Nach der Schiffskatastrophe von Budapest ist der Kapitän des Hotelschiffs, das das gesunkene Ausflugsboot gerammt hatte, verhaftet worden. Nach der Tragödie, die vermutlich 28 Menschen das Leben kostete, geraten auch Ungarns Behörden ins Visier der Kritik: Nachts sind viel zu viele Kreuzfahrtschiffe auf den dunklen Fluten der Donau unterwegs.
Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad
Hochwasser behindert nach dem Schiffsunglück in Ungarns Hauptstadt Budapest noch immer die Bergungsarbeiten. Es sei bei einer Strömung von 15 Kilometern pro Stunde und ohne jegliche Sicht für die Taucher „völlig unmöglich“, in die Nähe des sechs Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Wracks des Ausflugsschiffs „Nixe“ zu gelangen, klagte der ungarische Außenminister Peter Szijarto am Freitag. Während die Bergung des Wracks noch einige Tage dauern könnte, haben die Rettungskräfte ihre bislang vergebliche Suche nach Leichen von noch 21 vermissten Opfern an den Ufern der Donau bis an die Grenze zu Serbien ausgeweitet.
„Strenge und gründliche Ermittlungen“ nach der Ursache der Schiffskollision, die am Mittwochabend vermutlich 28 überwiegend südkoreanischen Passagieren das Leben kostete, hat Premier Viktor Orban angekündigt: Nach einem der schwersten Schiffsunglücke der ungarischen Geschichte steht nicht nur die Regierung in Budapest, sondern auch in Seoul unter Handlungsdruck. Viele Südkoreaner fühlen sich an den Untergang der Fähre Sewol erinnerte, der 2014 mehr als 300 Menschen das Leben kostete – und die damalige Regierung zum Rücktritt zwang. Seoul hat Außenministerin Kang Kyung-wha und ein Rettungsteam nach Budapest entsandt, das den heimischen Rettungskräften bei der Suche und Bergung der noch vermissten Passagiere helfen soll. Ihre Regierung wolle sicherstellen, dass keine Leichen im Wrack oder im Flussbett zurückblieben, so die Ministerin nach ihrer Ankunft.
Sieben Überlebende, viele Vermisste
Einige der sieben Überlebenden haben sich mittlerweile in den südkoreanischen Medien zu Wort gemeldet. „Ich sah, dass sich uns ein größeres Kreuzfahrtschiff näherte, aber hätte mir niemals vorstellen können, dass es uns rammen würde“, berichtete die 31-jährige Jeong Chung. Nach dem Aufprall sei die „Nixe“ sofort umgekippt und in Sekundenschnelle gesunken, so die 32-jährige Yoon. Alle Passagiere, die sich auf dem Panorama-Deck befunden hätten, seien durch den Aufprall ins Wasser geschleudert worden. „Diejenigen, die in der Kabine unter Deck waren, konnten das Schiff nicht mehr verlassen.“
Sich an das treibende Rettungsboot klammernd sahen die beiden Frauen, wie in die Donau geschleuderte Mitreisende auf- und abtauchten und in den dunklen Fluten verzweifelt um ihr Leben kämpften. „Sie riefen um Hilfe, versuchten sich an der Wasseroberfläche zu halten, aber die Strömung trieb sie fort. Und ich konnte nichts für sie tun.“ Nur diejenigen Mitpassagiere, denen es gelungen sei, sich an das Rettungsboot zu klammern, oder die sofort von Crew-Mitgliedern anderer Schiffe aus dem Wasser gezogen worden seien, hätten eine Überlebenschance gehabt, so der 60-jährige Ahn, den ein auf dem Wasser treibender Plastikkanister vor dem Ertrinken bewahrte.
Keine Rettungsversuche habe jedoch das Kreuzfahrtschiff unternommen, das das Ausflugsboot gerammt habe: Die „Viking Sigyn“ habe ihren Kurs mit voller Fahrt fortgesetzt. Neue Aufnahmen von Sicherheitskameras zeigen etwas detaillierter, wie die 27 Meter kurze „Nixe“ mit dem 139 Meter langen Hotelschiff „Viking Sigyn“ kollidierte. Unter der Margaretenbrücke war die „Nixe“ vor einem Pfeiler leicht nach links gezogen und dabei von dem erheblich schnelleren Hotelschiff von hinten an der linken Seite ihres Hecks gerammt worden.
Wachsende Kritik an Behörden
Das sich in die Fahrbahn drehende Ausflugsboot von 40 Tonnen wurde danach von der über 1.000 Tonnen schweren „Viking Sigyn“ in Sekundenschnelle unter Wasser gedrückt: Die Passagiere, die sich unter Deck befanden, hatten keine Überlebenschance.
Der ukrainische Kapitän der in der Rostocker Neptun-Werft gefertigten und in Basel registrierten „Viking Sigyn“ eines norwegischen Reeders, sitzt seit Donnerstagabend in Untersuchungshaft. In Ungarns Medien wird die Schuldfrage derweil kontrovers diskutiert. Fachleute verweisen darauf, dass alle Kreuzfahrtschiffe auf der Donau über Radaranlagen verfügen: Der Kapitän der „Viking Sigyn“ hätte die vor ihm fahrende „Nixe“ rechtzeitig wahrnehmen müssen.
Andere Schifffahrtexperten fragen sich, ob das Ausflugsboot seinen leichten Richtungswechsel rechtzeitig signalisiert habe: Wegen der Brückenpfeiler habe der Kapitän des Hotelschiffs kaum Spielraum für kurzfristige Ausweichmanöver gehabt. Während sich in südkoreanischen Medien einige frühere Passagiere darüber beschwerten, dass die 1949 gefertigte „Nixe“ bereits vor einigen Wochen „nicht stabil“ im Wasser gelegen sei, geraten in Ungarn die zuständigen Aufsichtsbehörden zunehmend ins Visier der Kritik. Trotz schlechter Wetterbedingungen und der wegen des Dauerregens sehr starken Strömung waren am Mittwoch nicht weniger als 70 Schiffe zu nächtlichen Ausfahrten unterwegs.
Die Donau sei für kleinere Ausflugsboote wegen der ständig steigenden Zahl großer Kreuzfahrtschiffe zu einer „tödlichen Falle“ geworden, klagt der Schiffer Andras Kurbely im Webportal Index.hu. Mehrmals seien die zuständigen Behörden vor den Risiken nächtlicher Kreuzfahrten gewarnt worden, aber es sei nichts unternommen worden, sagt Andras Kurbely. Er plädiert für ein völliges Verbot von nächtlichen Ausflugsfahrten auf der Budapester Donau: „Eine solche Tragödie war nur eine Frage der Zeit.“
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können