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Der Grieche als Sündenbock?

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Der deutsche Rentner muss Abgaben leisten für die Griechen. Dieser Satz, der die Meinung vieler Europäer nach der Finanzkrise prägte, ist nicht nur falsch, sondern auch in höchstem Maße diskriminierend gegenüber den Griechen, die ungerechterweise als Diebe, Parasiten und Faulenzer dargestellt wurden. Dass dieser Satz aber zirkulierte und darüber hinaus eine gewisse Glaubwürdigkeit erhielt, war vor allem die Schuld einiger europäischer und deutscher Lenker. In unserem Gespräch mit Iraklis Galanakis, ein Grieche, der aus Kreta stammt und an der griechischen Botschaft in Luxemburg arbeitete, haben wir versucht, die Sichtweise der Griechen zu verstehen.

Immer dann bekamen die Aussagen Galanakis einen emotionalen Charakter, wenn etwas bei ihm das Gefühl der Ungerechtigkeit auslöste. So zum Beispiel bei der Tatsache, dass man in Griechenland sehr wohl den Unterschied zwischen dem teils skandalösen Verhalten früherer griechischer Regierungen macht, die Dinge getan haben, die man nicht hätte tun sollen … und der Strafe, die man den Menschen auferlegt hat, die anderswo als Diebe, Parasiten und Faulenzer dargestellt werden, ein wenig so, wie man es in Deutschland zu pflegen tut.

«Klar, in Griechenland gab es eine schlechte Verwaltung durch die Politiker. Und es stimmt auch, dass das Volk die Politiker gewählt hat», so Galanakis. Diese Politiker haben die europäischen Instanzen getäuscht, unter anderem mit Hilfe der US-amerikanischen Unternehmensberatung Goldman Sachs. «Aber eigentlich waren wir finanziell und strukturell nicht auf der Höhe, um der EU beizutreten. Und da liegt wahrscheinlich der Fehler. Die politischen Entscheider in Europa haben uns in ihren gemeinsamen Markt aufgenommen, ohne uns vorher strukturelle Veränderungen abzuverlangen.»

Man hat Griechenland 2001 sogar den Euro auf einem silbernen Tablett serviert, aus geostrategischen Gründen. Die Griechen haben das damals nicht so verstanden. Doch jene in Europa, die Griechenland in dieser Struktur haben wollten, hatten ihre geostrategischen Interessen.

Keine «Stunde Null»

«Ende der Nuller Jahre kam die Rechnung. Griechenland wurde gezwungen, sich beim FMI (Fonds monétaire international) Geld auszuleihen und das, obwohl die Statuten des FMI dies nicht vorsehen, damit insbesondere die deutschen und die französischen Banken nicht Pleite gehen», so Galanakis weiter. «Wenn eine Bank aber investiert und Gewinne macht, dann behält sie diese für sich. Wieso nicht auch die Risiken?

Wieso muss das griechische Volk für die Risiken der Banken aufkommen», fragt er sichtlich gekränkt. Und damit die anderen Europäer dies akzeptieren würden, habe man ihnen gesagt, dass die Griechen Räuber und Faulenzer seien. «Schaut man sich die Geschichte der Menschheit an, dann sieht man immer wieder das gleiche Vorgehen. Wenn ein Reich ein anderes angreifen wollte oder Spannungen zwischen zwei Volksgruppen wollte, dann hat man ein glaubwürdiges Argument hervorgebracht, um dies zu rechtfertigen», so Galanakis. Er glaubt, dass es Griechenland war, das im Zweiten Weltkrieg dem Nationalsozialismus die größte Resistenz entgegenbrachte. Und als Dank für diese Resistenz haben die Griechen einen Bürgerkrieg bekommen.

Den zweiten Weltkrieg hat Iraklis Galanakis nicht miterlebt. Denn er wurde 1945 auf Kreta geboren. In der sogenannten «Stunde Null». Doch diese gab es in Griechenland eigentlich gar nicht. Galanakis erinnert sich an den Bürgerkrieg, der nach dem zweiten Weltkrieg das Land beherrschte. Als dieser endete, war er fünf Jahre alt. Linke Partisanen und rechte Militärs lieferten sich blutige Kämpfe, die 1967 zum Putsch führten und die Militärs die Macht ergriffen. 1974 war der Spuk vorbei.

Griechenland galt im Zweiten Weltkrieg als strategischer Punkt des Balkans nach Afrika und zum Mittleren Osten. Und ausgerechnet dort erlebten die Nazis, wie stark die griechische Resistenz war. Die nationalsozialistische Armee ging sowohl auf dem griechischen Festland als auch auf den Inseln mit inhumaner Weise vor. Demnach blieben auch gegenüber Deutschland Spannungen.

