Nach dem Wechsel an der Spitze des Organisationsteams im Jahr 2016 geht das Wiltzer Festival, das noch bis zum 30. Juli stattfindet, nun mit neuem Elan und dem nötigen Wagemut in die zweite Runde. Wie muss man vorgehen, damit die Stühle im Norden des Landes nicht leer bleiben, wen spricht man an und auf wen hört man lieber nicht? Das Tageblatt hat sich mit der Hauptveranstalterin Elvira Mittheis unterhalten.
Das Ösling sowie die Stadt Wiltz im Speziellen stellen ein traditionsreiches Fleckchen Erde in Luxemburg dar. Gemeinsam mit Esch hat diese Ecke des Landes, dass sich an beiden Punkten laut Statec die höchste Anzahl an RMG-Empfängern und Arbeitslosen bündelt. Wie programmiert man dort, wo soziale Ungleichheit herrscht, Kultur und bringt sehr unterschiedliche Menschen zusammen? Während man im hauptstädtischen, auf dem Boulevard Franklin D. Roosevelt befindlichen Luftschutzbunker über «Demokratisierung der Kultur» oder die ominösen «Kultur für alle» schwadroniert, steht man außerhalb des Zentrums vor der Aufgabe, herauszufinden, was dieser Begriff eigentlich bedeuten soll und wie man ihn praktisch umsetzen kann. Und dafür braucht es eine realistische Kenntnis der Sachlage.
«Der Weg von der Stadt in den Norden ist immer weiter als der vom Norden in die Stadt», erklärt Elvira Mittheis mehr schmunzelnd als Trübsal blasend. Die Tatsache, dass mehr Einwohner aus dem Norden (wenn überhaupt) den Weg in andere Kulturzentren suchen als umgekehrt, veranlasst sie eher dazu, das Ganze als Herausforderung zu sehen. Sowohl das Wiltzer Festival als auch die «Nuit des Lampions» sind mittlerweile spannende Ausnahmen dieser Regel und ermöglichen es, das regionale wie auch ein überregionales Publikum neugierig zu machen.
Sachte Vorgehensweise
Mittheis und ihrem Team ist daran gelegen, dass es eben kein einheitliches Profil des Wiltzer Festivalgängers gibt. Damit dies gelingen kann, muss aber sachte vorgegangen werden, wie die Programm- und Marketing-Chefin des Festivals erläutert: «Das ist eine kniffelige Angelegenheit. Man muss eben schauen, wie weit man gehen kann und was man wie ändern kann. Es stellen sich Fragen wie ‹Bis zu welchem Punkt kommen noch Leute?›, ‹Was finden sie gut und was ist ihnen zu viel?›.
Ziel sei es, innerhalb von fünf Jahren zu beobachten, wie die Besucher reagieren, und darauf einzugehen. Was in dem einen Jahr funktioniere, müsse dies nicht zwingend im darauffolgenden tun. Manche neue Programmpunkte müsse man eventuell ein paar Mal auftischen, um die Gäste nach einer Zeit davon zu überzeugen, dass sie munden können. Mittheis hat sich nach eigenen Aussagen zu einem «sanften Ausprobieren» verpflichtet, das eine stete und respektvolle Kommunikation mit dem Publikum unausweichlich macht.
Um dieses nicht vor den Kopf zu stoßen, aber gleichzeitig Alternativen zu Konvention aufzeigen zu können, wähle man folgenden Weg: «Wir führen Traditionen weiter, geben aber auch etwas Neues hinzu, indem wir Genres ein Stück weit aufbrechen.» Dies tue man beispielsweise bei der komischen Barock-Oper «Don Quichotte» am 11. Juli, welche sowohl ein Kammerensemble und klassische Sänger sowie auch Jongleure und Tänzer zusammenbringen wird. «Hier kann sich dann das Opernpublikum mit jenen Besuchern mischen, die einfach gern Spektakel sehen.»
Interessanter Mix am 7. Juli
Am 7. Juli wird ein weiterer interessanter Mix präsentiert: Hier ist dann nicht etwa nur die «Weelzer Musek» zahlreich auf der Bühne vertreten, sondern es gesellt sich ebenfalls das Flying Orkestar dazu, dessen Spezialgebiet Klänge aus dem Balkan sind, die zu weitaus mehr als nur Schunkeln veranlassen.
Durch mutige Experimente wird also in Wiltz zusammengeführt, was nur auf den ersten Blick eventuell unvereinbar erscheint. Dies gilt sowohl für die Genres als auch für die Besucher. Darauf angesprochen, was bei aller Konsensfindung trotz alledem nicht im Programm auftauchen würde, meint Mittheis: «Wir wollen dem Festival einen gewissen Rahmen geben, deswegen wird während dieses Zeitraums wohl keine Après-Ski-Musik laufen (lacht).»
Unter dem Motto «Esou schmaacht Wooltz» werden Vereine aus Wiltz unter anderem serbische, russische, portugiesische, aber auch luxemburgische Mahlzeiten auf die Teller zaubern. Die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren bezeichnet Mittheis als besonders wichtig und wertvoll. Ohne sie und etliche ehrenamtliche Helfer wäre diese Kulturveranstaltung – wie viele andere im Großherzogtum – gar nicht erst möglich. Denn zwei Drittel der vom Kulturministerium und der Gemeinde Wiltz zur Verfügung gestellten Summe (insgesamt 210.000 Euro) fallen allein auf die Gagen der Künstler zurück.
