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„Premier Bettel ist unschlagbar“

„Premier Bettel ist unschlagbar“
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Ein Gespräch mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), der zu Besuch in Luxemburg ist. Eric Rings vom Tageblatt hat ihn getroffen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) zeigte sich bei seinem dreitägigen Besuch in Luxemburg sichtlich beeindruckt. Nicht nur von unserem «herzlichen» Parlamentspräsidenten Mars di Bartolomeo und von unserem «unschlagbaren» und «klugen» Premier Xavier Bettel. Sondern auch von Luxemburgs politischem Modell. Ramelow zieht Parallelen zwischen den Dreierkoalitionen Luxemburgs (DP-LSAP-Grüne) und Thüringens (Die Linke-SPD-Grüne). Beide seien keine normalen 0815-Koalitionen von der Stange. Das gute Funktionieren dieser Konstellationen zeige, so Ramelow, dass man neue politische Wege gehen und neue Formate entwickeln müsse. Im Interview, das wir mit dem Thüringer Ministerpräsidenten bei einem Besuch im Filmland in Kehlen führten, verrät er uns außerdem seine Sicht auf die DDR, wirft einen Blick auf neue linke Bewegungen, spricht über seine Position in der Flüchtlingspolitik, deutsche Panzer in Syrien und den Umgang der Linken mit dem Rechtspopulismus.

Von Eric Rings

Tageblatt: Sie sind zu einem dreitägigen Besuch in Luxemburg und haben sich unter anderem mit Premierminister Xavier Bettel und Parlamentspräsident Mars di Bartolomeo getroffen. Was ist Ihr erster Eindruck von Luxemburg?
Bodo Ramelow: Ich kenne Luxemburg als Ort, als Region, als Land schon seit vielen Jahren. 1974 bin ich das erste Mal mit einem kleinen Moped hier gewesen. Das war meine erste größere Reise als junger Mensch. Ich habe die Silhouette dieser Stadt und das Panorama immer als großen Eindruck im Kopf. Aber ich bin auch vor vier oder fünf Jahren hier gewesen. Da ging es um den Bommeleeër-Prozess. Herrn Juncker habe ich in Thüringen kennengelernt und ihn später in Brüssel getroffen. So gab es über verschiedene Ebenen immer wieder eine Rückbindung an einen Ort, den ich spannend finde. Als der damalige Botschafter aus Luxemburg fragte, ob ich nicht einmal vorbeikommen und das vertiefen würde, sagte ich gerne zu. Und da meine Vorgänger auch alle hier waren, habe ich das gerne als Kontinuität wahrgenommen.

Für mich ist aber ein wichtiger Themenbereich, mit dem ich meine Visite hier begonnen habe, die Ausstellung «Luxemburger in der Polizei des NS-Staates» in Diekirch. Diese Ausstellung dokumentiert ein dunkles Kapitel der Geschichte: Als die deutsche NS-Wehrmacht Luxemburg besetzt hatte, wurden 455 luxemburgische Polizisten in das heutige Thüringen gebracht, nach Weimar. Die Ausstellung zeigt, wer was gemacht hat, wer sich geweigert hat, wie viele ins Konzentrationslager oder ins Gefängnis gekommen sind. Die überwiegende Anzahl dieser Polizisten hat sich dem NS-Regime verweigert. Das war der Ausgangspunkt, der unsere Polizei und die Luxemburger Polizei dazu gebracht hat, diese Ausstellung gemeinsam vorzubereiten. Das ist der eine Blick auf Luxemburg.

Der andere ist: In Luxemburg sind mir eine unglaubliche Sympathie und Freundlichkeit begegnet. Der Parlamentspräsident Mars di Bartolomeo hat mich in einer Offenheit und Herzlichkeit begrüßt, die mich sehr beeindruckt hat. Und der Premier, der ist unschlagbar. Xavier Bettel ist nicht nur ein sympathischer Gastgeber, sondern auch ein kluger und interessanter Mensch, der in diesem Land offensichtlich eine große Sympathie genießt. Das spürt man, wenn man mit ihm spontan durch die Stadt geht und merkt, dass viele Luxemburger strahlend an ihm vorbei gehen und sehr freundlich grüßen.

