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WahlanalyseLuxemburg auf Rechtskurs

Wahlanalyse / Luxemburg auf Rechtskurs
Djuna Bernard, François Bernoy, Sam Tanson, Henri Kox und François Bausch am Wahlabend Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Von Mitte-links nach Mitte-rechts heißt die Wende, die sich mit den Parlamentswahlen abzeichnet. Außer der Grünen-Krise liegt auch das Erstarken der Rechtspopulisten international im Trend.

Aus dem Land, das vor 20 Jahren von einer Koalition aus CSV und DP regiert wurde, ist ein anderes geworden. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, weiterentwickelt und ist diverser geworden. Auch die Politik ist heute eine andere: Das Parteiensystem hat sich weiter fragmentiert, einige politische Parteien sind hinzugekommen. Die Regierung aus Christlich-Sozialer Volkspartei und Liberalen fand 2004 ihr Ende und wurde für fast zehn Jahre von einer schwarz-roten Koalition abgelöst. 2013 wurde der CSV-Hegemonie durch einen blau-rot-grünen Coup zumindest vorläufig ein Ende bereitet. Ein Coup d’État, ein Putsch, wie nicht wenige in der Partei behaupteten.

Nun hat Blau-Rot-Grün nach einer Dekade die Mehrheit verloren. Während die DP und die LSAP zwei respektive einen Sitz in der Chamber hinzugewannen, wurden „déi gréng“, die 2018 mit ihrem bisher besten Wahlergebnis von neun Sitzen die Gambia-Koalition gerettet hatten, bitter abgestraft. Sie haben satte fünf Sitze verloren. „Gambia ist Geschichte“, titelte das Tageblatt. Die CSV hat derweil das Trauma, auf die Oppositionsbänke verbannt zu sein, überwunden. Die Partei war in eine Identitätskrise geschlittert. Diese scheint unter dem siegreichen Spitzenkandidaten Luc Frieden wie weggefegt zu sein. Die Partei habe sich gefunden, heißt es, auch habe sie ihr Profil geschärft. Den Ex-Minister der Juncker-Ära aus der Privatwirtschaft wieder zurück in die Politik zu holen, erwies sich als genialer Schachzug.

Bettel vor Frieden

Die CSV blieb deutlich stärkste Partei, die sie seit mehr als einem halben Jahrhundert ist. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass sie mit 21Sitzen auf ihrem seit 1999 schlechtesten Resultat verharrte: In den vergangenen Wahlen hatten die Christsozialen 24 (2004), 26 (2009), 23 (2013) und ebenso 21 (2018) Mandate erreicht. Aus dem trotzdem klaren Vorsprung vor der Konkurrenz hat Frieden berechtigterweise den Anspruch abgeleitet, eine Regierung zu bilden und auch den Premierminister zu stellen, obwohl er selbst im Wahlbezirk Zentrum mit 30.999 Stimmen und einem Rückstand von etwa 3.000 „nur“ Zweitgewählter hinter dem amtierenden Premierminister Xavier Bettel (34.018 Stimmen) ist. Die CSV ist im Zentrum dennoch mit 29,94 Prozent der Stimmen wie übrigens in den anderen drei Wahlbezirken die stärkste Partei.

Schließlich kann sich aber auch Bettel als Wahlsieger sehen: Seine Partei kann die Zahl ihrer Mandate um zwei weitere ausbauen. Ihr stärkster Bezirk ist und bleibt das Zentrum mit sechs Sitzen (25,25 Prozent). Derweil legte die LSAP um einen Sitz von zehn auf elf Mandate zu. Ihr stärkster Wahlbezirk ist wie immer der Süden, wo sie auf 24,53 Prozent der Stimmen kommt (hinter der CSV mit 27,8 Prozent) und Jean Asselborn mit 33.398 Stimmen einmal mehr der beliebteste Politiker ist. Eine Neuauflage eines CSV-LSAP-Bündnisses wurde jedoch schon früh am Wahlabend als unwahrscheinlich gehandelt. Die Schnittmenge der CSV mit den Liberalen ist größer als die von CSV und Sozialisten. Letzteren scheint zwar die Trendwende gelungen zu sein: Nach einem kontinuierlichen Rückgang an Stimmenanteilen und Sitzen seit 1984 (33,6 Prozent, 21 Sitze) bis zu dem historisch schlechtesten Ergebnis 2018 (17,6 Prozent, zehn Sitze) relativiert sich der Zugewinn von einem Sitz und ist nicht zuletzt auf die Beliebtheit von Spitzenkandidatin Paulette Lenert zurückzuführen.

Nur Grüne verlieren Sitze

Als einzige Partei verloren die Grünen Sitze – und dies gleich fünffach. In ihren Reihen ist die Enttäuschung groß, teils herrscht sogar Verbitterung. „Es ist eine Niederlage für unsere Partei“, sagte Spitzenkandidatin Sam Tanson, die wieder ins Parlament gewählt wurde. Und fast trotzig: „Wir sind weiter da und werden weiterhin eine starke Stimme in der luxemburgischen Politik sein.“ Besonders schmerzhaft ist es für die beiden Minister und sehr erfahrenen Politiker Henri Kox (Osten) und Claude Turmes (Norden), leer ausgegangen zu sein. Dagegen haben die beiden zum ersten Mal angetretenen Meris Sehovic, Ko-Parteichef, und Umweltministerin Joëlle Welfring zum ersten Mal einen Sitz gewonnen. Die Ursachen sind vielfältig. Man kann darüber spekulieren, dass die Grünen 2018 das Maximum ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft hatten (15,1 Prozent und neun Sitze). Aber Tatsache ist es, dass die 8,55 Prozent für die vor 40 Jahren gegründete Partei das schlechteste Ergebnis bei Parlamentswahlen seit 1984 darstellen. Nicht von der Hand zu weisen ist aber auch, dass das ausgeprägte Grünen-Bashing aus Deutschland nach Luxemburg herüberschwappte und dementsprechend auch der Negativtrend ansteckend wirkte. Mittlerweile ist im Nachbarland schon davon die Rede, dass die vermeintliche „Verbotspartei“ dem Untergang geweiht sei und von einem „Scheitern des Zeigefingers“ gesprochen wurde.