Kein Größenwahn
«Unterm Strich ist es knapp bemessen. Man muss wirklich sehr genau kalkulieren. Was erschwerend hinzukommt, ist, dass wir ja keine stehende Infrastruktur haben. Es muss vieles hinzugemietet werden, was natürlich auch wieder einen Kostenfaktor darstellt», fügt Mittheis hinzu und spricht damit einen Punkt an, mit dem auch andere Kulturzentren zu kämpfen haben.
Nichtsdestotrotz wird beim Festival versucht, sozialer Exklusion auf finanzieller Ebene entgegenzuwirken. Die Eintrittspreise wurden im Vergleich zu den Vorjahren teilweise fast halbiert. «Wäre es jedoch noch billiger, könnte man mit den Einnahmen überhaupt nichts mehr abdecken», gibt Mittheis zu bedenken.
Dennoch ist beispielsweise der Eintritt am Abend des 7. Juli frei. «So haben auch diejenigen, die sich normalerweise keine Karte leisten können, an diesem Abend die Möglichkeit, dabei zu sein und auf diese Weise mit dem Festival in Berührung zu kommen», erklärt die Hauptorganisatorin.
Versuch, Berührungsängste abzubauen
Berührungsängste abzubauen, das wird auch schon vor dem Event in mehrerlei Hinsicht versucht: «Man ist schon Wochen vorher mit den Vorbereitungen befasst. Da sind auch Menschen impliziert, die sonst vielleicht nicht unbedingt ins Theater gehen würden. Durch die intensive Zusammenarbeit kommen dann aber Fragen auf wie: ‹Worum geht es in dem Theaterstück?› und ‹Woher kommt dieser Künstler genau her?›. Das heißt, es entsteht ein Austausch vor der Aufführung und die Personen werden sozusagen sensibilisiert für das Festival. Man spürt richtig, dass sich mehr Bewusstsein dafür entwickelt.» Immer mehr Einwohner seien regelrecht stolz darauf, dass es ein Festival gibt – «und das ist das Schöne daran», gibt Elvira Mittheis zu.
Wenn man es zumindest hinbekommen würde, etwas anzubieten, zu dem sich auch mal andere Gäste verirren, die normalerweise nicht hingekommen wären, aber es dann doch tun, weil’s jemand empfohlen hat oder weil sie Leute kennen, die mitmachen, dann sei dies schon ein kleiner Erfolg, findet sie und fasst zusammen: «Es sind vielleicht die kleinen Schritte, die im Kulturleben hierzulande zählen.»
Wie viele andere Kulturschaffende war auch das Team in Wiltz von Kürzungen der Fördergelder betroffen, die noch unter Kulturministerin Maggy Nagel beschlossen wurden. Dass dieser Akt ohne große Erklärungen blieb und vor allem keine neuen Richtwerte mitgeteilt wurden, wurde nicht nur von Akteuren aus der Kulturszene angeprangert. Zu einem Statement zu Sinn und Unsinn dieser Entscheidung seitens der Politik lässt Elvira Mittheis sich nicht hinreißen, jedoch hatte die Maßnahme in Wiltz wohl wenigstens teilweise positive Konsequenzen: «Letztendlich war es zumindest dafür gut, dass man alte Vorgehensweisen aufgebrochen hat, die so vielleicht nicht so leicht von selbst aufgebrochen wären. Manchmal, wenn man in einer Struktur drinnen ist, bleibt man verhaftet, aber man muss, wenn dann von außen ein Riegel vorgeschoben wird, einfach umdenken.»
Kontakt mit den Nachbarn
Notgedrungen sei es zu Überlegungen bezüglich struktureller Änderungen gekommen, welche unter anderem in der Eingliederung der Festivalorganisation in die «Coopérations asbl.» gemündet seien. Die hausinterne Vernetzung funktioniere gut, man habe für sich selbst eine passende Vorgehensweise entwickelt, welche eine nachhaltige kulturelle Planung für das «Prabbeli» sowie das Festival ermögliche, so Mittheis. Auch mit den benachbarten Kulturhäusern stehe man in Kontakt und durch das Netzwerk der dezentralen Kulturhäuser herrsche ein reger Austausch.
Zu guter Letzt übernehmen regionale Kulturzentren nicht nur Verantwortung gegenüber ihrem Publikum, sondern auch gegenüber Künstlern aus dem eigenen Land. Bei den Gesprächen, die im Rahmen der «Assises culturelles» stattfanden, wurde ein besonderes Augenmerk auf Eigenkreationen gelegt, welche künftig vor allem von lokalen Trägern gefördert werden sollen.
Dem kommt man in Wiltz nach seinen Möglichkeiten auch nach: «Das erste Jahr war aus zeitlichen und budgetären Gründen nicht möglich und im zweiten war auch beides sehr knapp.» Gleichwohl kam es bereits zu Kooperationen mit dem Tänzer Jean-Guillaume Weis und dem OCL und auch dieses Jahr tritt das Caleidoscop Trio auf, das eigens für das Festival ein Spezialprogramm zusammengestellt hat.
Mittheis möchte realistisch bleiben und die zuvor erwähnten kleinen Schritte machen: «Natürlich kann das Ziel sein, eine größere Produktion zu buchen. Das können wir aber derzeit nicht allein stemmen. Mal sehen, ob wir es für nächstes Jahr schaffen. Schön wär’s ja.»
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