Sie sind der erste Ministerpräsident eines Bundeslandes, der der Partei «Die Linke» angehört. Die Arbeit der Dreierkoalition scheint (seit über drei Jahren) gut zu laufen …
Ja, in der Tat. Wir haben auch den Doppelhaushalt für die nächsten zwei Jahre schon beschlossen. Das heißt, bis zum Ende der normalen Legislatur sind im Kern die Weichen gestellt. Ehrlich gesagt, das ist auch eine Gemeinsamkeit mit Luxemburg. Der jetzige Premier in Luxemburg würde unter anderen Konstellationen gar nicht Premier sein, auch hier in Luxemburg gibt es eine Dreierkoalition. Es ist keine normale 0815-Koalition von der Stange. Und das ist unsere in Thüringen auch nicht. Wir haben offensiv eine Dreierkoalition begonnen, auch weil ich das persönlich wollte. Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt, dass wir neue politische Wege gehen müssen. Wir müssen neue Formate entwickeln, damit sich die Parteien auch so öffnen, dass sie sich gegenseitig in ihren Stärken unterstützen und in ihrer Unterschiedlichkeit ergänzen. Das ist ein breiterer Blick auf die politischen Herausforderungen. Offensichtlich hat es Luxemburg gut getan, diese jetzige Dreierkoalition zu haben. Und meinem Bundesland, das kann ich attestieren, geht es derzeit so gut wie nie. Wir haben wirtschaftliche Bedingungen, die exzellent sind, und wir nutzen sie optimal. Der Anteil meiner Regierung dabei ist es, dass wir die Stärken unseres Landes weiter ausbauen. Und Menschen, die an den Rand gedrängt wurden, mehr in den Blick nehmen, damit sie wieder in die Mitte des politischen Handelns kommen. Wir haben tausend Stellen für Langzeitarbeitslose geschaffen. Das heißt bezahlte Arbeit statt Finanzierung von Arbeitslosigkeit. Das ist ein Markenkern. Seit diesem 1. Januar haben wir den Beitrag für das letzte Kindergartenjahr abgeschafft – als einen ersten Schritt, wir wollen, dass Betreuung und Bildung von der Krippe bis zur Universität oder Berufsausbildung beitragsfrei sind.

Sie werden heute Abend (Montag, Anm. der Red.) in Luxemburg-Stadt zum Thema «Möglichkeiten und Grenzen von Regierungsbündnissen aus Linken, SPD und Grünen am Beispiel Thüringens» referieren. Wäre eine solche Konstellation auch in anderen Bundesländern oder gar auf Bundesebene möglich?
Theoretisch möglich ist das schon. Aber es braucht auch entsprechende Mehrheiten. Und auf der Bundesebene gibt es eine solche Mehrheit im Moment nicht. Das ist ja ein Teil des Problems; die Schwäche der SPD ist ein Thema, über das wir reden müssen. Es hilft nicht, darüber zu schweigen, dass eine schwache SPD auch aus der Sicht eines Linken ein Problem darstellt. Weil wir dann den Blick immer weiter verlieren von dem, was wir verändern wollen. Wenn wir zum Beispiel Umverteilung bei Tarifkämpfen wieder als Teil des gesellschaftlichen Prozesses angehen wollen, brauchen wir eine stärkere Kraft. Und dazu braucht es auch eine SPD, die stark genug ist, um in einem solchen Dreierbündnis die notwendige Breite zu entwickeln. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass einer der drei auf dem Rücken der anderen der Verlierer ist.

