Sie ist nicht sonderlich aktiv, schiebt Probleme vor sich her und schottet sich gegen Medien ab. Trotzdem oder gerade deswegen erfreut sich Österreichs Expertenregierung höchster Popularität.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Die FPÖ hat Österreich beschert, wofür Feministinnen aller Parteien jahrzehntelang vergeblich gekämpft hatten: Nach dem skandalösen Auftritt von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als korruptionsschwangere Rauschkugel im geheim auf Ibiza gefilmten Video und dem darauffolgenden Sturz der ÖVP-FPÖ-Regierung schlug die Stunde der Verfassungsgerichtshofpräsidentin Brigitte Bierlein.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen bot ihr den Chefposten in der zu bildenden Übergangsregierung an. Die Grande Dame der österreichischen Juristenzunft dachte nicht lange nach. Sie ergriff die Gelegenheit, sich für ein paar Monate bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den vorgezogenen Wahlen Ende September am Ballhausplatz einzuquartieren.
Und sie realisierte sofort einen weiteren Feministinnentraum: Exakt die Hälfte der Ministerposten besetzte Bierlein mit Frauen. Sie kommt mit je sechs Ministerinnen und Ministern aus und völlig ohne Staatssekretäre, die in früheren Koalitionsregierungen vor allem als Aufpasser einer Partei im Ministerium der anderen fungierten.
Sparen im System
Die von ihrem Vorgänger Sebastian Kurz ausgegebene Parole „Sparen im System“ lebt sie wirklich: Keine mit Günstlingen aufgeblähten Ministerbüros, keine teuren Anzeigen in dem jeweiligen Minister zugetanen Medien, keine Heerschar von Beratern. Die Minister sind schließlich allesamt selbst Experten ihres jeweiligen Metiers, teils entstammen sie sogar der Ministerialbürokratie.
Auch sonst verhält sich die Kanzlerin so, wie es „echte“ Politiker nur versprechen: „Die Bundesregierung und ihre Mitglieder üben sich in Zurückhaltung und Bescheidenheit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb der Ressorts sowie im Außenauftritt“, hatte Bierlein als Grundregel ausgegeben. Und daran hält sie sich eisern. Interviewwünsche werden so gut wie immer abgewiesen.
Intensive Zurückhaltung
Bierlein und ihr Team stellen sich nicht der Presse, sondern schicken den wenig bis gar nichts sagenden Regierungssprecher Alexander Winterstein vor. Was Journalisten suboptimal finden, scheint das Volk nicht zu stören. Im Gegenteil: Diese Regierung ist populär wie keine davor. Nicht einmal die türkis-blaue Koalition von Darling Kurz war beim Start beliebter. 56 Prozent bewerteten die Regierung Bierlein in einer Umfrage im Juli als gut für Österreich, 3 Prozent mehr als Kurz nach seinem Start Ende 2017.
Und obwohl völlig klar ist, dass Bierlein sich nach ihrem Interregnum wieder aus der Politik verabschieden wird, wünschen sich 35 Prozent, dass sie bleiben möge. Die Erklärung des Meinungsforschers Werner Beutelmeyer: „Obwohl oder vielleicht sogar weil sich Frau Bierlein politisch nicht äußert, wird ihr eine gute Amtsführung bescheinigt.“ Tatsächlich lebt die Kanzlerin ihr selbst auferlegtes Zurückhaltungsgebot in einer Intensität, die bei „normalen“ Politikern kritisiert wird.
Trümmerfrau, die die nach dem Ibiza-Super-Gau für Ordnung sorgt
Kurz nannten sie „Schweigekanzler“, weil er nicht jeden rechtsextremen „Einzelfall“ beim Koalitionspartner kommentieren wollte. Bierlein aber wird als derart über den Dingen stehend wahrgenommen, dass von ihr Kommentare zu den Niederungen der Tagespolitik gar nicht erst erwartet werden. Dass ein Kurz-Mitarbeiter vor ihrem Einzug ins Kanzleramt fünf Festplatten außer Haus unter falschem Namen schreddern ließ, lässt sie ebenso unkommentiert wie alle anderen Fragen zur Tagespolitik.
Die Kanzlerin versteht sich nicht als gestaltende Kraft, sondern als Verwalterin eines politischen Ausnahmezustandes. Die Menschen sehen sie als Trümmerfrau, die nach dem Ibiza-Super-Gau für Ordnung auf den Ruinen der türkis-blauen Koalition sorgt. Die schlagzeilengeile Journalisten nervende Fadesse der konsequenten Diskursverweigerung hat für die Kanzlerin den angenehmen Nebeneffekt, nicht zwischen die Fronten geraten zu können.
Verwalten statt gestalten
Beispiel Klimaschutz: Bis Jahresende soll Österreich der EU einen konkreten Plan zum Erreichen der Klimaziele vorlegen. Den noch von Kanzler Kurz eingereichten bewertete die EU-Kommission als mangelhaft. Wirklich wirksame Klimaschutzmaßnahmen bedeuten jedoch heftige Kontroversen mit diversen Lobbys. Würde sich diese Regierung darauf einlassen, stieße sie schnell an ihre Grenzen: Ohne Mehrheit im Parlament kann auch Bierlein nichts machen. Also wird Umweltministerin Maria Patek so wie die meisten anderen Mitglieder dieser Regierung ein unbeschriebenes Blatt bleiben, dessen Name nur Insidern geläufig ist. Der Klimaschutz ist auch ein Beispiel für die Zeit, die der Politik davonrennt.
Den Luxus des Verwaltens statt Gestaltens kann sich Österreich eigentlich gar nicht leisten. Tatsächlich tut diese Regierung nur das Notwendigste, um das alpenrepublikanische Werkl am Laufen zu halten. Man darf daher gespannt sein, wie Bierlein agiert, wenn ganz Europa am 31. Oktober durch einen No-Deal-Brexit in eine Ausnahmesituation gerät.
Das bisherige Erfolgsrezept der maximalen Zurückhaltung wird dann kaum noch als angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Tagespolitik durchgehen.
Nicht Aktiv, schiebt Probleme vor sich her ... dat schéngt d'CSV vun do ze sinn. ?