Nach dem Weltkrieg verlief die Frontlinie zwischen dem «freien» Abendland (Westen) und dem durch diese Region. Das trieb Griechenland in einen Bürgerkrieg. 1981 wurde Griechenland EU-Mitglied. «Wir sind wegen der Demokratie beigetreten», erklärt Galanakis. «Wir wollten uns gegen eine erneute Militärdiktatur wappnen und haben uns gesagt, dass wir in Europa von dem Schutz des demokratischen Pluralismus profitieren können. Und nun sagen wir, dass Europa uns schützen muss.»

Wieso Europa lieben?

«Wieso sollte ein Grieche Europa lieben», fragt Galanakis. «Weil wir Angst vor der Türkei haben und weil wir vielleicht die Hilfe der Europäer bekommen». Schutz suchen die Griechen also auch vor ihrem großen Nachbar Türkei. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Osmanische Reich stets eine starke Hand über Griechenland und Kreta, was damals noch nicht zu Griechenland gehörte. Damals gab es spektakuläre Machtmissbräuche der Türken gegenüber den Griechen. Diese teils barbarische Vorgehensweise hat Spuren bis heute hinterlassen. Das erklärt das enorme Misstrauen der Griechen gegenüber den Türken. Man kann die Griechen nicht beruhigen indem man sagt, die Türkei sei Nato-Mitglied.

Die auferlegten strengen Austeritätsmaßnahmen machen es den Griechen auch nicht einfacher, Europa zu lieben. Die Griechen haben gesehen, wie ihr öffentliches Gesundheitssystem und ihr Sozialsystem zusammenbrachen. Nirgends war mehr Geld. Keine Arbeit. Die Renten wurden stark reduziert. Ohne Erklärungen. Das ganze Leben änderte sich. Es gab das Gefühl, fundamental ungerecht behandelt zu werden durch Europa, aber auch durch Deutschland. Deutschland wird – noch mehr als in anderen Ländern – in Griechenland als das Land angesehen, das Europa dirigiert. Für die Griechen war der Finanzmeister Europas Schäuble. Und Merkel ein bisschen weniger. Man kann die Griechen verstehen, die sagen, da nehmen die Deutschen in den Jahren nach 2010 ihre Revanche für unsere enorme Resistenz im zweiten Weltkrieg. Die Griechen machen diese Verbindung immer noch.

Und wie geht es weiter? «Die linke Regierungspartei Syriza unter Ministerpräsident Tsipras stemmte sich vor ihrer Regierungszeit vehement gegen die Austeritätsmaßnahmen», so Galanakis. «Auch heute befürwortet sie diese nicht, spielt das Spiel aber mit. Deshalb sagt Syriza: werden wir schnell fertig damit. Tun wir, was zu tun ist, damit wir uns nach dem Erfüllen dieser Bedingungen der Entwicklung des Landes widmen können», so Galanakis. 1999 war Griechenland mit 120 Prozent des BIP verschuldet. Heute sind es fast 190 Prozent.

«Das Problem mit Griechenland ist nicht, dass es nicht das zahlt, was es zu zahlen hat, sondern dass es auch leben muss, trotz Rückzahlung. Deshalb wird zurzeit in Griechenland alles versteigert.» Galanakis glaubt, dass es die Sozialisten der Pasok bei der nächsten Wahl schwer haben werden, trotz Bemühungen, die Mitte zu vereinen. Syriza habe dagegen die Stellung von Pasok eingenommen, mitsamt deren Wähler.


Zur Person

Iraklis Galanakis arbeitete von 1997 bis 2003 als Pressessprecher an der grieichischen Botschaft in Luxemburg. Später war er Presseattaché im Straßburger Europarat. Galanakis arbeitet mit der luxemburgischen Organisation «Les amis de la Grèce» zusammen. Mit dem Präsidenten der Organisation, Prof. Edy Wolter, organisiert Galanakis Austausche zwischen der griechischen, kretischen und luxemburgischen Gemeinschaft um die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zu festigen. Galanakis tritt für eine gerechtere Gesellschaft und den demokratischen Pluralismus ein. Seine Reflexionen hat er unter anderem in der Wochenzeitung Le Jeudi und im Kulturmagazin Kulturissimo niedergeschrieben.

Scholnier
23. März 2018 - 7.58

Die Politik spricht heute gerne und gut von der Solidargemeinschaft oder auch der Solidarität unter den Völkern, den Bürgern , doch im Allgemeinen sind es leere Floskeln die einzig und alleine der Politik dienen ,ihre Machstellung und Ansichten durchzusetzen.