konnten, gilt als Weltneuheit. Denn bislang war es extrem schwierig, die vorteilhaften Eigenschaften aus der winzigen Nanowelt auf größere Bausteine zu übertragen, die groß genug sind, um im menschlichen Alltag genutzt werden zu können. Bislang können nur Oberflächen von gewöhnlichem Material nanoversiegelt werden. Bei einer Personenfahrzeug-Nanoversiegelung etwa werden Silizium-Nanopartikel auf den Oberflächen des Fahrzeugs aufgetragen, sodass eine dünne, unsichtbare Schutzschicht entsteht. Vereinfacht ausgedrückt nutzten die Forscher zur Herstellung ihres superfesten Materials Wasser. Mit Hilfe von «hydrodynamischer Fokussierung» drückten sie winzige Nanofibrillen in einem rund einen Millimeter breiten Kanal stark zusammen.
Dies mit Hilfe von seitlich einströmendem Wasser mit die Ladung der Fasern beeinflussenden pH-Werten. Im Endprodukt, einem dicht gepackten Faden, sitzen die winzigen Fasern ohne Klebstoff fest aneinander. Es dürfte noch eine Weile dauern, bis der Produktionsprozess ausgereift ist, um zur praktischen Anwendung im menschlichen Alltag zu kommen.
Doch dann gelten die Möglichkeiten als unbegrenzt. So könnte der superleichte und extrem widerstandsfähige Stoff etwa Bauelemente in Autos, Flugzeugen oder Möbeln ersetzen, noch dazu umweltfreundlich. Auch in der Biomedizin böten sich Möglichkeiten, so Söderberg. «Unser neues Material hat auch Potenzial für die Biomedizin, da Zellulose vom Körper nicht abgestoßen wird», erläutert der Forschungsleiter.
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