Headlines

Das „Schicksal“ Sprache

Das „Schicksal“ Sprache

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Kinder, die in ein fremdes Land ziehen, dessen Sprache nicht die ihre ist, haben es in der Schule schwer. Lehrer sind ein Schlüsselelement, wenn es darum geht, diese Schüler zu unterstützen, sagt die OECD.

Manchmal legen Statistiken das offen, was eigentlich schon lange klar ist – weil es einleuchtend ist und hunderte Menschen es Tag für Tag erleben. Die Sprache spielt in der Schule eine herausragende Rolle. Die Bedeutung der Sprache – oder vielmehr der Sprachen – für die Bildung kann die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gar nicht stärker unterstreichen, als sie es in einer rezenten Publikation eh schon tut. «Je größer der Unterschied zwischen der Sprache, die zu Hause gesprochen wird, und der Unterrichtssprache ist, desto kleiner ist die Chance, dass ein Schüler akademische Grundkenntnisse erlangen und ein Zugehörigkeitsgefühl in der Schule empfinden kann», schreibt sie.

Die Statistiker der OECD untersuchten in ihrem Bericht (hier gibt es die Studie als PDF in englischer Sprache) die Chancen und Hürden, mit denen Schüler mit Migrationshintergrund in ihrem Alltag konfrontiert werden. Eine mangelnde Kenntnis der Sprache des neuen Heimatlandes sei einer der Gründe, weshalb solche Kinder schlechtere Leistungen erbringen und sich allgemein weniger wohl fühlen, schreibt die Organisation nach der Auswertung der Daten ihrer Mitgliedstaaten.

Außerdem wirke die Sprachbarriere wie eine Art «Verstärker» für andere Probleme, die dem Schüler womöglich ohnehin schon das Leben schwer machen. Zu diesen Problemen zählen zum Beispiel der Umzug in ein anderes Land nach dem 12. Lebensjahr, mangelnde Unterstützung der Eltern, Unterricht an einer benachteiligten Schule oder an einer solchen, an der es Probleme mit der Disziplin gibt.

Es ist nicht nur die Sprache

Allerdings erklärt die Sprache nicht alles. «Unterschiede bei den sozioökonomischen Faktoren sind im Durchschnitt zu rund einem Fünftel an der Lücke zwischen Kindern mit Migrationshintergrund und einheimischen Schülern beim Erwerb von akademischen Grundkenntnissen in den OECD-Staaten und der EU mitverantwortlich», heißt es in dem Bericht. Das Gewicht dieses Faktors wiegt jedoch in den untersuchten Ländern sehr unterschiedlich. In Luxemburg stellen sozioökonomische Faktoren laut der OECD einen gewichtigen Faktor dar, wenn es darum geht, die Nachteile, mit denen Kinder mit Migrationshintergrund zu kämpfen haben, richtig zu erklären.

Die Zusammenhänge zwischen Immigration, Wohlstand der Eltern, Wohlergehen der Schüler und Lernerfolg reichen allerdings noch weiter. Die Untersuchung der OECD zeigt: In den untersuchten Ländern achten Immigranten, wenn sie eine Schule für ihre Kinder auswählen, öfter als Einheimische darauf, welche finanziellen Hilfen ihnen in den Schulen zur Verfügung stehen. Weniger wichtig ist ihnen hingegen das Klima, das in der Schule herrscht. Das Umfeld, in dem die Schüler lernen müssen, hat selbstverständlich einen großen Einfluss auf ihren Lernerfolg. Die OECD stellt fest: In Schulen mit einem hohen Anteil an Immigranten sind die schulischen Leistungen und das Wohlergehen der Schüler tendenziell niedriger.

Hinzu kommt, dass Immigrantenkinder in den untersuchten Ländern eher Bildungseinrichtungen besuchen, die Probleme mit der Disziplin haben. Deshalb besteht für sie ein höheres Risiko, von Mitschülern schikaniert oder von Lehrern unfair behandelt zu werden. Sie müssen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Klasse wiederholen und haben schlechtere Aussichten, eine Lehrstelle zu finden, als einheimische Kinder, die bei der PISA-Studie ähnlich abgeschnitten haben.

