Crowdfunding-Projekte haben zurzeit Hochkonjunktur, auch im Journalismus. In Luxemburg wird „Reporter“ ab März 2018 Wirklichkeit, in der Schweiz entsteht ebenfalls dank Crowdfunding ein Sportmagazin. No1 – Das beste Sportmagazin der Welt soll die Sportgeschichten erzählen, für die es in den bereits existierenden Publikationen keinen Platz gibt.
Der Tageblatt-Redakteur Chris Schleimer hat sich mit den Journalisten Christof Gertsch und Mikael Krogerus, zwei der Initiatoren von No1, über ihr Projekt unterhalten.
„Wenn wir sagen ’das beste Sportmagazin der Welt‘, dann ist das erstens provokativ, zweitens größenwahnsinnig, drittens haben wir ein Jahr Zeit für ein Magazin – das hatte noch nie wer – also muss es verdammt noch mal richtig gut werden. Alles andere wäre eine riesige Enttäuschung. Die Sportmagazine, die es bereits gibt, kommen mehrmals jährlich oder gar monatlich raus, wir dagegen ein einziges Mal und hoffentlich schaffen wir es, wenigstens ein bisschen besser zu sein. Das ist unser Anspruch“, meint Christof Gertsch, der 14 Jahre bei der Neuen Zürcher Zeitung als Sportjournalist tätig war und mittlerweile wie Mikael Krogerus für Das Magazin die Wochenendbeilage einiger Schweizer Zeitungen wie dem Tages-Anzeiger. Das Projekt No1 gehen sie mit weiteren Journalisten und Sportlern in ihrer Freizeit an, es ist eine Herzensangelegenheit.
Totale Nerds
Aber was stört Leute wie Krogerus und Gertsch eigentlich am heutigen Sportjournalismus, sodass sie einen anderen Weg einschlagen möchten? „An der täglichen Sportberichterstattung stört mich eigentlich nur die Tatsache, dass es den Journalisten sehr oft an den nötigen Mitteln – ob finanzieller Art oder Zeit – fehlt, um noch ausführlicher und tiefgründiger zu berichten. Außerdem gibt es eine extreme Fokussierung auf verschiedene Sportarten, was einen großen Verlust bedeutet. Dagegen wollen wir angehen, aber die tägliche Sportberichterstattung muss unbedingt weitergehen“, meint Krogerus. „Definitiv“, hakt Gertsch ein, „wir sind totale Nerds, was das angeht. Ich lese jede Zeile über Radsport, er (Korgerus) jede Zeile über Eishockey und Fußball. Ich habe selbst den täglichen Journalismus lange miterlebt und weiß, wie hart das Geschäft ist, welchem Druck man teilweise ausgesetzt ist. Deswegen habe ich großen Respekt vor dieser Arbeit.“
Die Idee für die No1 entstand im Januar 2017. Die beiden Journalisten waren gerade dabei, eine große Reportage über Usain Bolt für Das Magazin zu planen, als sie sich mal wieder darüber gefetzt haben, was denn nun die beste Sportreportage sei. „Die Frage, die wir uns dabei gestellt haben, war die, wieso diese Sportreportagen immer aus den USA kommen und schon etwas älter sind, aus den 50er, 60er oder 70er stammen. Wie halt die Standardwerke der Sports Illustrated“, erklärt Gertsch.
Ähnlich wie in Luxemburg – wo sich inzwischen mit Mental! ebenfalls ein Sportmagazin zu etablieren versucht – stellt sich auch in der Schweiz die Frage, ob es überhaupt einen Markt für ein Sportmagazin gibt. „Wenn man mit den Leuten spricht, dann ist schnell klar, dass die große Mehrheit nicht daran glaubt“, so Mikael Krogerus, „doch wenn man die Gespräche vertieft, kommen viele Leute gleich mit tollen Sportgeschichten, die sie gerne lesen würden. Wenn man sie dann fragt, ob sie bereit seien, 25 Franken für so ein Magazin zu bezahlen, sagen die meisten Ja.“ Den Beweis für Korgerus’ Aussage lieferte ihr Crowdfunding, bei dem sie sehr schnell die benötigten 100.000 Franken zusammenbekommen konnten.
