Jeder noch so stumpfe Tweet ist eine Diskussion wert, über jeden Skandal werden stundenlange Debatten geführt, doch eins wird dabei aus dem Blick verloren: US-Präsident Donald Trump hat in seinem ersten Amtsjahr mehr Richterstellen neu besetzt als irgendeiner seiner Vorgänger.
Von Dhiraj Sabharwal
Die Institutionen werden in kleinen, kontinuierlichen Schritten unterwandert. Ein Präsident, der in der Presse einen Feind sieht, hat es in der Form wohl seit Nixon nicht mehr gegeben. Er ist der „König der Ressentiments“, aber auch der businessfreundliche von seiner Partei getragene Steuersenker, den die Reichen heimlich oder offen lieben. Wir blicken auf ein Jahr Trump zurück und ziehen Bilanz.
Trump gibt täglich irrsinnige „Quotes“ von sich:
– „Niemand wusste, dass Gesundheitspolitik so kompliziert sein könnte.“
(27. Februar 2017)
– „Ich habe gerade den Chef des FBI gefeuert. Er war verrückt, ein echter Spinner. Ich habe wegen Russland einen großen Druck verspürt. Der ist jetzt weg.“
(10. Mai 2017)
– Nach dem US-Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen: „Ich wurde gewählt, um Pittsburgh zu repräsentieren, nicht Paris.“
(1. Juni 2017)
– Interview mit dem Wall Street Journal: „Diese ganze Russland-Geschichte ist eine totale Hexenjagd. (…) Es gab keine Absprachen mit Russland. Wir haben uns nie mit Russland abgegeben.“
(25. Juli 2017)
– Über Nordkorea: „Ihnen wird mit Feuer und Wut begegnet werden, wie es die Welt niemals zuvor gesehen hat.“
(8. August 2017)
Es sagt viel über seine Persönlichkeit aus: ein roter Knopf für den Butler und die Cola, zwei Eiskugeln für sich und eine für die Gäste, höllisch peinliche Handshakes und Getätschele: Donald Trump ist sich für keine Peinlichkeit oder Unkultiviertheit zu schade. Während von einem Präsidenten erwartet wird, dass er Respekt vor nuklearer Proliferation hat und einen Atomkrieg nicht mit dem Inhalt einer TV-Action-Serie verwechselt, liefert sich Trump „Pissing Contests“ mit Nordkoreas Jungdiktator Kim Jong-un. Wer den größeren … Knopf von beiden hat, ist bis heute nicht geklärt. Nicht weniger peinlich war die öffentlich inszenierte Lobeshymne auf Trump: Er versammelte vergangenen Juni sein gesamtes Kabinett erstmals zu einer Sitzung. Sie gingen jedoch nicht auf ihre Politik ein, sondern schmeichelten Trump. Auch die Mar-a-Lago-Diplomatie spricht Bände.
Ist er für die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich? Sind seine Steuererleichterungen für die Reichen ein Business-Segen? Es hängt ganz davon ab, wen man fragt bzw. liest. Für die Trump-Gegner sind die USA ohnehin seit 2010 dabei, sich von der Finanz- und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise zu erholen. Seine Befürworter unterstreichen, dass seine Wahl die Märkte und das Wirtschaftsleben positiv stimuliert hätten. Allerdings sollte man bei all diesen makroökonomischen Eckdaten eins nicht aus dem Blick verlieren: Jene Menschen aus dem Rust Belt und dem abgehängten Amerika, die Trump wählten, um eine bessere Perspektive zu haben, sind nach wie vor benachteiligt. Trump schert sich nur um die Wohlhabendsten und hält einen Kampf der Ärmsten am Leben, damit schön nach unten getreten werden kann.
An etwas gibt es keinen Zweifel: Donald Trumps Umfragewerte sind im Vergleich zu jenen seiner Amtsvorgänger bei weitem die schlechtesten. Eine Statistik-Website berechnete auf der Grundlage mehrerer Umfragen eine Zustimmungsrate von 39,8 Prozent für Trump im ersten Jahr.
Zum Vergleich:
– George W. Bush kam im ersten Jahr auf 81,2 Prozent
– Ronald Reagan auf 48,9 Prozent
– Richard Nixon auf 60,2 Prozent
– Barack Obama auf 49,2 Prozent
Interessant: Die New York Times hat berechnet, dass Trump angesichts der guten Wirtschaftslage und mit Blick auf die Arbeitslosenquote eigentlich auf über 60 Prozent Zustimmung kommen müsste.
