Für die Linkspartei ist Gregor Gysi eine Art Übervater. Er war stets Impulsgeber und Hoffnungsträger. Gysi ist eloquent, witzig, charmant und liebenswürdig. Der Mensch, der sich dahinter verbirgt, ist sensibel, harmoniesüchtig und droht zu vereinsamen. Heute wird der Linkspolitiker 70.
Von Eric Rings
Gregor Gysi bringt die Menschen zum Lachen. Unaufhaltsam scheint er in jeder Talkshow oder Fernsehsendung aufzutreten. Stets wortgewandt und selbstsicher. Mit viel Charme erklärt er den Zuschauern die Streitigkeiten in seiner Partei und philosophiert darüber, wie die Welt besser sein könnte. Lösungen nicht inbegriffen.
Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lobt, Gysi habe immer draufhauen können, „aber nie mit dem Säbel, sondern immer mit dem Florett“. Der Linke sei nur in der falschen Partei. Für die Grünen-Politikerin und Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth ist Gysi ein „Popstar in der Politik“. Beide äußern sich in einem Dokumentarfilm, in dem der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) Stationen des Rinderzüchters, Juristen und Ex-Chefs der Linksfraktion im Bundestag nachzeichnet.
Die Partei retten und die DDR reformieren
Gysi tritt so auf, als wolle er von allen geliebt werden. Vielleicht liegt der Grund dafür in seiner Vergangenheit. Im Dezember 1989 erlangte er in der DDR politische Relevanz. Auf einem Sonderparteitag sagte er: „Wir brauchen einen vollständigen Bruch mit dem gescheiterten stalinistischen, das heißt administrativ-zentralistischen Sozialismus in unserem Land.“ Gysi wollte die Partei retten und die DDR reformieren. Er musste kämpfen. Er war ein kleiner Anwalt im Osten und musste sich gegen den starken Westen durchsetzen. Das war nicht einfach. Gysi wurde bespuckt und beschimpft, als Linker, als Stasi-Mitarbeiter, als Jude oder als SED-Retter. Lothar Bisky sagte einmal: „Gysi ist wie ein Gaukler. Er braucht die Bühne, auf der er seine Kunststücke vollführen kann. Das ist ihm zur zweiten Natur geworden.“
Dieses Unaufhaltsame, Rastlose, Energische ist wie eine Sucht für ihn. Doch wie jede Sucht macht sie ihn fertig. Gysi hat bereits drei Herzinfarkte erlitten und ist stets dem Tod nur knapp entronnen. Seine Ehe zerbrach. Nun lebt er alleine in einem großen Haus. Dabei hasst er die Einsamkeit. Viele seiner Freunde haben sich von ihm abgewendet. Und dann ist da noch Oskar Lafontaine. Mit ihm hatte er einst den gemeinsamen Traum einer „gesamtdeutschen Linkspartei“. Eine Vision, die nun in Trümmern liegt.
Am 7. Mai 2012 trafen sich Gysi und Lafontaine in einem Restaurant und sollten eine Lösung für die zerstrittene Linkspartei ausloten. Auch die Frage nach dem zukünftigen Parteichef sollte beantwortet werden. Doch als Lafontaine seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht mit todernster Miene als gleichberechtigte Fraktionschefin der Partei vorschlug, rastete Gysi aus. Er traute Wagenknecht nicht über den Weg und nannte sie eine Autistin. Gysi sah sich von Lafontaine benutzt. Das war der Bruch zwischen West- und Ostlinken.
Dabei hatten ausgerechnet Gysi und Lafontaine die Linke als erste gesamtdeutsche Partei links der SPD zusammengeschustert. Sie hatten Gewerkschafter, abtrünnige Sozialdemokraten und Linke aus dem Westen mit der PDS aus dem Osten zusammengeführt. Es herrschte Aufbruchsstimmung. Gysi war zehn Jahre lang Bundestagsfraktionschef. Erst gemeinsam mit Lafontaine, danach alleine.
Vorwurf: Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi
Am Anfang der 1990er Jahre hatte Gysi den Parteivorsitz aufgegeben. Sein Einfluss blieb aber erhalten. Im Jahr 2000 verabschiedete er sich zum ersten Mal aus der Fraktionsführung der damaligen PDS. Heute ist Gysi Chef der Europäischen Linken, als einfacher Abgeordneter sitzt er zudem weiter im Bundestag – oben links, selbstgewählter Platz. Von da habe er den besten Überblick, sagt er im MDR-Film.
Damals, als ostdeutscher Anwalt, verteidigte Gysi DDR-Dissidenten. Im Jahr 1992 kam zum ersten Mal der Verdacht auf, dass Gysi inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sei. Gysi verneinte dies stets und sagte, „zu keinem Zeitpunkt wissentlich und willentlich mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet“ zu haben.
Gregor Gysis Werdegang lehnt sich aber auch an die spannende Geschichte seiner Vorfahren an. Seine Mutter, Irene Lessing, stammte aus einer russisch-jüdischen Adelsfamilie. Sein Vater, Klaus Gysi, war ein linientreuer Kommunist und hatte in der DDR den Posten des Kulturministers inne. Im nationalsozialistischen Deutschland hatte er für die Kommunistische Partei sein Leben riskiert. „Für meinen Vater war die Partei wichtiger als das eigene Leben“, sagt Gregor Gysi. Später zog Klaus Gysi freiwillig in die DDR.
Sein Vater Klaus gilt für Gregor gleichzeitig als Vorbild und als Last. Auch Gregor hat sein Leben der Politik verschrieben. Und dabei alles andere aufs Spiel gesetzt: seine Gesundheit, seine Ehe, seine Freunde. Doch genau wie einst sein Vater konnte auch er sein politisches Ziel nicht erreichen. Vater Klaus wollte den kommunistischen Staat aufrechterhalten, der sich mit dem Mauerfall auflöste. Sohn Gregor wollte mit der Linken eine gesamtdeutsche Partei links der SPD aufrechterhalten, die aber zunehmend an der Zerrissenheit unterschiedlicher Flügel zerbröckelt.
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