Die vierte Kanzlerwahl von Angela Merkel gilt als reine Formsache. Die neue große Koalition verfügt im Bundestag über eine satte Mehrheit von 44 Stimmen – da sollte nichts schiefgehen. Auch Ex-SPD-Chef Martin Schulz hat versprochen, für Merkel zu stimmen.
Rund sechs Monate nach der Bundestagswahl will sich Angela Merkel zum vierten Mal nach 2005, 2009 und 2013 zur Kanzlerin wählen lassen. Bekommt die CDU-Vorsitzende bei der Abstimmung im Bundestag am Mittwoch (9.00 Uhr) mehr als die Hälfte der Stimmen aller gewählten Abgeordneten, die sogenannte Kanzlermehrheit, wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie zur Kanzlerin ernennen. Sonst folgen weitere Wahlgänge. Union und SPD haben zusammen 44 Stimmen mehr, als die Kanzlermehrheit erfordert.
Trotz des anfangs innerparteilich starken Widerstands gegen eine große Koalition rechnet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil mit einer klaren Mehrheit für eine Wiederwahl Merkels. «Ich erwarte da ein deutliches Ergebnis», sagte Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er wolle sich aber nicht auf eine Prozentwahl festlegen.
Weil das Grundgesetz einen bestimmten Verlauf vorschreibt, werden einige Regierungslimousinen die rund zwei Kilometer zwischen dem Reichstag und dem Schloss Bellevue am Mittwoch mehrfach hin und her pendeln. Nach der für 9.00 Uhr vorgesehenen Wahl soll sich die Kanzlerin gegen 11.00 Uhr im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, ihre Ernennungsurkunde abholen. Dann fährt sie zurück in den Bundestag, wo sie um 12.00 Uhr von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vereidigt werden soll.
Mit ihren neuen Ministern geht es für Merkel um 12.30 Uhr zurück ins Schloss Bellevue, wo auch die 15 Bundesminister offiziell ernannt werden sollen. Bundespräsident Steinmeier will dabei eine Rede halten. Die Ressortchefs sollen dann um 13.35 Uhr im Bundestag vereidigt werden. Nach dem Protokoll kommt das Kabinett um 17.00 Uhr zu seiner ersten, konstituierenden Sitzung zusammen.
Mit der Wiederwahl Merkels wird die SPD die politische Widersacherin im Bundestag öfter zur Kanzlerin gewählt haben als die eigene Parteiikone Willy Brandt zum Kanzler. Dreimal wird die SPD-Fraktion dann die CDU-Vorsitzende zur Regierungschefin gemacht haben (2005, 2013, 2018) – Brandt wurde nur zweimal zum Kanzler gewählt (1969 und nach der Neuwahl 1972).
Klingbeil sagte, er werde nicht euphorisch Merkel wählen, aber das sei nun einmal die Abmachung. «Wir haben einen guten Koalitionsvertrag verhandelt und die SPD-Mitglieder haben mit einer klaren Mehrheit gesagt, dass wir in diese Regierung gehen.» Zu den «vertraglichen Vereinbarungen» gehöre auch, «dass wir die Kanzlerin wählen werden». Auch der zurückgetretene SPD-Chef Martin Schulz – inzwischen einfacher Bundestagsabgeordneter – hat versprochen, für Merkel zu stimmen.
Vor der Ernennung der neuen Regierung kritisierte der Bund der Steuerzahler die hohe Zahl an Staatsministern und Parlamentarischen Staatssekretären. Insgesamt 35 dieser Posten – so viele wie noch nie – sollen zusätzlich zu den Bundesministerämtern voraussichtlich geschaffen werden. «Wir haben den größten und teuersten Bundestag, wir haben die längste Regierungsbildung hinter uns, wir haben einen Koalitionsvertrag mit Rekord-Ausgaben – und nun sollen die Bürger auch noch den größten Stab an Parlamentarischen Staatssekretären aller Zeiten finanzieren», sagte Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel der «Saarbrücker Zeitung» (Mittwoch). Das zeige, dass die große Koalition kein Vorbild für Sparsamkeit sein werde.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte an, die Rolle ihrer Partei gegenüber der Regierung stärken zu wollen, um so das CDU-Profil zu schärfen. «Wir werden in einem noch stärker ausgebildeten Dreieck zwischen Regierung, Unionsfraktion und Partei arbeiten», sagte Kramp-Karrenbauer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Neben Regierung und Bundestagsfraktion sei «die Partei genauso wichtig, wenn es darum geht, die Grundlagen von politischen Entscheidungen deutlich zu machen».
FDP-Chef Christian Lindner geht davon aus, dass die große Koalition die volle Wahlperiode hält. Die Union stelle Machterhalt über Inhalte – und die SPD habe sich zu 70 Prozent bei den Inhalten durchgesetzt, sagte Lindner der «Rheinischen Post» (Mittwoch) und fragte: «Welchen Grund sollte es geben, diese Koalition vorzeitig platzen zu lassen?» Er kündigte eine Opposition an, «die nicht durch Schrillheit oder permanentes Nein-Sagen von sich reden» mache.
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