Auch Erfolgsgeschichten möglich

So schwarz in schwarz all dies klingt: Unter den richtigen Umständen können Kinder mit Migrationshintergrund ihre einheimischen Mitschüler regelrecht überflügeln. Wie die OECD feststellt, haben sie nämlich bei gleichem sozioökonomischen Hintergrund und gleicher schulischer Leistung eine höhere Chance, eine Hochschulausbildung abzuschließen. In der EU liegt diese Chance um sieben Prozent höher. Allerdings, schränkt die OECD ein, haben sie weniger oft «ambitionierte, aber realistische Ziele», was ihre künftige Bildung angeht. Im Klartext: Zu viele Schüler mit Migrationshintergrund glauben nicht daran, dass sie eine Hochschulausbildung bestehen können, obwohl es realistisch wäre.

Die OECD lässt die Bildungspolitik der Mitgliedstaaten nicht ohne Ratschläge zurück. Die Organisation schlägt eine ganzheitliche Sicht vor, bei der Bildungssystem, Gesundheitswesen und Sozialstaat in koordinierter Anstrengung Schüler mit Migrationshintergrund unterstützen. Partnerschaften zwischen Schulen, Krankenhäusern, Universitäten und kommunalen Vereinen seien hierfür eine Möglichkeit.

Auch das Lehrpersonal wird von der OECD in die Pflicht genommen. Lehrkräfte müssten die persönlichen Hintergründe ihrer Schüler kennen und über das Wissen verfügen, wie sich die Immigration auf das Wohlbefinden und den Erfolg von Kindern auswirkt, sodass sie ihre Schüler dabei unterstützen können, aus ihrem Potenzial zu schöpfen. Allerdings müsse man aufpassen, dass man die Schüler hierdurch nicht stigmatisiere.

Lehrer sind ein Schlüsselelement

«Lehrerinnen und Lehrer sind der Schlüssel, wenn es darum geht, Schülern mit Migrationshintergrund dabei zu helfen, sich in die Klassen und in die Gesellschaft einzufügen, und in vielen Bildungssystemen scheinen Lehrer darauf aus zu sein, diesen Kindern mit zusätzlichem Input zu helfen», so die OECD. Nichtsdestotrotz berichten viele solcher Schüler davon, vom Lehrpersonal unfair behandelt zu werden. Für die OECD deutet dies darauf hin, dass viele Lehrer schlicht nicht wissen, wie sie ihre Schüler unterstützen können. Viele Lehrkräfte, so die OECD weiter, wüssten dies und sagten von sich, sie hätten ein Bedürfnis, ihre Fähigkeiten im Umgang mit multikulturellen Klassen zu verbessern. Hier müssten die Länder einspringen und den Lehrern diese Fortbildung ermöglichen, schlussfolgert die OECD.


Methodologie
Die Studie beruft sich auf Zahlen des «Programme for International Student Assessment» (PISA-Studie). Die Datenbank, welche die OECD ausgewertet hat, umfasst Informationen aus allen 35 Mitgliedstaaten der Organisation. Zusätzlich werden Daten der «European Social Survey» genutzt.
Bei der PISA-Studie wird die Kompetenz von Schülern in verschiedenen Bereichen (wie Lesefähigkeit oder Mathematik) getestet. Die PISA-Studie wird seit dem Jahr 2000 in den Mitgliedstaaten der OECD und in verschiedenen Partnerstaaten im Drei-Jahres-Turnus durchgeführt.


Die OECD
Die Studie «The Resilience of Students with an Immigrant Background – Factors that shape wellbeing» wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erstellt. Der internationalen Organisation gehören 35 marktwirtschaftlich organisierte Länder an – mehrheitlich europäische, nord- und mittelamerikanische Staaten sowie Australien und Neuseeland. Luxemburg ist Gründungsmitglied der Organisation.


«Worst Case»
Besonders gefährdet sind laut OECD Schüler, die aus einer wirtschaftlich schwachen Familie kommen, in ein Land ziehen, in dem die Sprachbarriere besonders hoch ist, und die dabei über zwölf Jahre alt sind. Sie sind besonders auf die Unterstützung von Lehrern angewiesen, damit ihr Lernerfolg und ihr emotionales Wohlergehen nicht auf der Strecke bleiben.