ADR im europäischen Trend

Markant am Wahlergebnis ist neben der Niederlage der Grünen vor allem der Zugewinn der ADR: Die fünf Sitze und die dadurch gewonnene Fraktionsstärke reiht sich ein in den seit Jahren anhaltenden Vormarsch rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien in Europa. In Deutschland etwa erstarkte am selben Wochenende die AfD bei den Landtagswahlen in Bayern auf 14,6 Prozent und in Hessen auf 18,4 Prozent, im zweitgenannten Bundesland sind sie damit zweitstärkste Partei. Der Rechtsruck geht also durch ganz Europa und hat inzwischen Luxemburg erfasst. Der Erfolg der ADR ist daher eines der meistdiskutierten Themen des Wahlabends. Derweil wurden die Erwartungen der Piraten gedämpft. Neben den beiden Sitzen im Zentrum beziehungsweise im Süden gewannen sie knapp einen im Norden hinzu. In den Wahlprognosen war der Überraschungssieger der Kommunalwahlen im Juni auf sechs Mandate gekommen.

Die Wahlen waren offener als jemals zuvor. Auch fanden sie in einer völlig veränderten Situation statt. 2018 noch in einer konjunkturell stabilen Lage, dieses Mal vor dem Hintergrund mehrerer Krisen in den vergangenen Jahren: unter anderem der Covid-Pandemie, des Ukraine-Kriegs und der damit verbundenen Energiekrise. Die Wahlen bringen zwar eine andere Regierung, aber an den Sitzverhältnissen hat sich außer der Erdrutschniederlage der Grünen wenig verändert. Themen wie der Klimawandel und die Armutsbekämpfung haben im Wahlkampf, verglichen mit ihrer Dringlichkeit, eine eher geringe Bedeutung gespielt. Auch spielt nach bisherigen Einschätzungen die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Milieu eine immer geringere Bedeutung. Die Milieus selbst haben sich verändert. Das alte Rechts-links-Schema könnte ausgedient haben, vielmehr ist es die Polarisierung zwischen denen, die für den gesellschaftlichen Status quo einstehen, und jenen, die eine ambitionierte Politik wollen, wie etwa im Klimaschutz, aber den Bürgern auch einiges abverlangen. In diesem Sinne ist die grüne Partei die einzige Partei, die ihren Anhängern und Wählern sowie den Bürgern einiges abverlangt. Von den Verfechtern des Status quo war sie deshalb zur Verbotspartei erklärt worden.

Steigende Personalisierung

Nicht zuletzt hat sich der Trend zur Personalisierung fortgesetzt: Die Popularität einzelner Kandidaten wie Xavier Bettel, Paulette Lenert und Jean Asselborn spielte ebenso eine Rolle wie der sogenannte Lenert-Effekt, aber auch die Bedeutung der Kompetenz von Luc Frieden nach einer jahrelangen CSV-Leidenszeit. Dementsprechend war der Wahlkampf personenbezogener als jemals zuvor. Die Majorität lag in Luxemburg zumeist rechts von der Mitte, auch diesmal. Während sich die LSAP am Wahlabend die Option eines kleineren Koalitionspartners der CSV offenhalten wollte, konnte sich die DP viel entspannter geben. Frieden setzte gezielt auf bestimmte Themen wie die Steuerpolitik, aber auch auf den Faktor Wechsel: „De Wiessel wielen“ und „Zäit fir eng nei Politik“.

Interessant ist, dass sich prozentuale Verbesserungen oder Verschlechterungen bei den Wählerstimmen nicht unbedingt in Mandaten niederschlugen. Die CSV verbessert sich als wieder einmal stärkste Fraktion von 28,31 auf 29,22 Prozent der Stimmen, bleibt aber bei 21 Sitzen. Die ADR verbessert sich leicht von 8,28 auf 9,27 Prozent der Stimmen und bekommt fünf Sitze, also einen Sitz mehr, was Fraktionsstärke bedeutet. Auch die Piraten bekommen ein Mandat mehr (drei statt zwei), obwohl die Verbesserung von 6,45 auf 6,73 Prozent nur minimal ist. Deutlicher ist die Diskrepanz bei der DP: Sie holte mit 18,7 Prozent zwar mehr als 2018 (16,91 Prozent), erhalten dafür aber zwei Sitze mehr. Die Linken sinken zwar von 5,48 Prozent auf 3,93, behalten aber ihre zwei Sitze. Derweil liegt die LSAP bei 18,94 Prozent (2018 waren es 17,6 Prozent), ist damit zweitstärkste Partei, gewinnt aber nur einen Sitz hinzu. Eindeutig ist dagegen der Absturz der Grünen von 15,12 auf 8,55 Prozent. Damit sind sie nur noch fünftstärkste Partei – ohne Fraktionsstatus. 

The Day After: Luc Frieden am Tag nach den Wahlen vor dem Palais
The Day After: Luc Frieden am Tag nach den Wahlen vor dem Palais Foto: Editpress/Julien Garroy