Trump hat zweifellos die Nutzung von sozialen Medien revolutioniert: Seit einem Jahr zeigt er, wie Twitter zu einer Propaganda-Maschine für seine Hetze geworden ist. Es stimmt, dass Trump den öffentlichen Diskurs komplett vergiftet und seine Mediennutzung dabei anders ist. Allerdings gab es auch Präsidenten vor ihm, die sich „neue“ Medien zur jeweiligen Zeit zunutze machten – wenn auch nicht, um ungehemmte Hetze zu betreiben. So wird John F. Kenndy etwa als erster „TV President“ bezeichnet. Im Vergleich zu ihm hatten seine Amtsvorgänger Dwight Eisenhower und Harry Truman wenig Erfahrung im Umgang mit dem Fernsehen. Genauso revolutionär waren Franklin D. Roosevelts „fireside chats“ (Kamingespräche). Es handelt sich um seine legendären 30 Radio-Ansprachen zwischen 1933 und 1944 z.B. zur Wirtschaftskrise und dem Bombardement von Pearl Harbor.
Der frauenfeindliche, sexistische und grabschwütige Macho namens Trump hat seit seinem Amtsantritt Hunderttausende Frauen mobilisiert. Direkt nach seinem Amtsantritt wurde er von Tausenden Frauen mit Protesten lautstark empfangen. Dem US-Präsidenten nehmen besonders viele Menschen übel, wie er sich bezüglich Frauen auf einer Tonaufzeichnung, dem „Access Hollywood tape“, geäußert hatte. Man könne sich alles erlauben. Das ekelhafte „grab them by the pussies“ ist bis heute Ausdruck des Selbstverständnisses von Trump. War dies eine der vielen Hollywood-Blasen mit Tränchen und dann dem „back to business“? Nein. Tausende Frauen haben sich gemäß mehreren amerikanischen News Outlets seitdem für ein politisches Amt beworben. Auch die „MeToo“-Bewegung wäre ohne diese Art von Präsident wohl undenkbar gewesen.
Keine Mauer, nur eine begrenzte Einreisebeschränkung für Bürger mehrerer muslimischer Staaten, keine Abschaffung von Obamacare: viele von Trumps Wahlversprechen sind in der Zwischenzeit heiße Luft geblieben. Problematisch bleibt dennoch Trumps Art und Weise, Politik zu machen: Die wachsende und von ihm verstärkte und begrüßte Intoleranz schwächt den Kampf für Menschenrechte. So meint etwa Human-Rights-Watch-Direktor Kenneth Roth, Trump habe „alle Tabus von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Fremdenhass gebrochen“, was Machthabern von Moskau über Peking bis nach Ankara Auftrieb verliehen habe. Trump hat demnach rechtspopulistische Politik rund um den Globus salonfähig gemacht. Problematisch kommt hinzu, dass der US-Präsident von der eigenen Partei getragen wird und viele Sympathisanten in der Zivilgesellschaft hat.
Es ist wohl das für ihn verhängnisvollste Dossier: die Russland-Connections. Obschon viele der Vorwürfe gegen Trump hinsichtlich der Russland-Kontakte heiße Luft sind, laufen die Ermittlungen vom Sonderermittler Robert Mueller weiter. Problematisch sind vor allem die mutmaßlichen Verbindungen zwischen Trumps Wahlkampfhelfer-Team und dem russischen Botschafter in den USA. Genau um diese Connections drehen sich Muellers Ermittlungen: Es stellt sich die Frage, ob es zwischen Trumps Team und Russlands Führung Geheimabsprachen gab und ob Trump durch die Entlassung des ehemaligen FBI-Direktors James Comey die Ermittlungen der Justiz behindern wollte. Trumps ehemaliger Protégé Steve Bannon soll von Mueller befragt werden, statt vor einer Geschworenenjury zu erscheinen. Der Präsident könnte selbst von Mueller vorgeladen werden.
Trumps Außenpolitik ist widersprüchlich. Während er die Annäherung an Russland sucht, dies aber von der eigenen Partei und Opposition vorgeworfen bekommt, ist er mit Blick auf seine Iran-, Umwelt- und Handelspolitik ein klassischer Republikaner:Die Devise lautet „America first“. Was ein Scheitern des Nukleardeals bedeuten könnte, ist kaum vorstellbar. Der Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen – der aber im Falle einer Wahlniederlage Trumps verhindert werden könnte – ist genauso destabilisierend. In Sachen Handelspolitik stellt er viele internationale Abkommen infrage. Er droht etwa mit der Aufkündigung des Nafta-Freihandelsabkommens. Seine Anerkennung von Jerusalem ist eine diplomatische Katastrophe, aber zumindest weniger hypokritisch als die Haltung seiner Vorgänger. In Syrien und dem Irak verteidigt auch er Energie-Interessen.
Bemerkenswerte Zahl: 41
Während die meisten Nationen die USA negativer sehen, haben mittlerweile 41 Prozent der Russen ein positives Bild der USA – ein sattes Plus von 26 Prozent unter Trump (laut Pew)
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