Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem Massenmord an über 7.000 Moslems werden im ostbosnischen Srebrenica noch immer die Gräber ausgehoben: Am Dienstag werden die Überreste von 35 Opfern beerdigt. Von einer Aussöhnung ist der Vielvölkerstaat weit entfernt: Wie jedes Jahr wird der Gedenktag von gegenseitigen Aufrechnungen überschattet.
Von unserem Korrespondenten Thomas Roser
Noch immer werden im bosnischen Srebrenica die Opfer des Massenmords zu Grabe getragen. 23 Jahre nach dem von serbisch-bosnischen Truppen in der damaligen UN-Schutzzone begangenen Genozid an über 7.000 Moslems werden am Dienstag auf dem Gedenkfriedhof von Poticari die Überreste von 35 Opfern beerdigt. Bisher ruhen dort 6.575 mit DNA-Abgleichen identifizierte Opfer. Mehr als 1.000 gelten noch als vermisst.
Mit General Ratko Mladic und dem früheren Serbenführer Radovan Karadzic sind die Hauptverantwortlichen für Europas schwerstes Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg mittlerweile verurteilt worden. Doch von einer Versöhnung über den Gräbern kann im zerrissenen Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina auch knapp ein Vierteljahrhundert nach Ende des Bosnienkriegs (1992-95) keine Rede sein. Im Gegenteil: Wie jedes Jahr wird der Gedenktag von unversöhnlichem Aufrechnungen und Spannungen überschattet.
Politiker und Opferverbände der muslimischen Bosniaken werfen dem bosnischen Teilstaat der Republika Srpska und Serbien vor, mit der Negierung des vom Internationalen Gerichtshof (IGH) festgestellten Genozids den Völkermord von Srebrenica relativieren und minimalisieren zu wollen. Belgrad und Banja Luka halten Sarajevo und dem Westen wiederum vor, die bosnischen Serben zum alleinigen Kriegsschuldigen zu machen – und die an ihrer Nation begangenen Kriegsverbrechen zu verharmlosen und nur lax zu ahnden.
Verbitterung auf beiden Seiten
Verärgert haben Bosniens Serben auch auf die Ankündigung von Munira Subasic von der Opferorganisation «Die Mütter von Srebrenica» reagiert, der deutschen Justiz am Gedenktag eine Liste mit den Namen von 22.000 bosnischen Serben zu überreichen, die angeblich an dem Völkermord beteiligt gewesen sein sollen.
Verbittert sind die muslimischen Bosniaken wiederum darüber, dass die für den Völkermord von Srebrenica verantwortlichen und verurteilten Kriegsverbrecher in Serbien und der Republika Srpska oft weiter als Märtyrer und Helden der Nation beweihräuchert werden: So pries Teilstaatspräsident Milorad Dodik bei der Einweihung eines nach Radovan Karadzic benannten Studentenheims in Pale 2014 den Kriegsverbrecher gar als «Visionär». Allenfalls serbische Friedensaktivisten und Oppositionspolitiker, aber keinerlei Amtsträger werden umgekehrt beim Srebrenica-Gedenken in Poticari erwartet.
Man habe keine Einladung erhalten, so die Begründung in Banja Luka und Belgrad. Doch nicht nur wegen der anhaltenden serbischen Weigerung, den Begriff des Genozids für die in Srebrenica begangenen Verbrechen anzuerkennen, haben die Veranstalter auf Einladungen verzichtet: Salbungsvolle Politikerreden an den Gräbern sind von den Angehörigen nicht mehr erwünscht. Staatliche Vertreter und ausländische Diplomaten würden erwartet, aber man habe an niemanden besondere Einladungen verschickt, so Nermin Alivukovic, der Chef des Organisationkomitees: «Politische Reden wird es am 11. Juli nicht geben.»
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