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Die Chaostruppe von Sven Clement: Warum die Piraten bei den Wahlen so gut abschnitten

Die Chaostruppe von Sven Clement: Warum die Piraten bei den Wahlen so gut abschnitten

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Die Piraten sind neben den Grünen die großen Wahlsieger. Sie haben völlig überraschend zwei Parlamentssitze ergattert. Dabei stand die Partei vor wenigen Monaten noch vor der Zerreißprobe. Ein Versuch, ihren Erfolg zu verstehen.

Mai 2018, in einem Saal in den Rotunden im Bahnhofsbezirk. Die Piraten organisieren einen Kongress, der die Partei auf die Parlamentswahlen vorbereiten soll. Im hinteren Teil des Saales stehen zwei Männer an der Theke. Daniel Frères ist groß, stämmig und kahl. Die verschränkten Arme lassen ihn bedrohlich wirken. Sein Gesprächspartner, der viel unauffälliger als Frères ist, heißt Marc Goergen. Er galt schon damals als aufsteigender Stern der Partei und konnte bei den Gemeindewahlen einen der drei Gemeinderatssitze der Piraten ergattern.

Die beiden Männer haben für ordentlich Wirbel in der Partei gesorgt. Goergen, der aus dem Süden stammt, war drei Jahre davor in einen Machtkampf mit den Piraten aus dem Norden geraten. Zwei Jahre lang wurde gestritten. Bis zu den Gemeindewahlen. Goergen konnte neben seinem eigenen Sitz in Petingen noch einen weiteren für seinen Mitstreiter Starsky Flor einheimsen. «Der Erfolg gibt ihm recht», meinte Parteipräsident Sven Clement damals. Goergen konnte den Machtkampf für sich entscheiden und seine Position innerhalb der Partei stärken.

Tierschutz und Cannabis

Im Saal in den Rotunden stehen Männer und Frauen, die hier fast keiner kennt. Es handelt sich um die Kandidaten der PID, einer Splitterpartei um den Cannabis-Aktivisten Jean Colombera. Dass sie an dem Tag dort antreten, ist das Verdienst des umstrittenen Piraten-Mitglieds Daniel Frères. Er war einst PID-Mitglied und hat den Kontakt zwischen beiden Parteien hergestellt, die im März 2018 verkündeten, dass sie gemeinsam bei den Parlamentswahlen antreten würden.

Etwas weiter stehen die «Ur-Piraten». Sie sind die Verfechter der Kernthemen der Piraten: Netzneutralität, Datenschutz und Informationsfreiheit. Dass die beiden Gruppen nicht besonders gut aufeinander zu sprechen sind, klingt auf dem Kongress deutlich durch. Die beiden Seiten zerreißen sich vor den Augen der Presse und werfen sich gegenseitig vor, die Partei zerstören zu wollen. Und mittendrin: Parteipräsident Sven Clement, der versucht, den Bogen zwischen den beiden Seiten zu spannen, ohne sich für eine zu entscheiden. Er weiß, dass die Vielfalt der Kandidaten seine Partei zerreißen könnte. Er weiß aber auch, dass er auf beide Flügel angewiesen ist, um überhaupt einen Sitz im Parlament erhalten zu können.

Ein halbes Jahr später lächelt Sven Clement zufrieden in die Kamera. Der 29-jährige Unternehmer hat es geschafft: Er zieht gemeinsam mit Marc Goergen ins Parlament. Weder Umfragen noch Journalisten hatten es kommen sehen. Dies, weil die Partei keine klare Richtung und sich auf einzelne Themen konzentriert hat. Ihr Wahlkampf war plakativ und populistisch. Trotzdem wurde er von Erfolg gekrönt, weil jeder seine Rolle übernommen hat.

Zum Beispiel Daniel Frères, der die Stimmen der Piraten im Osten mehr als verdoppeln konnte. Sie stiegen von 2,69 auf 6,98 Prozent. Frères, eigentlich Immobilienmakler, wurde vor allem als Tierschützer bekannt. Seine Organisation «Give Us A Voice» wirbt in den sozialen Medien mit Schockfotos von verletzten oder gar toten Tieren für Tierrechte. Sein Stil ist äußerst umstritten – und doch hat er großen Erfolg mit seinen Kampagnen. Über 40.000 Menschen folgen seiner Seite.

Dort teilt er unter anderem Inhalte von «Russia Today», einem vom Kreml mitfinanzierten Sender, oder vom luxemburgischen Tabloid Lëtzebuerg Privat, das wegen seinen wilden Spekulationen und Unterstellungen immer wieder verklagt wird. Frères hat den Tierschutz in die Piratenpartei gebracht. Und seinen plakativen Stil in den sozialen Medien. Mit Erfolg. Er erhielt im Osten 4.152 Stimmen. Zum Vergleich: LSAP-Arbeitsminister Nicolas Schmit zog mit 5.522 Stimmen ins Parlament ein.

