Der „Coup de coeur“ wird seinem Namen gerecht: Die sechs Headliner sind nichts weniger als eine Liebeserklärung an die lokale Musikszene, die auch unter dem Dach des „Food for your Senses“ gewachsen ist. Es ist ein Schwelgen in Nostalgie, aber auch ein Blick nach vorne. Sechs kurze Eindrücke.
Von Tom Haas und Jeff Schinker
The Disliked
17 Jahre schon steht das Escher Sextett auf Bühnen, diesen Samstag auf dem „Food for your Senses“ nicht ganz eine Woche vor dem Erscheinen der neuen LP am 31. Mai in der Kufa. Komprimiert auf 20 Minuten erlebt man im Zeitraffer die Entwicklung der Band, vom Ska-Punk aus Eldorado hin zum Reggae, der bereits auf „Hôtel Numéro 25“ anklang und nun mit der neuen Platte „Reggae Rescue“ wohl seinen Höhepunkt findet. Mit „Always on the Run“ ist die erste Auskopplung auch an diesem Abend schon im Programm. The Disliked beherrschen ihr Handwerk und was gibt es Besseres, um ein Publikum in Stimmung zu bringen, als Trompeten, krachende Gitarren und groovender Gesang? Nichts! Punktlandung für die erste Herzensband an diesem Abend.
Versus You
Die zweite Band auf dem Musikkarussell spielt ebenfalls in der Riege der Altehrwürdigen und kann auf eine Historie von Veröffentlichungen zurückblicken, die auch international Beachtung fanden. Ob das bei Punkrock jetzt an der musikalischen Finesse liegt, sei dahingestellt, allein, es zählt live vor allem die Stimmung. Und davon verbreiten Versus You reichlich – eingängige Riffs, schnelle Rhythmen und Vocals, die an Blink 182 erinnern, lassen den ersten, richtigen Moshpit des Abends vor der Bühne entstehen, in den sich der Schreiber dieser Zeile zum Zweck der authentischen Recherche selbstredend ebenfalls hineingestürzt hat. Brille und Trommelfelle haben knapp überlebt.
Inborn!
Nach zwei Minuten und einigen anfänglichen klangtechnischen Schwierigkeiten (vorne hörte man Sänger Cédric Kayser erst mal überhaupt nicht, überhaupt war der Klang auf der Sens’Area, wohl auch aufgrund der sehr rapiden Wechsel – vier Minuten Pause – zwischen den Bands, eher schwammig) schien es, als wären die letzten fünf Jahre wie weggefegt. Die Songs, die wohl viele lange nicht mehr gehört hatten oder vielleicht aus Begeisterung für das anstehende Konzert vor Kurzem wieder gestreamt hatten, saßen noch irgendwo im Gehör, den Chorus von „Chicago Heart Machine“ konnte man sofort wieder mitsingen. Cédric Kaysers androgyne Stimme, die irgendwo zwischen Placebos Brian Molko und Blackmails Aydo Abay angesiedelt ist und von Schlagzeuger Max Thommes‘ Backing Vocals ergänzt wird, die tollen Gitarrenriffs, das subtile elektronische Flimmern, die schön brummigen Basslinien, die tanzbaren Songs („Trash is the New Glam“ ist nach wie vor grandios) lassen einen hoffen, Inborn irgendwann noch mal zu sehen – dann aber vielleicht mit besserem Klang, mehr Songs und vielleicht sogar neuem Material.
Mutiny on the Bounty
Für Brillenträger sind Konzerte von Mutiny on the Bounty äußerst gefährlich. Meine (neue) Brille fiel dies mal fast wieder dem Moshpit zum Opfer – als ich meine Schlüssel, die aus der Tasche gefallen waren, aufheben wollte, wurde ich angerempelt und die Sehhilfe landete auf dem Boden. Wer jetzt meint, es wäre unvernünftig, sich mit Brille ins Moshpit zu stürzen, war gestern wohl nicht dabei – die Hälfte des Publikums wurde in den Menschenstrudel gerissen, es gab keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Und angesichts der schieren Energie von Mutiny, die in letzter Zeit eigentlich viel zu selten auf Luxemburger Bühnen zu sehen sind, wollte man das auch gar nicht. Von „North Korea“ über „Mkl Jksn“ bis hin zu „Mapping the Universe“ war diese kurze Werkschau ein 20-minütiger Beweis, dass Mutiny unangefochten die talentierteste Band Luxemburgs bleibt.
Eternal Tango
Mit der Ankündigung, Eternal Tango wären für das FFYS mit ihrem Emo-Indie-Rock zurück, bestätigte sich eines der im Vorfeld kursierenden Gerüchte – und ließ die Erwartungen an das Festival wachsen. Die Luxemburger, denen damals innerhalb von zwei Platten der internationale Durchbruch gelang (es gab beispielsweise gute Rezensionen in der Visions), spielten zwar durchaus solide und einwandfrei einige ihrer bekanntesten Songs, das Genre ist aber trotzdem etwas in die Jahre gekommen, so konnte das Konzert vor allem Nostalgiker mitreißen. Diese waren glücklicherweise zahlreich vorhanden, sodass neben den qualitativ nach wie vor stagnierenden Kompositionen von Versus You die Zeitreise zurück zu den Anfängen des Jahrtausends vollzogen werden konnte.
De Läb
„Ween ass am Haus?“ Wer die Antwort auf diese rhetorische Frage nicht kennt, war noch nie auf einem Konzert jener Vertreter der Königsklasse luxemburgischen Raps. Corbi und David Fluit spitten sich durch die Klassiker seit „Stëbslong“ (2011) und brillieren wie gewohnt durch eine Wortakrobatik, die man der bisweilen brachial anmutenden Sprache beim ersten Hören kaum zutraut. Höhepunkt des Gigs ist ohne Zweifel Corbis Freestyle-Einlage in der Mitte des Gigs, bei der mit jeder Silbe die Liebe zum Food, zum Publikum und zum Rap an sich mit hervorsprudelt. Nach dem abschließenden „Heeschnapp“ zitiert Fluid nochmal die Gesamtheit der Musiker, die an diesem einzigen Set mitgewirkt haben, auf die Bühne. Der dröhnende Applaus zum Schluss gilt allen: dem Festival, den Musikern und dem Gefühl, gerade Zeuge eines einzigartigen Moments geworden zu sein. Der „Coup de coeur“ ist auf jeden Fall gelungen.
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