Sind solche Bündnisse eine Chance für Ihre Partei? Oder ist «Die Linke» doch eher eine klassische Oppositionspartei?
Eine Partei, die sich aufmacht um bei Wahlen zu kandidieren, muss auch den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen. Opposition als Opposition zu formulieren, ist ein ganz anderes Modell. Wir sind natürlich Opposition im Sinne gesellschaftlicher Verhältnisse, zu denen wir nicht schweigen wollen. Also etwa zur Frage von Vermögensverhältnissen in unserem Land oder im globalen Maßstab. Dass immer weniger Menschen auf der Welt alleine über Vermögensmassen verfügen und demokratische Länder dazu nicht mehr gestalterische Kraft haben, das ist ein Problem. Deswegen sage ich, ich würde mir wünschen, dass wir wieder eine Renaissance hätten von solidarischen Gesellschaftsmodellen und dass das Zusammenleben von Menschen wichtiger ist. Dass eine starke Gewerkschaft eben auch ein Teil eines gesellschaftlichen Prozesses darstellt.

Deutschland steuert Richtung große Koalition. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Es ist im Moment der einzige Weg, der eine Regierung bilden kann. Und groß ist die Koalition nicht. Die Umfragewerte aktuell geben SPD und CDU zusammen knapp über 50 Prozent. Das hat mit groß gar nichts mehr zu tun. Das ist ein Teil des Problems. Viel zu lange wurde Alltagspolitik von SPD und Union in einer Koalition gestaltet, ohne dass ein Veränderungsprozess für die Schwächeren in der Gesellschaft erkennbar war. Die SPD hat zwar partielle Erfolge erzielt, aber ohne durchschlagende Wirkung. Meine Sorge ist, dass am Ende so etwas rauskommt wie in Österreich. Dass die beiden Großen so klein sind, dass die Populisten am Ende groß werden.Und das, was ich mir wünschen würde, wäre tatsächlich eine scharfe gesellschaftliche Auseinandersetzung, bei der klar ist, dass wir z.B. für eine moderne Bürgerversicherung kämpfen. Jeder zahlt ein. Von jeder Einkommensart, die ein Mensch hat. Ohne Beitragsbemessungsgrenze. Das heißt, wer mehr tragen kann, soll auch mehr bezahlen. Auch ein Ministerpräsident soll Teil unseres gesetzlichen Rentensystems sein. Vom Wachtmeister im Gefängnis, der am schlechtesten bezahlt ist, bis zum Bestbezahlten sollten alle am Ende im selben Rentenversicherungssystem sein. Arbeiter, Angestellte, Beamte, Freiberufler, Solo-Selbstständige und diejenigen, die immer weiter rausgedrängt werden, sollten Teil des solidarischen Sicherungssystems sein. Das müssen wir modern gestalten. Aber die Idee ist uralt. Einer trage des anderen Last, das steht schon in der Bibel.

Was antworten Sie jemandem der sagt, Politiker von der Linken sind doch alle DDR-Nostalgiker?
(Lacht.) Das ist interessant, wenn man das jemanden fragt, der aus dem Westen kommt und mit der Ideologie der DDR nichts zu tun hatte, der im Westen sozialisiert und obendrein aktiver Gewerkschafter ist. Da krieg ich immer gesagt, jaja, das ist alles gut, was sie sagen und machen, aber sie sind in der falschen Partei. Und dann sag ich: Das haben sie allen anderen klugen Leuten auch schon gesagt.Die DDR hat existiert. Ich bin froh, dass die tödliche Mauer und die tödliche Grenze weg sind. Die DDR hat es nicht geschafft, aus eigener Kraft so viel Ausstrahlung zu entwickeln, dass die Bürger sich in der DDR allesamt auch wohl gefühlt haben.