Social Media als Waffe

Etwas weiter nördlich hat eine weitere personelle Entscheidung Früchte getragen. Jean Colombera wurde Meistgewählter im Norden. Der Arzt und Cannabis-Aktivist, dessen Haus vor ein paar Jahren sogar einmal durchsucht wurde, weil er unter Verdacht stand, seinen Patienten Marihuana-Produkte zu verschreiben, ist kein Neuling in der Politik. Er saß bereits zweimal für die rechtskonservative ADR im Parlament, bevor er nach Streitigkeiten mit anderen Parteimitgliedern die PID gründete. Gemeinsam mit dem Ur-Pirat Ben Allard, der im Norden als Spitzenkandidat der Partei antrat, konnte Colombera das Resultat der Partei von 3,37 auf 7,67 Prozent verdoppeln.

Im Süden und im Zentrum spielten auch noch andere Faktoren als nur die Personalien eine Rolle. Auch hier setzten die Piraten auf plakative, teils populistische Aussagen. Alles, was irgendwie gut ankommen könnte, wurde auf die Plakate gepackt: Wohnungen für 10 Euro pro Quadratmeter ohne Enteignungen, kostenloser öffentlicher Transport, Luxemburgisch für jeden, das bedingungslose Grundeinkommen, den Mindestlohn stärken, Steuerklasse 2 für jeden und vieles andere mehr. Wer kann da schon Nein sagen?

Hinzu kamen Forderungen, die eine spezifische Wählerschaft ansprechen sollten. Zum Beispiel die Anerkennung des E-Sports, also des kompetitiven Computerspiels, den Bau eines Krankenhauses im Osten des Landes oder die Legalisierung von Cannabis.

Die letzte Zutat des Rezeptes war der unkonventionelle Wahlkampf. Die Piraten waren sehr präsent in den sozialen Medien. Vor allem die beiden Kandidaten, die schlussendlich ein Mandat erhielten, also Sven Clement und Marc Goergen, mischten sich immer wieder in Diskussionen ein, sei es auf Facebook oder Twitter. Die Piraten schreckten auch nicht davor zurück, ihre Werbung auf Pornoseiten zu schalten, bekanntlich die meistbesuchten Seiten des Internets. So flog beim Besuch einer solchen Seite dem Nutzer eine Werbung der Piraten entgegen, in der sie den Schutz der Privatsphäre versprachen. «Sowohl online, als auch offline.»

Goergen und Clement wurden jeweils als Spitzenkandidaten im Süden und Zentrum in die Debatten geschickt. Dort traten sie moderat bürgerlich auf und verdeckten so die Inkohärenz ihrer Partei. Dass die Piraten ein Richtungsproblem haben, fiel nicht auf, weil die beiden Kandidaten inhaltlich auf einer Linie sind. Goergen sprach über den Stau in Luxemburg und schlug die Monorail, flexible Arbeitszeiten, die Abschaffung der Radargeräte und den Ausbau des öffentlichen Transports vor. Clement sorgte sich als Unternehmer vor allem um die kleinen Firmen, denen das Leben in Luxemburg wegen der administrativen Last zu schwer gemacht wird.

Die Rechnung ging auf. Mit zwei Sitzen sind sie nach Island und der Tschechischen Republik die dritte Piratenpartei der Welt, die in ein nationales Parlament einzieht. Clement hat seine Partei bis an den Rand des Absurden diversifiziert.

Er setzte auf alle Personen, die das Potenzial zum Stimmenmagneten hatten, auch wenn sie nicht zu den Piraten passten. Er hat auch auf alle Themen gesetzt, die er nur finden konnte, wissend, dass schon irgendjemand anbeißen würde. Die Piraten können sich nun in einer ersten Phase freuen, dass sie den Sprung in die Chamber endlich geschafft haben.

Nur haben sie auch ihr Parteibild stark verwässert. Sowohl personell als inhaltlich. Parteipräsident Clement wird nun weiter damit beschäftigt sein, einem zusammengewürfelten Haufen von Menschen eine Linie zu geben – wenn er denn will, dass seine Partei auch langfristig existiert.

roger wohlfart
17. Oktober 2018 - 10.27

In 5 Jahren wird Bilanz gezogen. Was die Piraten dann von ihrem doch eher bescheidenen Programm umsetzen konnten ist fragwürdig und bleibt abzuwarten.