Entscheidung im Auslieferungsstreit um den katalanischen Separatisten- chef Carles Puigdemont, der sich seit Ende März in Deutschland befindet: Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschied am Mittwoch, dass eine Überstellung Puigde- monts an Spanien zulässig sei, schränkte jedoch zugleich die Auslieferungsgründe ein.
Von unserem Korrepsondenten Ralph Schulze
Der I. Strafsenat in Schleswig verfügte, dass aufgrund der deutschen Rechtslage nur eine Übergabe an Spanien wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Gelder möglich ist. Dafür drohen dort in schweren Fällen bis zu 12 Jahre Haft. Eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der Rebellion sei nicht möglich, weil der im deutschen Recht mit diesem Vorwurf vergleichbare Straftatbestand des Hochverrats nicht erfüllt sei. «Die in Betracht kommende deutsche Strafvorschrift des Hochverrats gemäß § 81 StGB gehe von einem Gewaltniveau aus, das durch die in Spanien erfolgten Auseinandersetzungen nicht erreicht worden sei», befanden die Richter. Für Rebellion liegt die spanische Höchststrafe bei 30 Jahren. Auch eine Auslieferung wegen Landfriedensbruchs sei aufgrund der deutschen Rechtsnormen nicht möglich.
Dies bedeutet, dass Puigdemont in Spanien nach einer Überstellung nur wegen des minder schweren Vorwurfs der Untreue angeklagt werden kann. Dabei geht es darum, dass Puigdemont mehrere Millionen Euro Staatsgelder für das illegale Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 ausgegeben haben soll. Das Referendum, bei dem es zu Gewalt zwischen der Polizei und Separatisten kam, war vom spanischen Verfassungsgericht verboten worden, weil Spaniens Grundgesetz die Abspaltung eines Territoriums nicht vorsieht. Entsprechend wird die Ausgabe von Steuergeldern für diesen illegalen Volksentscheid als Veruntreuung bewertet.
Millionen für illegales Referendum
Die Richter stellten zudem klar, dass der Separatistenchef nicht aus politischen Gründen in Spanien vor Gericht gestellt werden soll. «Dass das Auslieferungsersuchen dazu dienen solle, Carles Puigdemont in Spanien politisch zu verfolgen, wie der Verfolgte meint, schließt der Senat aus.» Es sei «abwegig», dem EU-Mitglied Spanien eine nicht rechtsstaatliche Vorgehensweise zu unterstellen.
Doch die OLG-Entscheidung ist möglicherweise noch nicht das letzte Wort in diesem internationalen Rechtsstreit. Puigdemonts Anwälte hatten im Vorfeld gedroht, eine Auslieferungsentscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzufechten. Und auch aus Spaniens Oberstem Gerichtshof, der die Ermittlungen führt, hörte man, dass eine Beschränkung des Puigdemont-Prozesses durch die deutsche Justiz vermutlich nicht hingenommen werde. Spaniens Oberstes Gericht denkt demzufolge über mehrere Möglichkeiten nach: etwa über einen Gang vor den Europäischen Gerichtshof, um prüfen zu lassen, ob die deutschen Richter das europäische Auslieferungsrecht korrekt angewendet haben. Denn dieses sehe im Prinzip vor, dass mutmaßliche Straftäter innerhalb der EU schnell und ohne größere juristische Hürden überstellt werden.
Auch ist nicht ausgeschlossen, dass Spanien angesichts der vom OLG auferlegten Beschränkungen auf die Überstellung Puigdemonts ganz verzichtet. In diesem Fall würde der Europäische Haftbefehl wirkungslos, der nationale Haftbefehl bliebe jedoch bestehen. Puigdemont müsste dann bei Rückkehr in seine Heimat weiterhin mit Festnahme rechnen. Ihm könnte in diesem Falle in Spanien ohne Einschränkung der Prozess gemacht werden – möglicherweise sogar in Abwesenheit.
Geringere Strafe wegen Flucht ins Ausland
In der Tat würde eine Auslieferung Puigdemonts und Anklage wegen Veruntreuung eine paradoxe Situation schaffen: Weiteren hochrangigen Separatisten, die bereits in U-Haft sitzen, soll bald der Prozess wegen des schweren Vorwurfs der Rebellion gemacht werden. Separatistenchef Puigdemont müsste sich derweil nur wegen Untreue verantworten. Im Falle einer Verurteilung hätte er eine geringere Strafe zu erwarten als die anderen Angeklagten – womit sich die Flucht ins Ausland für ihn strafrechtlich ausgezahlt hätte.
Puigdemont war Ende März im norddeutschen Schleswig-Holstein auf der Grundlage eines von Spanien ausgestellten EU-Haftbefehls festgenommen worden. Da das OLG keine Fluchtgefahr sah, wurde der 55-Jährige jedoch bis zur Entscheidung über das spanische Auslieferungsgesuch auf freien Fuß gesetzt. Er hielt sich zunächst in Berlin und in den letzten Wochen in Hamburg auf. Auch nach dem Auslieferungsbeschluss darf er vorerst in Freiheit bleiben. Das OLG befand am Mittwoch, dass keine Fluchtgefahr bestehe, «weil der Verfolgte bisher stets seine Auflagen befolgt» habe.
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