Da gab es Leute, denen ging es gut, und es gab Leute, die sind drangsaliert worden. Und es sind Leute am Ende ins Gefängnis gesteckt worden, oder deren Kindern ist der Lebensweg zerstört worden. Man darf also auch nicht schweigen. Eine Nostalgie zur DDR würde ich mir wünschen, wenn man über die guten Dinge aus der DDR redet, Dinge, die uns helfen würden. Wie zum Beispiel ein längeres gemeinsames Lernen in der Schule oder eine gute Kinderbetreuung für alle Kinder. Über die DDR als DDR braucht man nicht mehr zu reden. Das ist einfach Geschichte. Und ich sage, es sollte jeder froh sein, dass kein Schuss gefallen ist, als die Grenze aufging. Weder in Deutschland noch in Ungarn an der Grenze, noch in Europa. Der Kalte Krieg ist dann nicht mehr zum heißen Krieg geworden. Dafür könnten wir allen dankbar sein, die in der DDR für die Friedlichkeit gesorgt haben. Das waren alle.

Ein Streitthema bei der Linken ist die Flüchtlingspolitik. Wie positionieren Sie sich darin?
Ich glaube, es gibt keinen Streit in der Linken. Und zwar überhaupt keinen. Es ist klar, dass jeder Mensch ein Mensch ist, und dass jedem Menschen, der auf der Flucht ist, geholfen werden muss. Die Frage ist nur, ob man einen Aufenthalt von Flüchtlingen als Zuwanderung und als Integration zum Maßstab macht. Das sieht nicht jeder so. Weil es einige Akteure gibt, die sagen, dass man den Armutsflüchtlingen dort helfen muss, wo sie herkommen. Das würde ich auch gerne. Aber es gibt auch Regionen, in die erst deutsche Waffen geliefert worden sind und in denen jetzt Mord und Totschlag herrscht. Und da kann ich nicht an der Grenze sagen: Ich will euch aber nicht, denn ich habe auch nicht verhindert, dass die Waffen aus Deutschland geliefert wurden. Wenn Linke klug sind, würden sie dann über diese Waffenlieferungen reden. Wenn Linke klug sind, dann würden sie über die Veränderungen der Regionen reden, woher diese Flüchtlinge kommen.Aktuell greift der NATO-Partner Türkei Afrin an. Es sind deutsche Leopard-Panzer, die gerade in Syrien gegen die Kämpfer vorgehen, die den IS bekämpft haben. Wir haben uns in Thüringen dann um Flüchtlinge aus der Region gekümmert. Wir haben Geld gesammelt, wir haben Hilfsmaßnahmen für Kobane beschlossen. Und jetzt schauen wir schweigend zu oder tun so, als ginge uns das gar nichts an, dass in der Region gerade ein Krieg von einem NATO-Partner angefangen wird. Und das in einem Land, in dem Bürgerkrieg schon seit Jahren herrscht. Und die einzigen, die davon profitieren, sind Drogenhändler, Menschenhändler, Waffenhändler und so weiter. Es stellt sich die Frage: Reden wir über Flüchtlinge als Flüchtlinge oder über Menschen? Und Linke sollten immer über Menschen reden. Und immer über Menschenrechte. Und das Recht, in Frieden leben zu können. Und es gibt tatsächlich noch Fragen der Integration. Wie viel Integrationsleistung sind wir bereit zu leisten? Und wie viel Integrationsleistung ist auch ein Mensch, der von außen kommt, bereit zu leisten? Ist jeder integrationsbereit? Oder sollen wir nur eine vorübergehende Hilfe organisieren? Das kann ja auch sein.

Was halten Sie von der Idee einer neuen linken Bewegung, wie sie von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine angedacht wurde?
Ja, Bewegung ist immer gut, wenn es eine gibt. Aber eine Bewegung in der Partei hilft niemandem. Weil eine Bewegung eine gesellschaftliche Bewegung sein muss. Ich komme aus der Gewerkschaft. Gewerkschaft ist Bewegung. Aber sie muss wachsen, und darf sich nicht gegen eigene Parteimitstreiter wenden. Ich habe vor über zehn Jahren daran mitgewirkt, dass aus der Partei WASG und PDS die neue Linke entstand. Ich war der Parteibildungsbeauftragte. Ich war verantwortlich dafür, dass die Linke, wie sie heute existiert, überhaupt bei Wahlen kandidieren konnte.

