«Wenn Uniformierte euch das Auto abnehmen, meldet es der Polizei!», rät Vize-Verteidigungsminister Iwan Rusnak den Bürgern. Das Gleiche gelte für Wohnraumbesetzungen von Soldaten, beruhigte am gestrigen Mittwoch das Kiewer Verteidigungsministerium. Missbräuche würden von der Polizei bestraft, hieß es übereinstimmend.
Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau
Viele Ukrainer dürfte dies kaum beruhigen, zirkulieren doch vor allem in den frontnahen Regionen Schauergeschichten, über Regierungstruppen, die sich gegenüber den eignen Zivilisten alles andere als korrekt benehmen.
Das gestern Mittag eingeführte Kriegsrecht wird die Besorgnis vieler Ukrainer weiter anheizen. Das vom Parlament nach heftigem Streit angenommene Gesetz sieht nämlich weitgehende Vollmachten für die Armee in 10 von 19 Regionalverwaltungseinheiten vor. Betroffen sind bis zu 200 Kilometer landeinwärts die Grenzregionen zu Russland, zur Donbas-Waffenstillstandslinie, der Schwarzmeerküste inklusive Asowsches Meer und der Grenze zum prorussischen Separatistengebiet Transnistrien in Moldawien. Wie eine Zange reihen sich damit die Kriegsrechtsgebiete um den Rest der Ukraine – die Hauptstadt Kiew und der Westen. In diesem Gebiet können laut Gesetz bis zum 26. Dezember um 14 Uhr Kiewer Zeit die Bürgerrechte eingeschränkt und Eigentum zu Armeezwecken eingezogen werden. Auch eine lokale Mobilmachung wehrfähiger Männer ist möglich.
Das Gesetz ist die Antwort des Staatspräsidenten auf die erste direkte Konfrontation zwischen der russischen und ukrainischen Armee seit der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim durch «grüne Männchen», de facto russische Spezialtruppen, im März 2014. Anlass dafür bot Petro Poroschenko der Beschuss dreier kleiner ukrainischer Kriegsschiffe bei der Meerenge von Kertsch am Eingang zum Asow-Meer. Drei bis sechs ukrainische Matrosen wurden dabei verletzt; 24 Marinesoldaten befinden sich seit Sonntag in russischer Gefangenschaft.
Sofortige Auswirkungen
Die ersten Auswirkungen des Kriegsrechts zeichneten sich sofort ab. An wichtigen Straßenkreuzungen und Stadteinfahrten kehrten die Kontrollen durch bewaffnete Mitglieder der Nationalgarde zurück. So etwa außerhalb der Hafenstadt Berdjansk am Asowschen Meer: Noch Mitte September wurde in dieser Region nur rund um die Halbmillionenstadt Mariupol kontrolliert, die sich viel näher an der Frontlinie mit den prorussischen Separatisten befindet. Infolge des Kriegsrechts mussten gestern auch die per 23. Dezember angesetzten Bezirkswahlen abgesagt werden. Vom Kriegsrecht nicht betroffen sollen die wichtigen Präsidentschaftswahlen Ende März 2019 sein. Der Wahlkampf sollte offiziell ohnehin erst zum Neujahr beginnen.
Noch schwieriger wird dagegen die Einreise russischer Bürger in die Ukraine. Rund um die ostukrainische Millionenstadt Charkiw, aber auch in Sumy im Nordosten des Landes gibt es viele Mischehen. Russische Besucher werden nun laut dem ukrainischen Grenzschutz zusätzlichen Kontrollen unterworfen. Das Transportministerium kündigte derweil für die zehn Gebiete (Oblasts) zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen auf Bahnhöfen und Häfen an. Mit Zugverspätungen sei zu rechnen, hieß es, auch weil Militärtransporte nun immer Vorrang genössen.
In der Hauptstadt Kiew reißt derweil die Kritik an Poroschenkos Kriegsrecht nicht ab. «Die Ukraine könnte ihre Verteidigungsbereitschaft auch ohne Einschränkung der Bürgerrechte betonen», meint der Militärexperte Wjatscheslaw Tseluiko. Das Kriegsrecht mache die ukrainische Flotte nicht plötzlich stark, diese befinde sich vielmehr seit Monaten trotz der Spannungen im Asow-Meer «in einem jämmerlichen Zustand», sagte der Marineexperte Taras Chmut. «Poroschenko versucht damit, seine Macht auszubauen und den Krieg weiter anzuheizen», kritisierte im Parlament der Julia Timoschenko-Anhänger Andrij Sentschenko.
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