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Roter Schwenk nach rechts in Österreich

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Was sich die FPÖ derzeit aus Rücksicht auf den Koalitionspartner verkneifen muss, tut jetzt die SPÖ: mit der Personenfreizügigkeit einen der Grundpfeiler der EU infrage zu stellen.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Von den Rechten ist man Derartiges gewohnt. Erst im Mai hatte FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache laut über negative Auswirkungen der Personenfreizügigkeit nachgedacht. Er ortete einen «Verdrängungsprozess» durch osteuropäische EU-Bürger auf dem österreichischen Arbeitsmarkt.

Strache forderte zwar nicht explizit Beschränkungen der Personenfreizügigkeit, beklagte jedoch, dass die EU es ablehne, darüber auch nur zu diskutieren. Nicht nur in Österreich erntete der Rechtspopulist scharfe Kritik. «Das ist irre, den Menschen vorzugaukeln, dass es Österreich besser ginge, wenn wir die Freizügigkeit der Europäer einschränken», wetterte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fing die Debatte mit einem Bekenntnis zur Personenfreizügigkeit eilig ein. Sein blauer Vize solle nicht «über- oder falsch interpretiert» werden. Und auch Strache selbst ruderte zurück: «Ich habe die Personenfreizügigkeit grundsätzlich nicht infrage gestellt.» Damit schien das Thema erledigt. Bis es am vergangenen Wochenende wieder hochkochte. Dieses Mal freilich wurde die Diskussion von einem prominenten Sozialdemokraten angestoßen.

Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) fordert die Bundesregierung auf, den EU-Ratsvorsitz auch für den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping zu nutzen. Und dabei stellte er ausdrücklich die Freiheit von EU-Bürgern, in jedem EU-Land arbeiten zu können, infrage. Niessl: «Man sollte sich Gedanken machen, ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU in dieser Form nicht auf den Prüfstand gestellt werden sollte.»

Ruf aus rot-blauem Burgenland

Und weiter ganz in FPÖ-Diktion: «Die Verdrängung vom Arbeitsmarkt durch Lohn- und Sozialdumping muss gestoppt werden.» Bei den Erweiterungsrunden 2004 und 2007 sei die EU davon ausgegangen, dass sich Lohn- und Sozialstandards in wenigen Jahren angleichen würden. Da diese Annahmen so nicht eingetreten seien, so Niessl, «muss man sich andere Maßnahmen und Reformen überlegen».

Die rechtspopulistische Tonalität des roten Burgenländers kommt nicht von ungefähr. Seit knapp drei Jahren führt er in dem an Orbans Ungarn grenzenden Bundesland eine Koalition mit der FPÖ. Nach beiderseitigem Bekunden handelt es sich um eine äußerst harmonische Beziehung – nicht zuletzt auch beim Dauerbrenner Asyl und Migration. Niessl nahm dafür sogar gröbere Disharmonien in der eigenen Partei in Kauf.

Denn eigentlich gibt es nach wie vor gültige Parteitagsbeschlüsse, die jegliche Koalition mit den Rechtspopulisten ausschließen. Der stellvertretende SPÖ-Bundesvorsitzende ignorierte die Proteste vom linken Parteiflügel. Diese sind nur deshalb zuletzt etwas leiser geworden, weil sich die Frage einer Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene nicht mehr stellt, seit Sebastian Kurz mit Strache ins Bett gestiegen ist.

Asselborn: «Null Spielraum»

In der Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit steht die Parteispitze allerdings voll hinter Niessl. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher kritisierte vielmehr den ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, weil dieser Niessl «auf Straches Spuren wandeln» sieht. Karas hatte im Mai auch den FPÖ-Chef scharf attackiert und ihm «ständiges Zündeln» in Sachen EU vorgeworfen. Seine nunmehrige Kritik an Niessls Vorstoß wies Lercher als «völlig substanzlos aufs Schärfste zurück». Offenbar gefalle sich Karas, so der SPÖ-Geschäftsführer, «mehr und mehr in seiner Paraderolle als Chefkritiker, der aus Brüssel ungefragt Zensuren verteilt».

Karas steht mit seiner Kritik übrigens alleine da. Außer ihm äußerte sich in der ÖVP niemand zu Niessls Forderung. Aus der FPÖ war dies ohnehin nicht zu erwarten.
Allerdings kommt erneut Widerstand aus Luxemburg. So wie im Mai nach Straches Vorstoß weist der Sozialdemokrat Asselborn nun auch jegliches Rütteln der österreichischen Schwesterpartei an der Arbeitnehmerfreizügigkeit zurück: Diese sei «nicht verhandelbar, der EU-Vertrag lässt hier null Spielraum zu», so der Außenminister zum Tageblatt, «eine diesbezügliche Debatte ist Zeit- und Energieverschwendung, auch in Österreich».