Das deutsche Wahlrecht zwingt uns dazu, eine Partei zu haben, die Listen aufstellt und die dann an Wahlen auch teilnimmt. Das ist bitte nicht zu vermischen mit dem französischen Wahlrecht. Ein Macron oder ein Mélenchon existieren unter einem ganz anderen wahlrechtlichen System. Das haben wir nicht. Deswegen wird es gefährlich, wenn man französische Vorbilder mit deutschen Realitäten vermischt. Ich bin für eine linke Bewegung. Aber wir müssen dann ein Teil dieser linken Bewegung sein. Ich halte nichts davon, dass Parteien sich zum Zentrum einer neuen Bewegung machen und dann der Bewegung sagen, wie sie sich bewegen soll. Das ist keine Bewegung.Ich war überzeugt, dass wir nur so gesamtdeutsch eine Chance haben werden, links von der SPD als dauerhafte Kraft zu existieren. Und jetzt haben wir Wahlergebnisse, bei denen wir im Westen zulegen und im Osten verlieren. Schon vor zehn Jahren wusste ich, dass das irgendwann kommen wird. Es ist bitter für mich, das selber zu erleben. Aber es ist eine Realität.

Die Linke steht im Moment stabil bei 10 Prozent, deutschlandweit. So erfolgreich war die PDS nie. Und die WASG auch nicht. Deshalb ist das, was wir mehr geschafft haben, viel mehr. Und da sollte man vorsichtig und sachlich damit umgehen und nicht den eigenen Feind immer nur in den eigenen Reihen suchen.

Kommen wir zum Rechtspopulismus. Seit 2014 gibt es die Pegida-Bewegung mit ihren zahlreichen regionalen Ablegern. Und nun sitzt auch noch die AfD nach einem guten Wahlergebnis im Bundestag. Wie erklären Sie sich das Phänomen?
Das war abzusehen. Es gibt in Thüringen eine soziologische Langzeitstudie, die wird seit fast 20 Jahren erhoben. Das ist der Thüringen-Monitor. Nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge ist der Monitor von der damaligen CDU-Regierung – mit unserer Unterstützung – ins Leben gerufen worden. Wenn Sie sich die Zahlen dieser langen soziologischen Untersuchung anschauen, stellen Sie fest, dass 20 bis 25 Prozent immer schon anfällig für menschenfeindliche und rassistische Einstellungen waren. Sie haben nur keine Partei gehabt. Es gab immer noch eine Hemmschwelle, dass man Naziparteien nicht wählt oder nicht darüber redet. Das hat Herr Höcke alles eingeebnet. Diese Hemmschwelle gibt’s nicht mehr. Deswegen bildet die AfD jetzt das ab, was immer schon da war. Wir erkennen es nur. Also müssen wir darüber nachdenken, warum wir es früher nie haben wahrnehmen wollen. Denn es ist da. Es ist quälend. Herrn Höcke und seine Reden intellektuell zu erleben, das ist nicht schön. Und trotzdem müssen wir sagen, dass wir uns davon nicht provozieren lassen dürfen. Wir müssen versuchen, einen Teil dieser Wähler wieder in das demokratische Spektrum zu holen. Ich habe in meiner letzten Rede zum Thüringen-Monitor gesagt, dass wir durch pauschale Ausgrenzung ihnen das Leben nicht leicht machen wollen. Wenn man einfach nur pauschal ausgrenzt und sagt «ihr seid die Bösen, wir sind die Guten», dann wird das nur den weiteren Erfolg dieser Populisten befördern. Ich möchte, dass sich innerhalb der AfD die Akteure damit auseinandersetzen, auf welchem Weg sie eigentlich sind. Ob sie am Ende auf dem Weg einer modernen faschistischen Partei sind. Das ist aber auch in Europa nichts Neues. In Italien gibt es eine starke faschistische Partei, auch in Frankreich. Das ist nicht schön. Aber wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass es europäische Normalität ist. Und jetzt auch in Deutschland. Es hat lange gedauert, bis es in der Bundesrepublik so massiv angekommen ist. Das zaubern wir nicht weg. Wir müssen mit dem Phänomen umgehen. Und wir müssen unseren eigenen Wählern Gründe geben, wieso sie uns wählen. Und nicht einfach sagen, wählt die nicht. Das ist zu einfach.

