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Schluss mit lustig? Satiriker Sonneborn will um Parlamentssitz ringen

Schluss mit lustig? Satiriker Sonneborn will um Parlamentssitz ringen

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Der Satiriker Martin Sonneborn will im kommenden Jahr erneut für einen Sitz im Europaparlament kandidieren. Seine Ironie und sein beißender Spott sind allerdings nicht jedermanns Sache. Schaffen es die etablierten Parteien, Sonneborn diesmal außen vor zu halten?

Martin Sonneborn weiß, wie er seine 184.709 Wähler begeistert. Er habe als EU-Abgeordneter bislang großartige Arbeit geleistet, erklärte der deutsche Satiriker vor rund einem Jahr in einer Plenarsitzung in Straßburg. Er habe die Engländer nach Hause geschickt, Martin Schulz entmachtet und zum SPD-Kanzlerkandidaten degradiert, und er habe dafür gesorgt, dass «Kanzleraltlast Helmut Kohl vom Netz genommen, demontiert und witwengesichert endgelagert» werde.

Gescheitert sei er nur daran, das ungarische Orbán-Regime und die polnische PiS-Partei demokratische Grundwerte zu lehren. Dafür habe seine Partei jetzt aber «ganz im Sinne der christlichen Unionsparteien» eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert. «Deutschland soll jährlich nicht mehr aufnehmen müssen als das Mittelmeer», formulierte der Satiriker (53) mit beißender Ironie.

Geschmacklos und fehl am Platz? Lustig? Oder vielleicht sogar demokratisch wertvoll? An der Frage, wie die etablierte Politik mit Satirikern wie Sonneborn und ihren Wählern umgehen soll, scheiden sich seit Jahren die Geister. Doch in den kommenden Monaten wird die Diskussion wohl noch einmal an Fahrt gewinnen. Denn am Mittwoch kündigte Sonneborn in Brüssel offiziell an, seinen 2014 überraschend errungenen Sitz im Europaparlament verteidigen zu wollen.

Neben ihm solle der Kabarettist Nico Semsrott als zweiter Spitzenkandidat antreten. Der 32-Jährige ist aus der ZDF-Satiresendung «heute-show» bekannt und war für die Satirepartei «Die Partei» bereits bei der letzten Bundestagswahl angetreten. In Internet-Videos beschäftigte er sich zuletzt durchaus mit ernsten Themen. So erklärt er auf gerade für junge Menschen sehr ansprechende Art, warum es durchaus sinnvoll sein könnte, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen und eine Frauenquote sowie ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen.

Als ein Ziel gaben Sonneborn und Semsrott am Mittwoch aus, der AfD Wähler abzujagen. Deswegen wolle man auch Parteimitglieder als Kandidaten aufstellen, die die gleichen Nachnamen wie bekannte Nazis tragen, erklärte das Spitzenduo. Als Beispiel nannten sie Namen wie Göbbels (in dieser Schreibweise), Göring, Speer und Eichmann. Eventuell könnte dies auch «verwirrte CSU-Wähler» oder «demente CDU-Wähler» zu einem Kreuz bei der «Partei» verleiten, scherzte Sonneborn.

Man traue sich zu, bei der Wahl am 26. Mai des kommenden Jahres in Deutschland zwei Prozent der Stimmen zu holen. Als Beleg dafür, dass die «Partei» im Aufwind sei, nennt er jüngste Umfragewerte aus Berlin. In der Hauptstadt lag sie laut Meinungsforschungsinstitut Insa kürzlich bei vier Prozent.

Um künftig zu verhindern, dass Leute wie Sonneborn und Semsrott ins Parlament kommen können, wollen CDU, CSU und SPD nun so schnell wie möglich eine neue Sperrklausel einführen. Dass dies noch bis zur Wahl 2019 gelingt, scheint derzeit allerdings nahezu ausgeschlossen. Dies liegt daran, dass die notwendige EU-Entscheidung zum Thema wegen Widerständen in anderen Staaten erst in diesem Juni getroffen wurde und der Ratifizierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

Zudem sehen es Leitlinien der sogenannten Venedig-Kommission des Europarates vor, dass es in den zwölf Monaten vor einer Wahl keine grundlegenden Wahlrechtsänderungen mehr geben sollte. Hält sich die Bundesregierung daran, würde die Sperrklausel, die zwischen zwei und fünf Prozent liegen soll, erst bei der Wahl 2024 zum Einsatz kommen.

Bei CDU, CSU und SPD muss daher vorerst gehofft werden, dass die «Partei» ihnen bei der nächsten Europawahl keine weiteren Sitze streitig macht. «Ich schätze Martin Sonneborn. Seine Arbeit als Satiriker ist toll», kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, am Mittwoch. Seiner Meinung nach sollte es allerdings eine Trennung zwischen der parlamentarischen Arbeit und dem satirischen Kommentieren von Politik geben.

Für verantwortungslos hält Caspary vor allem Sonneborns Praxis, bei Abstimmungen normalerweise einfach im Wechsel mit Ja und Nein zu stimmen. Sonneborn begründet das mit seinem ohnehin fehlenden Einfluss als fraktionsloser Abgeordneter. Zudem könne er sich auch nicht «über alles Gedanken machen», räumte er am Mittwoch ironisch ein. Zugleich verweist er darauf, dass es durchaus Ausnahmen gebe. So habe er 2017 mit seiner Stimme entscheidend dazu beigetragen, eine Abstimmung für mehr Datenschutz und Privatsphäre im Internet zu gewinnen. Manchmal, da geht offensichtlich selbst bei einem Martin Sonneborn die Sache vor dem Spaß.