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DeutschlandDer grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Sommerreise

Deutschland / Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Sommerreise
Robert Habeck besichtigt bei seiner Sommerreise in Mannheim eine Werkhalle von Südkabel, in der Stromkabel hergestellt werden Foto: Bernd Weißbrod/dpa

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Robert Habeck ist mit hohem Tempo in seine Amtszeit als Vizekanzler und Wirtschaftsminister gestartet, hat krisengetrieben ein Gesetz nach dem nächsten auf die Startrampe geschoben. Doch seit Monaten reiht sich Misserfolg an Misserfolg. Unterwegs mit einem, der eigentlich Kanzlerkandidat werden wollte, sich nun aber erst mal wieder zurückkämpfen muss.

Emilia ist nicht die typische Zuschauerin an diesem Abend. Sie ist noch ein Kind, die mit Abstand jüngste von rund 450 Gästen im Karlstor-Bahnhof in Heidelberg. Doch sie ist es, die den Vizekanzler nach knapp eineinhalb Stunden „Bürgerdialog“ das erste Mal kurz innehalten lässt. Wie er es schaffen will, fragt Emilia den Wirtschaftsminister, die Politik an die Schulen zu bringen? Denn die Klimakrise und der Ukraine-Krieg würden ihrer Erfahrung nach kaum eine Rolle spielen im Unterricht, sagt Emilia. Habeck zögert, weiß nicht gleich, was er darauf antworten kann, lächelt etwas verunsichert. Lachen im Saal.

Doch es ist ein Moment, der dem zuletzt vielfach gescholtenen Grünen-Politiker sichtlich guttut. Habeck kann an diesem Abend wieder natürlich sein, ohne in der Grünen-Hochburg Heidelberg ein Pfeifkonzert wie jüngst in Bayreuth oder Ende der Woche beim zweiten Teil seiner Reise in Ostdeutschland fürchten zu müssen. „Zeit zum Reden“ heißt das Format. Habeck nutzt sie vor allem, um dafür zu werben, Transformation hin zu mehr Klimaschutz als positive Geschichte zu erzählen.

Habeck ist drei Tage am Stück im Südwesten der Republik unterwegs und will „eintauchen“, wie er sagt. Mal wieder rauskommen aus der Berliner Blase, in der er zuletzt eher wie der Buhmann der Nation wirkte. Das versucht er bei Unternehmensbesuchen wie bei Südkabel in Mannheim. Es sind gefühlte 40 Grad in der Produktionshalle, in der seit 125 Jahren Kabel hergestellt werden. Mittlerweile vor allem die ganz dicken. Solche, die dazu dienen, den Strom von Windrädern und Solaranlagen im Land zu verteilen. Aufgewickelt auf gigantischen Trommeln liegen die schwarzen Adern der Energiewende aufgereiht in dem alten Fabrikgebäude. Südkabel kämpft mit den Vergaberichtlinien und hat bei Aufträgen oft das Nachsehen, weil diese in aller Regel an die günstigsten Konkurrenten mit dem größten Angebot gehen. Habeck will das mal mitnehmen, schauen, was man bei den Ausschreibungen machen kann, um beispielsweise einen geringeren CO2-Verbrauch als Faktor zu berücksichtigen. Klingt nach einem komplexen Vorhaben, die Beschäftigten fühlen sich aber abgeholt, verstanden.

Kleinere Brötchen backen

Auch Habeck geht es darum, verstanden zu werden. Er muss wieder Boden unter die Füße bekommen, nachdem er heftig ins Rutschen geraten war in den vergangenen Monaten. Mit dem Gezerre in der Ampel um das Heizungsgesetz sank die Zufriedenheit mit seiner Politik rapide.

Davon hat er sich bis heute nicht erholt. Als zuletzt nach wochenlangen Verhandlungen auch noch die Verabschiedung des zwischen den Ampel-Fraktionen geeinten Entwurfs für das Gebäudeenergiegesetz vom Verfassungsgericht ausgebremst wurde, war Habeck restlos bedient – auch wenn er kurz danach betonte, es sei „kein Beinbruch“, das Gesetz nun eben nach der Sommerpause durch Parlament und Bundesrat zu bringen. Ändern werde sich ja nichts mehr, so Habeck. Das haben sie sich geschworen in der Koalition, ist von SPD-, FDP- und Grünen-Verhandlern gleichlautend zu hören.

Als Habeck im Karlstor-Bahnhof auf der Bühne steht oder in der Produktionshalle von Südkabel schwitzt, wirkt er nicht wie einer, der sich mal Chancen auf eine Kanzlerkandidatur ausgerechnet hatte. Habeck muss gerade kleinere Brötchen backen und sich und seine Partei in der Regierung erst einmal wieder auf den Erfolgspfad bringen. Mit dem Heizungsgesetz, dem abgespeckten Klimaschutzgesetz, dem EU-Asylkompromiss und Debatten um Kindergrundsicherung und Elterngeldkürzungen hatte es zuletzt vor allem viele negative Schlagzeilen gegeben.

Besuch in KI-Startup

Die Sommerreise bringt da Abwechslung. So auch der Besuch bei der Softwareschmiede Aleph Alpha in Heidelberg. Hinter Garagen, in einem unscheinbaren Flachbau, sitzt eines der innovativsten Startups der Republik, entwickelt mit rund 60 Mitarbeitern Künstliche Intelligenz (KI) auf dem Niveau großer US-amerikanischer Technikkonzerne. Die KI kann binnen Sekunden riesige Datenmengen durchforsten, Sprache verstehen und so umfangreiche Texte analysieren und zusammenfassen. Und das alles unter den strengen deutschen und europäischen Datenschutzstandards, ausgeführt in einem deutschen Rechenzentrum. Das Neckartal als Antwort auf das Silicon Valley in Kalifornien. Habeck ist elektrisiert. Er will wissen, ob die Modelle der jungen Programmierer ihm dabei helfen könnten, Förderbescheide schneller bearbeiten zu lassen, Transportgenehmigungen für Windkraftanlagen oder die dringend gebrauchten Stromkabel zu erteilen. Alles grundsätzlich möglich, lautet die Antwort, doch die kleine KI-Schmiede braucht Geld und Aufträge, um auch künftig auf Augenhöhe mitspielen zu können. Man verabredet sich für ein baldiges Wiedersehen.

Am Vorabend findet Habeck nach kurzem Zögern und ausführlichem Lob für Emilias Frage dann doch noch eine Antwort. Junge Leute hätten in den letzten Jahren nicht darauf gewartet, dass Politiker an die Schulen gehen und dort erklären, wie wichtig Klimaschutz ist. „Sondern die haben sich das Thema einfach selber geholt.“ Die junge Generation brauche keine Belehrungen, sagt Habeck. Und endet mit dem Satz: „Macht es besser!“

JJ
13. Juli 2023 - 20.59

Der Ast auf dem er sitzt ist nicht mehr grün. Er bröckelt schon.