Was macht die Linke konkret?
Wir reden einfach bei uns, in unserem Bundesland, über die Erfolge unseres Bundeslandes. Wir erzählen den Leuten keine Märchen. Sondern wir sagen den Leuten, wie gut sich der Arbeitsmarkt entwickelt hat und sagen trotzdem, dass Langzeitarbeitslose immer noch die Verlierer sind. Und was wir tun, damit diese Menschen nicht dauerhaft abgehängt werden. Wir reden auch darüber, dass wir Zuwanderung brauchen. Das bedeutet, dass unterschiedliche Kulturen zu uns kommen. Und wenn sie zu uns kommen und friedlich mit uns leben, dann müssen sie auch das Recht dazu haben, ihre Form der Kultur auch friedlich zu leben. Und wenn dann jemand sich ein Kopftuch umbindet, dann muss das sein Recht sein. So wie ein anderer seine Kippa trägt. Oder ein Sikh seinen Turban trägt. Aber ich will, dass die alle zusammen sich wahrnehmen und miteinander das Land voranbringen, in dem wir leben. Im Gegensatz zu Luxemburg, wo 40 Prozent Nicht-Luxemburger leben. Wir haben 4 Prozent Nicht-Deutsche. Verstehen Sie? Und wenn dann Herr Höcke von der Islamisierung und der Bedrohung der Islamisierung in Thüringen redet, dann ist das absurd. Und wenn dann Bilder geprägt werden, auf denen unser Dom mit den Insignien des Islams zu sehen ist, um dies als Bedrohung zu verkaufen, und dies bei Menschen, die zu 75 Prozent mit Kirche gar nichts am Hut haben, dann haben wir einen Grund, kulturell aufzuklären.Deswegen: Weniger über Herrn Höcke reden, mehr über unsere Kultur reden. Weniger über Herrn Höcke reden, mehr über die Erfolge reden. Weniger über Herrn Höcke reden, mehr über Modelle reden, was wir für Familien tun. Zum Beispiel zahlen Eltern seit dem 1. Januar keine Beiträge mehr für das letzte Kindergartenjahr. Und: Mehr Lehrer einstellen, statt über Unterrichtsausfall zu jammern. Das tun wir gerade.


Thüringen im Steckbrief

Seit Dezember 2014 wird das ostdeutsche Bundesland Thüringen von einer bis dahin einzigartigen Dreierkoalition aus DIE LINKE-SPD-Grüne regiert. Bodo Ramelow stellt erstmals in Deutschland den Ministerpräsidenten von der Linkspartei.
Das Landesparlament hat folgende Sitzeinteilung (91): DIE LINKE (28), SPD (12), Grüne (6), CDU (34), AfD (8), partei-, fraktionslos (2), Familie (fraktionslos) (1).
Exotische Parteikonstellationen gibt es inzwischen auch in anderen Bundesländern: Kenia in Sachsen-Anhalt, Rot-Rot-Grün in Berlin, eine Ampel in Rheinland-Pfalz und Jamaika in Schleswig Holstein.
Thüringen gehört mit einer Fläche von 16.000 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von 2,2 Millionen zu den kleineren deutschen Bundesländern.Die Landeshauptstadt ist Erfurt.