Aus einer Idee zweier „Sport-Nerds“ wird 2018 also Realität. Es wurden weitere Journalisten (die ebenfalls ihre Freizeit für dieses Projekt opfern) mit ins Boot genommen sowie einige der besten Sportler und Sportlerinnen aus der Schweiz. So gehören unter anderem die Abfahrts-Olympiasiegerin Dominique Gisin, Mountainbiker Nino Schurter, Snowboard-Olympiasieger Iouri Podladtchikov, Tennis-Spielerin Timea Baczinszky oder Radsportler Stefan Küng (Teamkollege von Jempy Drucker bei BMC) zum No1-Team. „Wie oft hast du als Journalist schon von Sportlern den Satz gehört: ’Ihr Journalisten schreibt immer nur über das eine Prozent, den Wettkampf, aber nicht über die 99 restlichen Prozent, die das Sportlerleben ausmachen.’ Deshalb wollen wir von den Sportlern wissen, was denn wirklich wichtig ist, wo sich die guten Geschichten verstecken“, erklärt Gertsch, der aber zugleich betont, dass die Journalisten die redaktionelle Hoheit haben und entscheiden, welche Geschichten den Weg in ihr Magazin finden werden. „Wir Journalisten stehen mit unseren Namen für dieses Magazin. Die Sportler, die mitmachen, tun das nicht, um eine große Medienpräsenz zu bekommen oder ihre Sponsoren in Szene zu setzen, sondern weil sie Feuer und Flamme für das Projekt sind. Außerdem sind einige schon nicht mehr aktiv.“
Doch auch die Journalisten waren ein wenig skeptisch, bevor es losging. „Wir wussten nicht, wie viel Input von den Sportlern kommen würde und waren uns nicht sicher, ob ihre Ideen sich gut verkaufen lassen würden. Aber bei den ersten Redaktionskonferenzen kamen gleich echt gute Ideen auf den Tisch. Wir waren richtig überrascht“, gibt Gertsch zu. Nun, da das Projekt gesichert ist, beginnt die konkrete Arbeit. „Wir haben weit über 100, 150 Ideen gesammelten, von denen gut 100 für die Katz sind und die anderen umgesetzt werden müssen“, so Gertsch.
Das Herzstück der No1 werden die langen, ausschweifenden Geschichten sein, die es bislang in keiner Publikation gibt und die Gertsch und Krogerus so lieben. Damit schwimmt No1 klar gegen den Strom. Schließlich haben die Leute immer weniger Zeit, um lange Artikel zu lesen, es gilt eher das Motto je kürzer desto besser. Und genau in dieser Zeit will die No1 mit langen Geschichten überzeugen. „Ich denke, dass es zu jedem Trend auch einen Gegentrend gibt. Je kürzer die Texte werden, desto größer wird die Sehnsucht nach einem Buch, einer langen Geschichte und vielleicht auch einem gründlicheren Journalismus, und darauf setzen wir“, so Krogerus. „Uns ist klar, dass wir mit diesem Konzept nicht die großen Massen bewegen werden, aber das war mit solch langen Texten noch nie der Fall“, fügt Gertsch hinzu. Das ist aber auch nebensächlich für das Team von No1. „Es geht erst einmal darum: Was fehlt uns, was wollen wir lesen? Und das sind halt die großen langen Sportgeschichten.“
Ganz gleich wie es weitergehen wird, die No1 wird in dieser Form eine einmalige Sache bleiben, wie Krogerus bestätigt: „Wir haben alle einen Job, Familie und sind auf Facebook. Da fehlt einfach die Zeit, um so ein Projekt regelmäßig in der Freizeit zu realisieren.“ Gertsch kann seinem Kollegen nur zustimmen, fügt allerdings hinzu: „Wenn uns nun 5.000 Mails von Lesern erreichen, die bereit sind, noch einmal 25 Franken zu bezahlen, dann überlegen wir uns logischerweise etwas. Aber in dieser Form wird nur eine einzige Ausgabe erscheinen.
Wer mehr zu «No1 – Das beste Sportmagazin der Welt» wissen will oder sich ein Exemplar sichern möchte, kann dies unter www.dienummereins.ch tun. Das Crowdfunding endet am Donnerstag, 21. Dezember 2017. Das Magazin soll dann im Dezember 2018 erscheinen.
Empfehlung
Was Christof Gertsch und Mikael Krogerus für ihr Projekt inspiriert hat, sind die langen, ausschweifenden Sportgeschichten, wie sie vor allem in den USA Tradition haben. Journalisten wie George Plimpton oder W. C. Heinz sind prägende Gestalten dieses Genres. Wer sich selbst von der Qualität dieser Texte überzeugen möchte, für den haben Gertsch und Krogerus einen Tipp. Die Lieblingsgeschichte von Gertsch heißt „Brownsville Bum“ von W. C. Heinz und handelt von Bummy Davis, einem Boxer aus Brooklyn, den die Leute erst zu mögen begannen, als er schon gestorben war. Krogerus schwärmt dagegen von „The Curious Case of Sidd Finch“, wo Geroge Plimpton die Geschichte des Pitchers Sidd Finch erzählt, einem Buddhist, der dank Meditationstechnik einen Baseball mit 270 km/h werfen kann (niemand warf je schneller als 160 km/h). cs
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